CO2-Reduzierung unzureichend 11.000 Wissenschaftler warnen vor weltweitem Klimanotstand

Forscher haben untersucht, was die Staaten der Welt bisher für den Klimaschutz tun wollen. Ihr Fazit ist ernüchternd: Wenn sich nichts grundlegend ändere, drohe "unsägliches menschliches Leid".
Eine Forscherin an einem schmelzenden Gletscher in Alaska

Eine Forscherin an einem schmelzenden Gletscher in Alaska

Foto: Joe Raedle / Getty Images / AFP

Die Pläne der meisten Staaten für das Pariser Klimaschutzabkommen reichen einem neuen Bericht zufolge nicht aus, um die schneller werdende Erderhitzung zu bremsen.

Fast drei Viertel der 184 von den Ländern eingereichten Zusagen zum Einsparen von Treibhausgasen sind demnach nicht ehrgeizig genug. Gemessen am Ziel, den Ausstoß von klimaschädlichen Substanzen bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, seien nur die 28 EU-Staaten und sieben weitere Länder auf Kurs. Das geht aus einer Auswertung von fünf Forschern hervor, von denen vier auch schon für den Weltklimarat IPCC gearbeitet haben.

Zeitgleich warnen mehr als 11.000 Wissenschaftler, darunter rund 900 aus Deutschland, in einer gemeinsamen Erklärung  vor einem weltweiten "Klima-Notstand". Wenn sich das menschliche Verhalten beim Treibhausgasausstoß und anderen den Klimawandel begünstigenden Faktoren nicht grundlegend und anhaltend verändere, sei "unsägliches menschliches Leid" nicht mehr zu verhindern, heißt es. "Wissenschaftler haben eine moralische Pflicht, die Menschheit vor jeglicher katastrophaler Bedrohung zu warnen", sagte Co-Autor Thomas Newsome von der University of Sydney.

Die Forscher fordern in ihrem Beitrag im Fachjournal "BioScience"  Veränderungen vor allem in sechs Bereichen:

  • Umstieg auf erneuerbare Energien,
  • Reduzierung des Ausstoßes von Stoffen wie Methan und Ruß,
  • besserer Schutz von Ökosystemen wie Wäldern und Mooren,
  • Konsum von mehr pflanzlichen und weniger tierischen Produkten,
  • nachhaltige Veränderung der Weltwirtschaft und
  • Eindämmung des Anwachsens der Weltbevölkerung.

Im Pariser Abkommen haben sich fast alle Staaten der Welt das Ziel gesetzt, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, um katastrophale Folgen wie Hitzewellen und Dürren, extreme Regenfälle und den Anstieg der Meeresspiegel einzudämmen. Ginge es weiter wie bisher, läge der Anstieg Ende dieses Jahrhunderts wohl bei rund drei Grad.

Es ist schon lange klar, dass die nationalen Klimaschutz-Pläne in der Summe nicht ausreichen, um den globalen Klimawandel einzudämmen. Alle fünf Jahre sollen sie deshalb nachgeschärft werden. 2020 ist es soweit, dann sollen neue Maßnahmen beschlossen werden.

Es ist festgelegt, welcher Staat welchen Anteil erbringen muss. Allgemein gilt, dass reiche Industriestaaten und solche, die historisch betrachtet viel zum Klimawandel beigetragen haben, mehr Verantwortung übernehmen müssen. Die nächste Klimakonferenz findet in der ersten Dezemberhälfte in Madrid statt. Zuvor hatte der vorher geplante Ausrichter Chile wegen innenpolitischer Probleme abgesagt.

"Die Zusagen sind schlicht viel zu wenig und zu spät", kommentierte Co-Autor Robert Watson, bis 2002 im Vorstand des Weltklimarats, den von der US-Organisation Universal Ecological Fund veröffentlichten Bericht zu den Klimaschutzzielen. "Sogar wenn alle freiwilligen Klima-Zusagen voll umgesetzt werden, erreichen sie nur die Hälfte dessen, was notwendig ist, um die Beschleunigung des Klimawandels im nächsten Jahrzehnt zu begrenzen."

Besonders im Fokus der Autoren stehen vier Nationen, die zusammen mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgase ausstoßen:

  • China,
  • Indien,
  • die USA
  • und Russland.

Das bevölkerungsreichste Land China hat einen Anteil von rund 27 Prozent - und die Emissionen von Kohlendioxid (CO2) und anderen Klimagasen dort nähmen wegen des Wirtschaftswachstums weiter zu, heißt es im Bericht. Zugesagt hat Peking bisher nur, dass sie nicht im gleichen Maße zunehmen sollen wie das Bruttoinlandsprodukt. Das gelte auch für Indien, das einen Anteil von sieben Prozent am globalen Treibhausgas-Ausstoß habe. Allerdings stapelt China beim Klimaschutz nach Ansicht von Beobachtern oft tief und liefere dann bessere Ergebnisse.

Die USA haben sich inzwischen auch offiziell aus den internationalen Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel verabschiedet: Die US-Regierung habe ihre Kündigung für das Klimaabkommen von Paris eingereicht, teilte Außenminister Mike Pompeo am Montag mit.

"Weiter gemacht wie vorher"

Die ursprünglichen Zusagen der Vereinigten Staaten mit ihrem Anteil von gut 13 Prozent am globalen Treibhausgas-Ausstoß bewerten die Autoren des Berichtes noch als "in der Schwebe" - aber die aktuelle Politik reiche nicht aus. Russland, dessen Anteil bei knapp fünf Prozent liege, habe noch gar keine Pläne eingereicht. Immerhin ist das Land im September dem Pariser Abkommen formell beigetreten.

Die 28 Staaten der EU haben gemeinsam einen Anteil von neun Prozent - und sind dem Bericht zufolge mit ihren Plänen auf Kurs. Bis 2030 könnte der CO2-Ausstoß 58 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Daneben werten die Autoren nur noch Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen, Moldawien, die Schweiz und die Ukraine als Länder, deren aktuelle Zusagen zum jetzigen Zeitpunkt ausreichen.

"Obwohl global seit 40 Jahren verhandelt wird, haben wir weiter gemacht wie vorher und sind diese Krise nicht angegangen", sagte William Ripple, der den Zusammenschluss der gut 11.000 Wissenschaftler mit seinem Kollegen Christopher Wolf von der Oregon State University in den USA anführt. "Der Klimawandel ist da und er beschleunigt sich rascher als viele Wissenschaftler erwartet hatten."

chs/dpa
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