Stefan Rahmstorf

Kampagne von Klimaskeptikern Bei diesen Fragen ist was faul

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf

Am Freitag starten Klimawandelleugner eine neue Offensive - sie schicken 16 unschuldig anmutende Fragen an Bundestagsabgeordnete. Bei genauem Blick entpuppt sich die Schrift als pure Propaganda.

Foto: Herald Sun

Wer kennt solche Thesen nicht: Die Ursache der globalen Erwärmung sei nicht erwiesen. Ein wärmeres Klima sei kein Problem oder gar wünschenswert. Wir könnten uns einfach daran anpassen, und die Klimaforscher seien allesamt Alarmisten mit einer heimlichen politischen Agenda. Aktuelles Beispiel: ausgerechnet im feuergeplagten Australien erschien dieser Tage die "Herald Sun", eine Zeitung aus dem Medienimperium von Rupert Murdoch, mit der Schlagzeile: "Die Erwärmung ist gut für uns". Derartige Wissenschaftsverleugnung  (nicht nur beim Klimawandel) benutzt stets dieselben Methoden. Rosinenpickerei, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate oder Fakten, Verdrehung und Verfälschung von Studienergebnissen, logische Fehlschlüsse, selbsternannte "Fake"-Experten und pseudowissenschaftliche "Studien", Unterschriftensammlungen (die 105 Lungenärzte lassen grüßen) und nicht zuletzt Verschwörungstheorien.

Auch unsere Bundestagsabgeordneten werden regelmäßig mit derartigen Beeinflussungsversuchen konfrontiert. Im September erhielten sie zum Beispiel Post vom früheren RWE-Manager Fritz Vahrenholt: ein Pamphlet mit dem Titel "Die Erde wird grüner - die Katastrophe bleibt aus". Das, so die Schrift, sei das Ergebnis einer Studie des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Peinlich nur, dass Studienautor Professor Victor Brovkin Vahrenholts Thesen umgehend als "fehlerhaft", "vollkommen falsch interpretiert" und nur auf ein Laienpublikum zielend zurückgewiesen hat .

Zum Autor
Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Am Freitag erhalten die Abgeordneten wohl wieder eine ähnliche Zuschrift: Die Website "Klimafragen.org" hat 16 zunächst unschuldig anmutende Punkte gesammelt, die sie nach eigenen Angaben am 31. Januar bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages "einreichen" will. Fragen stellen ist jawohl noch erlaubt, oder? Ein Blick auf die Website der Initiative macht allerdings stutzig: Begrüßt wird der Besucher mit dem Foto eines toten Rotmilans vor Windrädern. Im Text darunter geht es ähnlich zur Sache, da wird die "Deindustrialisierung Deutschlands" und der "Verlust von Wohlstand und sozialer Sicherheit" prophezeit und den Abgeordneten vorgeworfen, "gezielt eine Senkung des Lebensstandards" zu veranlassen. Wer dann die 16 Punkte studiert, merkt rasch: Es geht hier weniger um ehrliche Fragen als um den Versuch, in den vorangestellten Vorbemerkungen zahlreiche Falschbehauptungen zu verbreiten.

Wer ist hier Klimaexperte?

Schon vor der ersten Frage steht das Evergreen-Argument der selbsternannten "Klimaskeptiker": ein angebliches Zitat aus einem alten Bericht des Weltklimarats IPCC von 2001 , wonach "längerfristige Vorhersagen über die Klimaentwicklung nicht möglich" seien. Daraus folgert die Initiative, dass Klimaprognosen über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hinaus "keinerlei Vorhersagekraft mehr innewohnt". Problem ist nur: Das Zitat ist falsch ins Deutsche übersetzt und - wie aus dem Kontext sofort ersichtlich - vollkommen falsch interpretiert. Im Original geht es um die Grenzen der künftigen Klimamodellierung, bei der wegen des chaotischen Klimasystems immer eine Restunschärfe verbleiben wird: Der genaue "Klimazustand" (etwa, ob im Jahr 2030 ein El-Niño-Zustand herrscht) ist nicht langfristig vorhersagbar. Von "Klimaentwicklung" ist im Original gar nicht die Rede.

Die Empfehlung dieser IPCC-Passage lautet, mittels Ensembles (also zahlreichen Simulationen mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen und Klimamodellen) diese verbleibende Unschärfe zu beschreiben - was inzwischen längst Standard in den IPCC-Berichten ist. Das Zitat zeigt also lediglich, dass der IPCC sich schon vor zwanzig Jahren um eine sorgfältige Analyse der verbleibenden Unsicherheiten von Klimaprojektionen gekümmert hat. Die Autoren der 16 Klimafragen haben offenbar darauf gesetzt, dass Abgeordnete eine solche Fehlübersetzung und krasse Umdeutung eines IPCC-Zitats nicht erkennen.

Nach ähnlichem Muster geht es weiter mit den 16 Fragen. So wird beispielsweise behauptet, der "unvermeidbare statistische Fehler" der Klimamodelle sei "über hundertmal größer" als der CO2-Effekt. Auch das ist ein mehr als zehn Jahre alter  Klassiker der "Klimaskeptiker". Und es ist offensichtlicher Unsinn, allein schon weil die Klimamodelle seit fünfzig Jahren die globale Erwärmung korrekt vorhergesagt haben  - übrigens sogar die Firma Exxon im Jahr 1982. Unmöglich kann eine solche Vorhersage also nicht sein. Als Beleg für diesen Unsinn zitiert die Initiative einen Artikel des Physikers Patrick Frank (kein Klimaforscher), der wiederum auf einer Studie beruht, die die Wolkenbedeckung in Klimamodellen mit der aus Satellitendaten vergleicht. Dumm ist nur, dass Frank sich gleich mehrere grobe Schnitzer geleistet hat.

Fundamentale Denkfehler am laufenden Band

So nimmt er bei den Berechnungen des globalen Temperaturmittelwertes einen falschen Modellfehler für die Bewölkung  an. Dieser Modellfehler ist ein Maß für die Unterschiede zwischen den vom Computermodell vorhergesagten Wolken und den in den Satellitendaten gefundenen Wolken. Für die globale Mitteltemperatur ist nur die globale Gesamtwirkung der Wolken relevant, aber Frank benutzt ein Maß für die Modellfehler an einzelnen Orten (nämlich an jedem Gitterpunkt der Modellmatrix, die das Klimamodell benutzt). Da die Abweichungen der Bewölkung an einzelnen Orten aber sehr viel größer sein können als über das gesamte Modell gerechnet, überschätzt Frank den Modellfehler massiv. "Im globalen Mittel ist der tatsächliche Modellfehler nur ein Bruchteil dessen, was Frank annimmt", sagt Axel Lauer vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum, Autor der Satellitenstudie zu den Wolken. Zweitens nimmt Franks Rechnung fälschlich an, dass diese Abweichung jedes Jahr nochmal neu hinzukommt und sich so in einer Simulation über Jahrzehnte zu einem riesigen Modellfehler aufsummiert. "Ein fundamentaler Denkfehler", sagt Lauer dazu. Denn die in der Satellitenstudie gefundene Abweichung ist bereits die, die sich nach über hundert Jahren Modellsimulation als langjähriger Mittelwert eingependelt hat.

Dies sind nur die Falschbehauptungen zur ersten Frage.

Jedes Jahr erscheinen über 20.000 Studien zum Klimawandel in der seriösen Fachliteratur; typisch für die Klimawandelleugner ist, diese Arbeit von Profis pauschal abzulehnen, aber den Außenseiterthesen von klimatologischen Laien wie Frank blindlings zu glauben. Wunschdenken extrem, könnte man auch sagen. Wer sich dagegen mit der seriösen Forschung beschäftigt und ihr Glauben schenkt, erhält ein anderes Bild. Der Meeresspiegel war vor Beginn der Industrialisierung mindestens 2500 Jahre lang weitgehend stabil , wie Sedimentdaten belegen. Der Anstieg hat sich seit Beginn der Pegelmessungen im 19. Jahrhundert klar beschleunigt . Dies ist eine physikalisch zwingende und gut verstandene Folge der globalen Erwärmung, weil sich die Ozeane erwärmen  und das Wasser sich dabei ausdehnt, und weil die Kontinentaleismassen immer schneller schmelzen, je wärmer es wird.

All dies geschieht wie vorhergesagt und ist durch Messungen bestens belegt. Selbst innerhalb des noch recht kurzen Zeitraums der Satellitenmessungen ab 1993 ist bereits eine Beschleunigung des Anstiegs nachweisbar . Die 16 Fragen behaupten jedoch unverdrossen, "der Meeresanstieg verläuft seit wenigstens hundert Jahren linear". Beleg: keine Fachliteratur, sondern eine völlig unseriöse amerikanische Klimaleugnerwebsite . Der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC zu den Ozeanen und Eismassen  sagt selbst bei Einhaltung des Pariser Vertrags einen Meeresspiegelanstieg um einen Meter bis 2300 vorher - was schlimm genug für viele Küsten der Erde wäre. Bei ungebremst wachsenden Emissionen wären es laut IPCC sogar vier Meter.

Die Daten lassen keine Zweifel zu

Durch die Erderhitzung häufen sich Wetterextreme, die viele Millionen Menschen betreffen. Anhaltende Hitzewellen sind stille Killer und haben durch die Erderhitzung um mindestens das Fünffache zugenommen ; allein der "Jahrhundertsommer" 2003 hat europaweit 70.000 Todesopfer  gekostet. Die Intensität von tropischen Wirbelstürmen nimmt wie physikalisch erwartet zu, ebenso wie Extremniederschläge . Auch die verheerenden Buschfeuer in Australien - vor denen der IPCC schon 2007 gewarnt  hat - sind vor allem darauf zurückzuführen, dass Australien das wärmste und trockenste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen hinter sich hat und im letzten Monat in weiten Teilen des Kontinents das extremste Feuerwetter erlebte , das jemals herrschte.

In Europa ist - wie von den Klimamodellen vorhergesagt - der Mittelmeerraum von zunehmender Hitze und Dürre betroffen , was die Gefahr von verheerenden Waldbränden (wie in Griechenland 2007 und 2018) erhöht . Die extreme Dürre in Syrien in den Jahren 2006 bis 2011 wird zudem mit dem Ausbruch der Revolte dort in Verbindung gebracht , indem sie zu 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen im Land und zur Unzufriedenheit mit der Regierung beigetragen hat. Doch zu Wetterextremen behaupten die 16 Klimafragen lapidar, der Klimawandel sei "in dieser Hinsicht bislang jedenfalls kein relevantes Problem für die Menschheit".

Es ist daher offensichtlich, dass die "16 Klimafragen" wenig mit Fragen zu tun haben und viel mit einer Propaganda-Aktion. Wer würde so etwas machen? Die Motive für derartige Täuschungsmanöver bei einer derart überlebenswichtigen Frage kann ich leider auch nicht nachvollziehen, aber zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehört das Who's who der deutschen Szene der Klimawandelleugner. Wie viele der 30.000 Unterzeichner dieser Initiative stehen wohl mit ihrem Namen hinter den zahlreichen Falschbehauptungen im Text, und wie viele wurden einfach nur von den Autoren verschaukelt? 

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