Klimaforscher Erderwärmung folgt dramatischstem Szenario

Kohlekraftwerk auf Spitzbergen: Hitzewelle im Sommer 2020
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesDas Kürzel RCP 8,5 steht für ein Worst-Case-Szenario. Der Weltklimarat IPCC hat es 2005 entwickelt, neben weiteren Prognosen, wie sich das Klima in den nächsten Jahrzehnten unter verschiedenen Umständen entwickeln wird. Bislang galten die anderen als deutlich realistischer, RCP 8,5 wurde von Kritikern als irreführend und alarmistisch abgetan.
Im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichten Forscher nun allerdings, dass der Kohlendioxidausstoß der vergangenen 15 Jahre am ehesten zu dem besonders düsteren Szenario passt. Die Abweichung zwischen der RCP-Prognose und den tatsächlichen Emissionen in den Jahren 2005 bis 2020 liege nur bei etwa einem Prozent, berichten Wissenschaftler um Christopher Schwalm vom Woods Hole Research Center in Falmouth im US-Bundesstaat Massachusetts.
Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren, haben allerdings einige Kritikpunkte.
Der Wert von 8,5 in dem Szenario steht für einen zusätzlichen Strahlungsantrieb von 8,5 Watt pro Quadratmeter bis 2100. Er beschreibt also, wie viel Wärme die Erde pro Fläche aufnimmt und wie viel sie wieder zurück ins All abstrahlt. Im RCP-8,5-Szenario gehen die Forscher davon aus, dass der Energiebedarf der Menschen in den nächsten Jahrzehnten zu großen Teilen über fossile Brennstoffe gedeckt werden wird.
Schlechte Prognose bis 2050
Auch wenn Staaten ihre Selbstverpflichtungen zum Umweltschutz einhielten, werde sich der Abstand der Realität zum Katastrophenszenario aber nicht verringern, berichten Schwalm und Kollegen. Bis 2030 werde der Ausstoß zwar nicht genau dem RCP-8,5-Szenario entsprechen, aber immer noch näher an diesem liegen als am gemäßigten RCP 4,5.
Laut den Forschern wäre der Kohlendioxidausstoß dann knapp 77 Gigatonnen CO2 zu niedrig für die RCP-8,5-Prognose und rund 88 Gigatonnen zu hoch für RCP 4,5.
Bis 2050 könnten sich die Werte noch weiter Richtung RCP-8,5 entwickeln, wenn Staaten ihre bisher angekündigten Maßnahmen nicht nachbessern, so die Forscher weiter. Demnach werden bis dahin wohl 234 Gigatonnen Kohlendioxid zu wenig für RCP 8,5 ausgestoßen und 385 Gigatonnen zu viel für RCP 4,5.
Das RCP-8,5-Szenario sei am besten geeignet, um den Klimawandel in den vergangenen und den kommenden Jahrzehnten bis 2050 zu beschreiben, erklären Schwalm und Kollegen. Sie weisen die bisherige Kritik an der Prognose daher zurück. "Wenn es RCP 8,5 bislang nicht gäbe, müssten wir es einführen", berichten sie .
Kritik an der Studie
Auch die Corona-Pandemie könne die Welt nicht vom Weg Richtung RCP 8,5 abbringen, so die Forscher. Blieben die derzeitigen Beschränkungen bis Ende 2020 bestehen, würden gerade mal 4,7 Gigatonnen CO2 eingespart werden. Das entspreche weniger als einem Prozent aller Emissionen seit 2005.
Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren, sind allerdings skeptisch: "Obwohl ich Teilen der Veröffentlichung zustimme, sind einige Teile auch etwas unvollständig oder problematisch", schreibt Zeke Hausfather vom Umweltforschungszentrum Breakthrough Institute in Kalifornien auf Twitter.
PNAS published a defense of the RCP8.5 scenario by the scientists at @woodsholeresctr. While I agree with parts of it, some parts are also a bit incomplete or problematic. Lets take a look: https://t.co/5ddiwUV1aY
— Zeke Hausfather (@hausfath) August 3, 2020
1/14
Er verweist darauf, dass die Welt derzeit eher auf dem Weg zu einer Erwärmung um etwa drei Grad sei als zu einer um die fünf Grad, wie es das RCP-8,5-Szenario vorsehe. Die Politik habe noch die Möglichkeit, in positivem oder negativem Sinne darauf einzuwirken.
Zudem kritisiert Hausfather, dass die RCP-Szenarien grundlegende Schwächen hätten. So werde der Anteil der Emissionen durch fossile Brennstoffe überschätzt und Emissionen durch die Landwirtschaft unterschätzt. Auf kurze Sicht gleiche sich das aus, langfristigere Prognosen seien aber ungenau, weil fossile Brennstoffe immer größeres Gewicht bekämen. Neuere Prognosemodelle könnten das besser abbilden.
Folgt man Hausfather, taugt die Analyse der Forscher also nicht als Beleg, dass der Klimawandel auch auf lange Sicht dem RCP-8,5-Szenario folgen wird. Auch andere Forscher befürchten derzeit keine Erwärmung um die fünf Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit. Allerdings haben Experten Prognosen zum Temperaturanstieg erst vor wenigen Wochen nach oben korrigiert.
Demnach reagiert die Erde sensibler auf CO2 als zunächst gedacht. Verdoppelt sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre gegenüber der vorindustriellen Zeit, wird sich die Erde demnach wahrscheinlich eher um 3,4 Grad statt um drei Grad erwärmen. Wird weiter Kohlendioxid ausgestoßen wie bisher, könnte das schon in 60 bis 80 Jahren der Fall sein.
Anmerkung der Redaktion: Das Woods Hole Research Center liegt nicht in Falmouth in Großbritannien, sondern in Falmouth, Massachusetts (USA). Wir haben die Angabe korrigiert.