Klimawandel Früherer Frühling in Europa
Nicht nur um den menschgemachten Klimawandel wird gestritten: Wie stark ist er und welchen Anteil haben wir daran? Auch wenn die Zahl derer in Wirtschaft und Politik abnimmt, die den Menschen für völlig unbeteiligt an der globalen Erwärmung erklären möchten, gibt es bei der Erforschung möglicher Folgen immer wieder Streit: Kann man einzelne Veränderungen auf die Folgen des Treibhauseffekts schieben? Gibt es nicht beliebige Gegenbeispiele?
Mit der bislang größten vergleichbaren Studie zum Einfluss der Erwärmung auf die Jahreszeiten haben europäische Forscher Pflanzen aus 21 europäischen Ländern miteinander verglichen. Der Frühling kommt früher, fanden sie heraus - und das passt zum Muster der Klimaveränderung. "Diese Reaktion ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf die Erwärmung zurückzuführen", sagte Nicole Estrella von der Technischen Universität München (TUM) zu SPIEGEL ONLINE. Sie hat an der Metastudie mitgearbeitet, die von der Münchner Forstwissenschaftlerin Annette Menzel geleitet wurde.
125 000 Zeitreihen von fast 550 Pflanzen- und auch einigen Tierarten aus 21 Ländern Europas zwischen den Jahren 1971 und 2000 bildeten die Grundlage der Analyse. Die nationalen Wetterdienste lieferten den Wissenschaftlern zu - aus einem Datenschatz, den man für ein einzelnes Projekt unmöglich selbst gewinnen könnte: Sogenannte phänologische Ereignisse werden oft von Freiwilligen in jahrelanger Fleißarbeit erhoben, etwa wann bestimmte Blumen knospen, zu blühen beginnen oder wann sich im Herbst die Blätter verfärben.
Frühere Blüte zeigt frühere Jahreszeiten
Berühmt ist etwa der Forsythien-Kalender aus Hamburg, wo zwischen 1945 und 2003 jedes Jahr Beobachter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die Blüte des gelbgeschmückten Strauchs notierten. Durchschnittlich begann diese Pflanze an diesem Ort am 26. März mit der Frühlingsblüte - im Gesamtmittelwert. Über die Jahrzehnte verschob sich der mittlere Blütebeginn aber aus dem April in den März, um beinahe einen ganzen Monat. Hamburger Einzelfall oder Teil eines übergreifenden Trends?
Es gibt den Trend, glauben die Forscher um die Münchnerin Menzel und Tim Sparks vom britischen Natural Environment Research Council in Cambridgeshire, nun diese Frage beantworten zu können. 78 Prozent aller Aufzeichnungen über das Austreiben der ersten Blätter, den Beginn der Blüte oder die Reife haben sich nach vorne verschoben, 30 Prozent davon signifikant, schreiben sie in der Fachzeitschrift "Global Change Biology". Signifikant später als vor dreißig Jahren seien bloß drei Prozent der phänologischen Ereignisse beobachtet worden.
Für die Berechnung habe man Ländermittelwerte gebildet, sagte Estrella. So verzerrten lokale Abweichungen die Vergleichswerte nicht. Während so in der Slowakei ein etwas späterer Frühlingsbeginn beobachtet worden sei, habe sich dieser fast im ganzen Rest von Europa nach vorne verschoben. Auf den gesamten Kontinent gerechnet habe sich das Frühjahr jedes Jahrzehnt um rund zweieinhalb Tage nach vorne verschoben. Heute beginnt die Jahreszeit für viele Pflanzen also rund sechs bis acht Tage früher, als sie es noch in den siebziger Jahren tat.
Für einzelne Arten könnte diese Änderung im Kalender zum Problem werden. Der britischen "BBC" sagte Sparks: Schon Verschiebungen von ein paar Tagen könnten schon zum Zusammenbruch von Nahrungsketten führen.
Der zumindest derzeit in Deutschland herrschende Eindruck, dass auch der Herbst Wochen zu früh einbricht, täuscht jedoch laut den Ergebnissen der Forscher: Zumindest gemessen an der natürlichen Blattverfärbung hat sich der Herbstbeginn in den vergangenen 30 Jahren um drei Tage nach hinten verschoben. Einen ähnlich robusten Befund wie beim früheren Frühling konnten sie für das Ende Sommers jedoch nicht aus den Daten herauslesen.
stx/AP