
Flusspiraterie: Verschwundener Strom
Kanada Klimawandel lenkt Fluss um
So wie darauf, dass die Sonne morgens aufgeht, konnten sich die Anwohner des Kluane Sees darauf verlassen, dass der Slims River stets frisches Wasser in ihr Heimatgewässer spülte. Seit vergangenen Sommer aber herrscht Unordnung: Der Kluane See wird kleiner und kleiner, Bootsanleger sind trocken gefallen, sie liegen nun hoch über dem Wasserpegel.
Ursache des rapiden Wandels sei letztlich der globale Klimawandel, schreiben Wissenschaftler im Fachmagazin "Nature Geoscience". Die Erwärmung der vergangenen Jahrzehnte, die Klimaforscher teils menschengemachten Treibhausgasen anlasten, habe den Kaskawulsh-Gletscher in Westkanada beschleunigt tauen lassen.
Ende Mai 2016 sei es dann zu einer radikalen Umweltveränderung gekommen: Die Pegel des Slims Rivers fielen rapide, der Fluss trocknete schließlich aus. Er speiste sich aus Schmelzwasser des Kaskawulsh-Gletschers. Doch der war in der Wärme des Frühjahrs 2016 weiter geschrumpft - sein Tauwasser strömte deshalb auf einmal in eine andere Richtung in den Kaskawulsh River, der rapide schwoll.
Bruch im Gletscher
Das Tauwetter hatte den Gletscher brüchig werden lassen, so dass sich eine Spalte im Eis öffnete. Durch sie flossen ab Mai 2016 große Mengen Schmelzwasser ab - auf neuen Wegen.
Dass sich Flussläufe ändern, ist zwar normal. Werden die Ströme nicht künstlich kanalisiert, fräst sich ihr Wasser in Kurven immer tiefer ins Ufer, so dass sich Biegungen verlagern.
Das nun beobachtete Phänomen aber ist besonders, weil ein Fluss einem anderem das Wasser abgegraben hat. Die Kaperung des Wassers bezeichnen die Forscher um Daniel Shugar an der University of Washington in Tacoma als Flusspiraterie.
Ein solcher Fall sei ihres Wissens nach erstmals an einem aktuellen Fall quasi live dokumentiert worden, sagt Shugar. Bislang kenne man Flusspiraterie nur aus Untersuchungen der Erdgeschichte.
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Keine Gewähr
Eigentlich waren die Wissenschaftler im Sommer 2016 zu geologischen Analysen an den Slims River gefahren. Doch der Fluss sei nahezu verschwunden gewesen. Also hätten sie die Ursache erforscht.
Menschen und Tiere müssen sich auf die plötzliche Umweltveränderung einstellen. Schafe etwa, berichten die Forscher, würden nun am alten Flusslauf die frische Vegetation grasen, sie hätten ihre angestammte Umgebung verlassen.
Die Gemeinden Burwash Landing und Destruction Bay aber, einst Anrainer des Kluane-Sees, liegen nun abseits des Wassers, das einst die Siedler angezogen hatte.