Klimawandel Tropengletscher so warm wie seit 2000 Jahren nicht mehr

In den Anden und im Himalaja war es in den letzten 2000 Jahren nicht so warm wie heute. Dies ergab eine Analyse von Gletscher-Bohrkernen.  Forscher glauben sogar, dass die Tropenregionen wegen des Klimawandels die wärmsten Zeiten seit 5000 Jahren erleben.

Peru, Bolivien und China - an unwirtlichen Orten in den Anden und im Himalaja hat Lonnie Thompson Eiskerne geborgen. In ihnen sucht der Klimaforscher der Ohio State University die Klimageschichte der Tropen. In Tibet schmelzen die Gletscher rapide, auch die letzten Eispanzer südlich der Sahara werden in 20 Jahren verschwunden sein. Am Kilimandscharo, an der Grenze zwischen Kenia und Tansania, hatte Thompson das selbst erfahren müssen: Von der weißen Kappe des ostafrikanischen Wahrzeichens sind nurmehr schmutzige Reste übrig.

Mit den Bohrkernen hat Thompson nun in die Vergangenheit des bedrohten Eises geschaut. "An diesen Eisschilden war das Klima seit 5000 Jahren oder mehr nicht mehr so warm wie heute", sagte er. Seine Untersuchung kombiniert zum ersten Mal Bohrkerne aus Südamerika und Asien zu einer Temperaturgeschichte der Tropen - jener Zone des Globus, in der heute rund 70 Prozent der Weltbevölkerung leben.

Bohrkerne tropischer Gletscher zeugen von Jahrhunderten Klimageschichte. Zwei unterschiedliche Sauerstoff-Isotope dienen dabei als Tagebucheinträge im Eis: Das Verhältnis von 16O und 18O in der eingeschlossenen Luft ändert sich mit der Temperatur dieser Luft zum Zeitpunkt der Eisbildung. Das ist der Grund, warum Bohrkerne aus Gletschern Klimaforschern dabei helfen können, den Verlauf der Oberflächentemperatur vergangener Zeiten zu rekonstruieren.

Sieben Bohrkerne haben Thompson und sein Team untersucht. Für die letzten 400 Jahre konnten sie die jährliche Temperaturschwankung rekonstruieren, für die 1600 Jahre davor immerhin noch die Zehnjahresmittel.

Gletscherluft so warm wie seit Augustus nicht mehr

"So haben wir eine Aufzeichnung, die 2000 Jahre zurückreicht", sagte Thompson, "und wenn man die Werte aufzeichnet, kann man die Warmzeit im Mittelalter genauso sehen wie die kleine Eiszeit." Beide Abschnitte sind aus den gemäßigten Breiten dokumentiert. In Europa und Nordamerika etwa breiteten sich während der kleinen Eiszeit die Gletscher aus. Dass diese Schwankungen sich auch im Gletschereis der Tropen nachweisen lassen, spricht für die Messmethode der Forscher.

"In derselben Aufzeichnung können wir auch das 20. Jahrhundert sehen", sagte Thompson. "Ganz gleich, ob man sich individuelle Bohrkerne anschaut oder die Kombination aller sieben, es sticht heraus, wie ungewöhnlich warm die letzten 50 Jahre waren." Nicht einmal die Warmzeit zwischen 700 und 1000 nach Christus sei vergleichbar. "Die Tatsache, dass die Isotopenwerte für die vergangenen 50 Jahre so ungewöhnlich waren, bedeutet dass die Dinge sich dramatisch ändern", sagte der Klimatologe. Zusammen mit Kollegen stellt er seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" vor.

Ein zweiter Fund der Forscher lässt aber noch viel weiter zurück in die Klimageschichte der Tropen blicken. Erstmals fiel Wissenschaftlern im Jahr 2002 auf, dass unter dem zurückweichenden Eis des Quelccaya-Gletschers in Peru Pflanzen der Art Distichia muscoides zum Vorschein kamen. Sie waren nicht versteinert, das Eis hatte sie konserviert - über 5000 bis 6500 Jahre. Denn dies war laut einer Kohlenstoffdatierung das Alter der Gewächse.

Niederschläge nehmen zu, Gletscher schmelzen trotzdem

In Folge einer schlagartigen Abkühlung vor spätestens 5000 Jahren müsse der Gletscher sich schlagartig ausgebreitet und dabei die Distichia mit Eis bedeckt haben. "Das bedeutet, dass das Klima am Eispanzer in den letzten 5000 Jahren oder mehr nicht wärmer gewesen ist, als es heute ist", sagte Thompson. "Wenn doch, wären die Pflanzen zerfallen."

Skeptiker eines Zusammenhangs zwischen der Gletscherausdehnung oder -schrumpfung und einer Klimaveränderung halten solchen Arbeiten regelmäßig entgegen, Niederschläge seien der Haupteinflussfaktor. Dass aber mehr oder weniger Niederschlag für die von Thompson beobachtete Schrumpfung verantwortlich sein könnte, hält der Forscher für ausgeschlossen.

"Während alle tropischen Gletscher, die wir vermessen haben, sich zurückziehen, hat an allen diesen Orten mit nur einer einzigen Ausnahme der Niederschlag im Lauf des letzten Jahrhunderts zugenommen", sagte Thompson. "Der Rückgang des Eises ist also wesentlich durch steigende Temperaturen bedingt."

stx

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren