Kohlendioxid Tödliche Tristesse in der Tiefsee
"Dissolution is not the resolution - Auflösung ist nicht die Lösung", warnt Onno Groß vom Verein Deepwave. Die Initiative will Hoch- und Tiefsee schützen. Und so findet Groß es unsinnig, das gefährliche Treibhausgas Kohlendioxid einfach in die Meere zu leiten, um so dem steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre Einhalt zu gebieten. Einen "Verdünnungseffekt" in den Unmengen von Meereswasser gebe es nicht: Das Kohlendioxid verflüssige sich in der Tiefsee wegen des dortigen Drucks. Das Szenario des Umweltschützers: "Die Fische würden sofort wegschwimmen. Und was sich nicht bewegen kann, wird sterben."
Tatsächlich zeigen Aufnahmen deutscher Wissenschaftler eine solche Einöde unter Wasser. Forscher des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie (MPI) und von der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology: ein grauer Meeresboden, weit und breit weder Fische, noch Krebse. Hier - in der Nähe der japanischen Insel Yonaguni vor der Ostküste Taiwans, knapp 1400 Meter unter der Wasseroberfläche - gibt es so gut wie kein Leben, berichten die Meeresforscher in der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Schuld an dieser Tristesse ist ein natürliches CO2-Vorkommen: Unter einer wenige Zentimeter dicken Sedimentschicht liegt ein Kohlendioxid-See. Hier ist es über vier Grad warm - genau die richtige Temperatur, damit eigentlich gasförmiges Kohlendioxid sich im Sediment zu Hydraten verfestigt oder flüssig wird. Das macht den See zu einem "lebensfeindlichen Gebiet", sagt Antje Boetius vom MPI in Bremen. "Flüssiges Kohlendioxid wird in chemischen Reinigungen seit einiger Zeit gegen organische Verschmutzungen genutzt und ist daher sicher kein geeigneter Lebensraum für Mikroben."
"Naturlabor" zeigt Folgen des Tiefsee-Kohlendioxids
Außerdem steigen vom See aus kontinuierlich Kohlendioxid-Bläschen durch das Sediment auf. Das Meerwasser über dem See ist deswegen saurer als gewöhnlich - Kalkgehäuse von Mikroben und Tieren werden regelrecht weggeätzt.
Nur ein paar Mikroben scheinen dort unten überleben zu können. "In dem Sediment über dem CO2-See gab es über eine Milliarde Mikrobenzellen je Kubikzentimeter. 20 Zentimeter darunter, an der Grenzfläche zum See mit dem flüssigen Kohlendioxidsee war die Kohlendioxid-Konzentration höher - und die Zellzahl auf zehn Millionen gesunken", schreiben die Forscher. Diese und weitere Untersuchungsergebnisse wiesen darauf hin, dass das Leben über dem unwirtlichen Kohlendioxid-See "von der CO2-Konzentration und dem ph-Wert vor Ort abhängig sind", schließen die Forscher.
"Wir wollen nicht beweisen, dass das Kohlendioxid dort alles Leben tötet", sagt Boetius zu SPIEGEL ONLINE. Das untersuchte Gebiet sei lediglich ein "geeignetes Naturlabor": Es gebe nun einen ersten Befund, welche Effekte CO2 in der Tiefsee auf das mikrobielle Leben hätten.
Was passiert also, wenn man Kohlendioxid in die Tiefsee pumpt? Pläne, das Klima erwärmende Treibhausgas einfach im Meer zu versenken, gibt es seit Jahren. "Niemand kennt die Konsequenzen dieses CO2-Disposal", sagt die Meereswissenschaftlerin Boetius. Sie und ihre Kollegen wollten nicht urteilen, ob dieses Verfahren gut oder schlecht ist. "Wir wollen nur darauf hinweisen, dass mit steigendem CO2-Gehalt am Meeresgrund weniger Mikroben da unten leben."
"Warum soll das Meer zur Endlagerstätte werden?"
Gut 50 Meter von dem Kohlendioxid-See entfernt geht es nämlich viel lebhafter zu, erzählt Boetius. Da gebe es Schlote und Krebse. "Warum also sollen die Ozeane unsere Autoabgase aufnehmen? Warum sollen sie zur Endlagerstätte für Industrieabfälle werden", fragt sich Onno Groß von Deepwave.
Indes gibt es auf der ganzen Welt Projekte, Kohlendioxid unter die Meere zu bringen, wie eine Datenbank des "IEA Greenhouse Gas R&D Programme" zeigt . Das Programm wurde 1991 nach einem Abkommen der Internationalen Energieagentur (IEA) gegründet, um sich dafür zu engagieren, den Ausstoß an Treibhausgasen in die Atmosphäre zu reduzieren. Mitglieder sind Deutschland und 16 weitere Nationen, die Europäische Kommission, die Opec und Sponsoren aus der Industrie, darunter Shell, RWE und e-on.
Industrieanlagen sollen entstehendes Kohlendioxid nicht einfach in die Luft pusten, sondern gleich einfangen und direkt in den Tiefsee-Boden pressen - so steht es im IEA-Programm. Und diese Vorgabe unterscheidet sich in einem bedeutenden Punkt von anderen international diskutierten Plänen: Hier wird das Treibhausgas nicht auf den Meeresgrunde geleitet, wo es sich verflüssigen oder feste Hydrate bilden kann. Vielmehr sieht die IEA vor, dass es tief in den Meeresboden hineingepumpt wird, beispielsweise in leere Ölreservoire. Oder in salinare Aquifere - ausgedehnte, salzwasserhaltige Sandsteinschichten, die das Kohlendioxid wie ein Schwamm in ihre Poren aufsaugen - so, wie es Statoil seit 1996 tut.
Der norwegische Ölkonzern begann vor zehn Jahren in einem Pilotprojekt, das geräumige Sleipner-Reservoir in der Nordsee mit CO2 zu füllen. Der Verein Deepwave sieht auch dieses Projekt zwiespältig. "Kohlendioxid einfach so wegzudrücken, reduziert schnell und drastisch die CO2-Emissionen - was wir natürlich wollen", sagte Onno Groß zu SPIEGEL ONLINE. "Andererseits sind die Folgen noch unbekannt und es ist sicher nicht das richtige Zeichen, um unseren Planeten sauberer zu machen."