

Was passiert, wenn Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam ein Bild malen sollen? Die Macher der Internetplattform Reddit wollten genau das wissen und riefen ihre User dazu auf, eine digitale Leinwand zu füllen. Sie hatten dafür drei Tage lang Zeit, jeder durfte jedoch nur ein Pixel pro fünf Minuten platzieren. Mehr als eine Millionen Nutzer beteiligten sich an dem Sozialprojekt. Nun haben Forscher das Meisterwerk aus 16 Millionen Pixeln genauer analysiert und festgestellt: Kooperation ist der Schlüssel zum Erfolg.
"Die meisten User haben sehr schnell verstanden, dass sie zusammenarbeiten müssen, wenn sie ein Bild gestalten wollen, da jeder Einzelne nur wenige Pixel malen durfte", sagt Thomas Müller vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena zum SPIEGEL. Er hatte gemeinsam mit seinem Kollegen James Winters die Daten des Projekts aus dem vergangenen Jahr ausgewertet.
Alles blau
Es zeigte sich, dass die Leinwand mit der Zeit immer strukturierter wurde, je länger das Projekt dauerte, schreiben die Forscher im Fachblatt "Plos One". Am Anfang dominierten viele kleine Bilder, doch dann bildeten sich immer größere Gruppen, die versuchten, die komplette Leinwand nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Einige Nutzer versuchten beispielsweise, alles blau zu färben, andere zeichneten gemeinsam die Mona Lisa nach oder Figuren aus Videospielen wie Pokémon oder Zelda. "Keine Gruppe schaffte es jedoch, alle anderen zu verdrängen", sagt Müller. Das folgende Video zeigt im Zeitraffer, wie sich das Kunstprojekt über die drei Tage hinweg veränderte:
"Als der Platz auf der Leinwand knapp wurde, mussten die einzelnen Gruppen ihre Kunstwerke verteidigen, wenn sie nicht übermalt werden wollten", sagt Müller weiter. Nach und nach hätten sich einzelne Motive durchgesetzt, sodass in dem anfänglichen Chaos zunehmend eine Struktur zu erkennen war. "Das kennen wir auch aus anderen kulturellen Bereichen wie Sprache, wenn sich beispielsweise Regeln für die Grammatik herausbilden."
"Wie Bakterien in der Petrischale"
Am erfolgreichsten bei dem Kunstprojekt waren die Gruppen, die ihr Territorium auf der Leinwand verteidigen und möglichst viele Mitstreiter gewinnen konnten. Das bestätigt laut den Forschern die Theorie, dass kultureller Wandel ähnlich funktioniert wie biologische Anpassung.
"Es ist ein wenig wie bei Bakterien in einer Petrischale", erklärt Müller. "Mit begrenztem Platz und Ressourcen bilden die Kunstwerke letztendlich eine Art stabiles Ökosystem." Und in dem würden sich am ehesten die durchsetzen, die am erfolgreichsten zusammenarbeiten.
Einen besonders heftigen Kampf lieferten sich beispielweise zwei Gruppen, die die deutsche und die französische Flagge malten. Zunächst war die Trikolore von einer immer breiteren deutschen Fahne überdeckt worden. Schließlich einigten sich beide Gruppen darauf, Teile der deutschen Flagge zu einer EU-Flagge umzugestalten. Das ist laut den Forschern so, als ob man sagen würde: "Wenn du einen Teil von mir beschützt und ich einen Teil von dir, werden wir insgesamt beide sicherer sein."
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Eine Collage aus Motiven wie der Mona Lisa, Flaggen und Comicfiguren: Das kommt dabei heraus, wenn sich eine Million Menschen auf der Welt zusammentun, um ein virtuelles Meisterwerk zu schaffen.
Die Internetplattform Reddit hatte ihre Nutzer dazu aufgerufen, eine digitale Leinwand zu füllen. Sie hatten dafür drei Tage lang Zeit, jeder durfte jedoch nur ein Pixel pro fünf Minuten platzieren. Mehr als eine Millionen Nutzer beteiligten sich an dem Sozialprojekt. Hier sind unterschiedliche Phasen des Projekts zu sehen.
Die Mitspieler merkten schnell, dass sie zusammenarbeiten mussten, wenn ihre Motive deutlich erkennbar sein sollten.
Dieses Bild zeigt, wie sich einzelne Motive entwickelten. In der Mitte ist zu sehen, wie einzelne Pixel langsam das Bild von links bilden, ein Charakter aus dem Videospiel "Zelda". Unten versucht eine Gruppe, die gesamte virtuelle Leinwand blau zu färben.
Nun haben Forscher das Meisterwerk aus 16 Millionen Pixeln genauer analysiert. Sie maßen dabei die Entropie des Gemäldes - also die Unordnung. Die blauen Flächen zeigen Bereiche, die ein Muster bilden, die orangen Flächen sind dagegen eher ungeordnet.
Dieses Bild zeigt das Maß an Entropie. Das rote Viereck ist absolut homogen und daher kaum "unordentlich", die beiden Muster dagegen bilden komplexere Strukturen.
Die Forscher fanden heraus, dass die geordneten Strukturen über die Zeit hinweg zunahmen. Ein Zeichen dafür, dass sich einzelne Motive durchsetzten, weil besonders viele Mitspieler zusammenarbeiteten. Für die Forscher ist das ein Argument dafür, dass kultureller Wandel einer Logik folgt, die biologischer Anpassung ähnelt. Erfolgreiche Individuen sind demnach gut darin, ihre Territorien zu verteidigen, aber Kooperation sei der Schlüssel zum Erfolg.