Konsumstudie Chinesen sind ökologisch - aus purer Not

China gilt als Umweltverschmutzer und Klimasünder - die Chinesen selbst aber verhalten sich im Alltag umweltfreundlicher als die Deutschen, wie eine neue Studie ergab. Mit einem größeren Umweltbewusstsein hat das jedoch wenig zu tun.
Von Nadine Diehl

Lanzhou, im Zentrum Chinas – eine Stadt, fast so groß wie Schleswig-Holstein. Jedes Jahr landet sie unter den vom Blacksmith Institute ermittelten 30 dreckigsten Städten der Welt. Im Winter schafft es die Sonne nur selten, den grau-braunen Schleier aus Smog zu durchdringen. Unweit vom Stadtzentrum bahnt sich der Gelbe Fluss durch die versmogte Millionenstadt. Lanzhou ist nicht irgendeine Stadt. Sie steht für ein ganzes Land, geplagt von den Folgen des Klimawandels und unzähligen, hausgemachten Umweltproblemen.

Dreckige Flüsse, versmogte Städte, ineffiziente Kohlekraftwerke - Chinas boomende Wirtschaft geht auf Kosten der Umwelt. Der Wunsch nach Wohlstand der Chinesen wächst und damit der Energiehunger des Landes. Schon jetzt liegt China in Sachen CO2-Produktion an Platz zwei - hinter den USA. Manche Experten glauben sogar, dass es längst die Nummer eins der Treibhausgasemittenten weltweit ist.

Greendex 2008

Land Index
Brasilien 60,0
Indien 60,0
China 56,1
Mexiko 54,3
Ungarn 53,2
Russland 52,4
Großbritannien 50,2
Deutschland 50,2
Australien 50,2
Spanien 50,0
Japan 49,1
Frankreich 48,7
Kanada 48,5
USA 44,9
Quelle: National Geographic/Globescan

Umso überraschender sind die Ergebnisse einer neuen Studie namens "Greendex 2008" , die die National Geographic Society und das Meinungsforschungsinstitut GlobeScan verfasst haben. Das Riesenland China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern mag in seiner Gesamtheit ein Umweltverschmutzer sein. Die Chinesen selbst aber verhalten sich im Alltag recht umweltfreundlich, wie die Greendex-Studie ergeben hat - wenn wohl auch weniger aus Umweltbewusstsein, denn aus finanzieller Not heraus. In der Studie wurde untersucht, wie umweltfreundlich das Konsumverhalten der Menschen in 14 verschiedenen Ländern ist. Dazu wurden jeweils 1000 Menschen befragt. Wer möchte, kann den verwendeten Frageboden auch online ausfüllen und so seinen eigenen Öko-Index berechnen .

Ergebnis der Befragung von weltweit 14.000 Menschen: Die Chinesen landeten auf Platz drei - hinter den Brasilianern und Indern. Die Deutschen waren nur im Mittelfeld, die US-Amerikaner erwartungsgemäß auf dem letzten Platz - sie gehen im Alltag am sorglosesten mit der Umwelt um.

Laut der Studie schnitten die Schwellenländer so gut ab, weil die Menschen dort weder stromschluckende Geräte noch aufwendig in Plastik verpackte Lebensmittel kaufen – im Gegensatz zu den Einwohnern in Industrieländern. In China besitzt kaum jemand ein eigenes Auto. Fast die Hälfte fährt mit dem Rad oder geht zu Fuß. Auch die Ernährung ist umweltfreundlicher: Die Chinesen essen hauptsächlich einheimisches Gemüse, nur fünf Prozent der Befragten gab an, sich täglich von Fleisch zu ernähren. Thomas Heberer, Professor für die Politik Ostasiens an der Uni Duisburg-Essen, hält die Aussage der Studie jedoch für äußerst problematisch. "Umweltthemen spielen zwar eine immer größere Rolle in den Medien, in der öffentlichen Meinung und auch unter Parteifunktionären", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, "das Bewusstsein für die Probleme in der Bevölkerung ist jedoch immer noch relativ gering, vor allem im eher ländlich geprägten Westen Chinas".

Krebs ist mittlerweile Todesursache Nummer eins

Dort zähle für die Bewohner in erster Linie, den eigenen Lebensstandard zu erhöhen. Das Konsumverhalten richte sich daher primär nach dem Preis und weniger nach der Umwelt. Dabei ist China auf unserem Globus das Land mit den meisten Umweltgesetzen: In den vergangenen Jahren wurden rund 100 neue Gesetze erlassen, kaum eines davon wird auf lokaler Ebene wirklich durchgesetzt. Umweltverschmutzende Fabriken sind immer noch in Betrieb, obwohl sie nach den geltenden Umweltstandards schon längst hätten geschlossen werden müssen. Es gibt kaum eine Stadt, in der schon mal ein Umweltsünder vor Gericht stand. Dabei drängt die Zeit: Zwei Drittel der Bevölkerung in Chinas 642 Städten lebt nach Erhebungen der staatlichen Umweltbehörde in einer Umgebung mit schlechter oder sehr schlechter Luftqualität. Krebs ist mittlerweile Todesursache Nummer eins.

Die 52-jährige He Ling lebt seit ihrer Kindheit in so einer Stadt, in Lanzhou. Sie arbeitet als Seminarleiterin bei der Provinzgewerkschaft, umgerechnet verdient sie 300 Euro pro Monat. Damit gehört sie zu den Besserverdienenden in ihrer Region. "Zum Supermarkt geh' ich so gut wie nie", sagt sie. "Erstens ist mir das zu teuer und zweitens ist das abgepackte Gemüse doch gar nicht mehr richtig frisch." Alle zwei Tage läuft die zierliche Frau zum Markt, der ein paar Straßen weiter von ihrer Wohnung entfernt ist. Ein Auto kann sich He Ling nicht leisten, aber auch mit dem Bus fährt sie nur selten, obwohl die Fahrt in die Innenstadt gerade mal einen Yuan kostet.

Bei einem Blick über die Hochhäuser Lanzhous fallen sofort die vielen Solaranlagen auf, mit denen die Dächer bedeckt sind. Auch He Ling besitzt so eine Anlage. Die Solarzellen haben für sie vor allem den Vorteil, dass sie damit Elektrizitätskosten spart. Dass sie mit ihrem Verhalten der Umwelt etwas Gutes tut, war ihr dabei gar nicht bewusst. Aber auch sie spürt täglich die Umweltbelastungen und ist um ihre eigene Gesundheit besorgt.

Laut Lloyd Hetherington, leitendem Autor der Greendex-Studie, zieht sich diese Besorgnis durch alle Schichten in der chinesischen Bevölkerung. "Es herrscht in China ein wirkliches Bewusstsein für Umweltprobleme, welches sich nicht mit dem fehlenden Wohlstand der Menschen erklären lässt", sagt Hetherington. Die Menschen in höheren Einkommensklassen hätten nur einen geringfügig schlechteren Greendex-Score, was daran liege, dass sie einfach mehr, aber nicht umweltunfreundlicher konsumieren. Im Vergleich zu geringer Verdienenden seien sie eher darüber besorgt, dass Umweltprobleme einen negativen Einfluss auf ihre Gesundheit haben.

Das Geschäft mit dem Abfall boomt

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hält die Aussage der Studie für äußerst problematisch. "China hat noch gar nicht unseren Entwicklungsstand erreicht", sagt sie. "Wenn das Durchschnittseinkommen erst mal in der Bevölkerung steigt, werden auch die Chinesen Autos fahren und sich große Häuser kaufen wollen." Das Ranking ist Kemfert zufolge daher nur eine Bestandsaufnahme und setzt die Ergebnisse nicht in Relation zum Wohlstand. Allerdings ist sie davon überzeugt, dass die Chinesen unsere Fehler nicht nachmachen wollen und gerne umweltfreundliche Technologie einsetzen würden. "Wenn Deutschland umweltfreundliche Kohlekraftwerke entwickeln würde, würde China diese sofort nachfragen", sagt sie. "Aber davon sind wir noch weit entfernt."

Die Greendex-Studie soll nun Konsumenten, Regierungen und Firmen zugänglich gemacht werden, um auf den Ergebnissen aufzubauen. "Regierungen und Hersteller spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Auswahl an 'grünen' Produkten für die Bevölkerung zu vervielfältigen", sagt Hetherington.

Auch in anderen Bereichen gibt es Lichtblicke. Beispielsweise in der Recycling-Industrie. 60 Prozent aller Karton- und Papierprodukte werden in China aus Altpapier hergestellt. Laut Forest Trends, einer unabhängigen amerikanischen Expertengruppe, hat China seit 2002 65 Millionen Tonnen Altpapier vor allem aus Amerika und Europa recycelt und zu Kartons für den Export verarbeitet. Das sind sieben Prozent des Altpapiers der Welt. Allein im Jahr 2006 hat China, laut der Studie, dadurch 55 Millionen Tonnen Holz eingespart. Damit schützt China indirekt die Wälder und verhindert, dass das Papier im Ausland ungenutzt auf Mülldeponien landet.

Das Geschäft mit dem Abfall boomt. Überall in den Großstädten streifen Müllsammler umher auf der Suche nach verwertbarem Abfall. Verwertbar sind Plastik, Kartons, Glas und Metall - also alles, was sich an Recycling-Firmen oder einen Zwischenhändler weiterverkaufen lässt. Ganze Höfe sind in Chinas Armutsvierteln mit Müll vollgestopft – auch in Lanzhou. He Ling hat den Müll, die verschmutzte Luft und die fehlende Natur jedenfalls satt. Sie will in drei Jahren in den Süden ziehen, wo alles viel grüner und die Luft sauberer sei. "In die südlichen Küstenstädte fahren doch immer die Touristen. Da wird eher darauf geachtet, dass alles schön ordentlich ist", sagt sie. Eine bisschen frische Luft ist es ihr jedenfalls wert, ihrer Heimatstadt den Rücken zu kehren.

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