
Überschwemmungen in Venedig Flut der Kreuzfahrtschiffe
Venedigs Wolkenkratzer beherbergen jeweils zwischen 4000 und 6000 Bewohner. Die Rede ist von großen Kreuzfahrtschiffen, die mehrmals täglich in die Lagunenstadt einfahren. Etwa 1700 große Schiffe schoben sich vergangenes Jahr durch den Guidecca-Kanal in den Hafen der Stadt. Die Ozeanriesen sind zum Sinnbild geworden: Der Tourismus, der Geld in Venedigs Kassen bringt, wird zum Problem.
Daten von Radarsatelliten zeigen, dass der Boden der Stadt absinkt, bis zu einen Zentimeter pro Jahr - und die Schiffe scheinen eine Ursache zu sein. Die Radarwellen des Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) werden regelmäßig am Boden reflektiert. Sie benötigen immer mehr Zeit für die Strecke - der Abstand zur Erde nimmt zu, der Boden sackt ab. Ursachen sind vermutlich die Entnahme von Grundwasser und die tektonischen Bewegungen der Erdplatten, die die Alpen türmen - ihre Umgebung aber teils einsinken lassen.
Doch es gibt offenbar eine weitere Ursache: Das größte Absacken habe er an den Kanälen beobachtet, in denen der meiste Schiffsverkehr herrscht, sagt Luigi Tosi, Geologe am Forschungsinstitut ISMAR-CNR in Venedig. Der starke Wellenschlag von Kreuzfahrtschiffen und anderen Wasserfahrzeugen könnte einen wesentlichen Beitrag zu der beängstigenden Entwicklung der Stadt leisten.
Die in Lehm gesteckten Holzpfähle der Fundamente Venedigs müssen ständig kontrolliert und ausgetauscht werden, ebenso die Fassaden der Palazzi. Salz und Wasser zerfressen die Backsteine, so dass auch diese ständig wieder restauriert und bisweilen sogar ausgetauscht werden müssen. "Der Boden unter Venedig ist schlammig und sehr weich. Das zusätzliche Gewicht der Restaurierungsarbeiten lässt die Palazzi an dieser Stelle stark einsinken", sagt Tosi.
"Kirchen, Palazzi und Brücken nicht in Ordnung"
Die Instandhaltungsarbeiten seien unbedingt notwendig, sagt Hydrogeologe Pietro Teatini von der Universität Padua. "Jeder, der an den Kanälen vorbeigeht, sieht, dass die Kirchen, Palazzi und Brücken statisch nicht in Ordnung sind." Schädliche Nebeneffekte sollten möglichst verringert werden.
Kreuzfahrtschiffe tragen aber nicht nur zum Absinken der Stadt bei, sondern sie verschmutzen auch Luft und Wasser: Elisabetta Zendri von der Universität Ca' Foscari in Venedig hat am Markusdom untersucht, welchen Effekt Schadstoffe in der Luft auf die historischen Gebäude haben. Gase und Partikel, die in den Abgasen vorkommen, lagern sich an den Fassaden ab und beschädigen sie, berichtet die Forscherin.
"Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid beschädigen die historischen Bauwerke, besonders den Marmor und den porösen Pietra d'Istria, aus dem viele Säulen gemacht sind", sagt Zendri. Die Stoffe lagerten sich an den Fassaden ab und verursachten erhebliche Kosten bei der Restaurierung. "Kreuzfahrtschiffe tragen ihren Teil dazu bei; es bräuchte aber noch genauere Studien hierzu", meint die Expertin.
Der Tourismus nutze der Stadt nicht nur, er schade Venedig auch, unterstreicht Giuseppe Tattara, Wirtschaftsprofessor an der Universität Ca' Foscari. "Der Gewinn, der Venedig durch die Kreuzfahrten entsteht, beträgt 290 Millionen Euro pro Jahr", schreibt er in einer aktuellen Studie. Die Kosten, die der Stadt durch die Schiffe entstünden, lägen etwa genauso hoch. Heben sich deshalb Vor- und Nachteile auf? "Nein", meint Tattara: "Denn viele Umweltschäden kennen wir noch gar nicht und können sie daher auch nicht beziffern."
Schiffe in Schach gehalten
In letzter Zeit verschärften sich die Proteste: Ende September 2013 haben sich rund 50 Mitglieder des venezianischen Komitees gegen Kreuzfahrtschiffe "No Grandi Navi" ins Markusbecken und in den Kanal vor dem Stadtviertel Giudecca gestürzt - dort, wo die meisten Kreuzfahrtschiffe vorbei fahren. Mehr als tausend Schaulustige konnten beobachten, wie die schwimmende Barriere aus Protestierenden ein Dutzend Kreuzfahrtschiffe mehr als eine Stunde lang in Schach hielt und daran hinderte, die Kanäle zu durchqueren.
Der Staat hat mittlerweile reagiert und bei der Ministerkonferenz Anfang November 2013 in Rom beschlossen, dass Kreuzfahrtschiffe mit einer Bruttoraumzahl (BRZ) von mehr als 96.000 ab November 2014 nicht mehr durch Venedig fahren dürfen. Bereits ab Januar 2014 wird die Zahl der Kreuzfahrtschiffe um 25 Prozent verringert.
Für den gebürtigen Venezianer Tommaso Cacciari von "No Grandi Navi" ist das ein fauler Kompromiss. "Dass sie die Anzahl der Schiffe verringert haben, war ein guter Schritt", sagt der Aktivist. "Aber es bleibt immer noch das Terminal für die Ankunft der Kreuzfahrtschiffe inmitten der Stadt. Das hätte verlegt werden sollen."
Zudem hätte die Regierung nach dem Costa-Concordia-Unglück beschlossen, dass Schiffe mit einer BRZ von mehr als 40.000 den Küsten fernbleiben müssten. "Warum", fragt Caccirai, "haben sie diesen Wert jetzt auf 96.000 angehoben?"