Neue Daten zu Lichtverschmutzung Das Ende der Nacht

Ein neuer Atlas zeigt, wie künstliche Beleuchtung den nächtlichen Sternenhimmel an vielen Orten der Welt verschwinden lässt. Ein Drittel der Menschheit kann die Milchstraße schon nicht mehr sehen.
Fotostrecke

Lichtverschmutzung: Strahlende Schönheit

Foto: REUTERS/ NASA

Das Reich der Finsternis beginnt bei 38 Grad nördlicher Breite. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aus dem All ist klar zu sehen, wo das Staatsgebiet von Südkorea endet und das von Nordkorea anfängt: Der Süden funkelt hell, der Norden ist zappenduster. Fortschritt und Prosperität auf der einen Seite der Grenze, Rückwärtsgewandtheit und Armut auf der anderen.

Doch Christopher Kyba vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam weiß, dass diese Symbolik ein Problem hat: Auch an der Grenze zwischen Deutschland und Belgien trifft nachts gleißendes Licht auf finsterste Dunkelheit. Belgien leuchtet, Deutschland nicht - ohne dass hier zwei total verschiedene Wirtschaftssysteme aufeinandertreffen.

Ökonomische Leistungskraft und nächtliche Beleuchtung hängen also offenbar nicht zwingend zusammen - auch wenn es beim Blick auf einen neuen Atlas, an dem Kyba mitgearbeitet hat, zunächst so scheinen mag. "In einem Großteil Europas findet die Nacht nicht mehr statt. Wir haben nur noch Tag und Dämmerung", beklagt der Forscher.

Die Beleuchtungslandkarten, über die Forscher um Fabio Falchi vom Istituto di Scienza e Tecnologia dell'Inquinamento Luminoso im italienischen Thiene nun im Fachmagazin "Science Advances"  berichten, zeigen: Mittlerweile kann ein Drittel der Menschheit die Milchstraße nicht mehr sehen - weil der Nachthimmel vom Licht der Städte, der Industrieanlagen, der Autobahnen an vielen Orten überstrahlt wird.

Richard Green von der University of Arizona leitet ein Komitee der Internationalen Astronomischen Union, das sich mit Lichtverschmutzung befasst. An der aktuellen Studie war er nicht beteiligt. Er hält sie nach eigener Aussage aber für "bedeutsam" und lobt ihre "wissenschaftlich präzisen Methoden". Die Arbeit biete ein "alarmierendes grafisches Bild unserer Erde bei Nacht".

Sehen Sie in der Fotostrecke, wie unsere Welt strahlt:

Fotostrecke

Neuer Atlas: So hell strahlt die Welt

Foto: EurekAlert/ Fabio Falchi

Die neue Publikation löst einen Atlas aus dem Jahr 2001 ab. Wichtigstes Hilfsmittel für die Neufassung war ein spezielles Messgerät auf dem US-Wettersatelliten "Suomi NPP". Dessen Daten wurden allerdings durch Messungen am Boden geeicht - und dabei halfen den Forschern zahllose Freiwillige, die eine App auf ihrem Handy installiert hatten.

"Für das Licht, das nach oben abgestrahlt wird, ist der Satellit prima", erklärt Kyba. "Aber es geht eben auch Licht nach unten." Und da kommen die Messungen der ehrenamtlichen Hilfswissenschaftler ins Spiel. "Rund 20 Prozent der Eichdaten kamen von 'citizen scientists'. Ohne sie hätten wir keine Daten außerhalb Europas und Nordamerikas", sagt der Forscher.

Unter den 20 wichtigsten Industrienationen der Welt ist das Problem der Lichtverschmutzung - wenn man die betroffene Fläche ansieht - in Italien und Südkorea am größten. Deutlich besser schneiden dagegen die in weiten Teilen nur dünn besiedelten Länder Kanada und Australien ab.

Die Forscher haben aber auch eine andere, ganz praktische Auswertung ihrer Daten vorgenommen. Dabei ging es um die Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mensch von seinem Zuhause aus noch die Milchstraße erkennen kann? Schlechte Noten gibt es hier für Saudi-Arabien und Südkorea. Vorn liegt dagegen - für manche womöglich überraschend - neben Indien auch Deutschland.

Fotostrecke

Helle Nächte: Lichtkuppeln über Metropolen

Foto: Christopher Kyba

Im vergangenen Jahr hatten Kyba und Kollegen im Fachmagazin "Remote Sensing"  vorgerechnet, dass deutsche Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern im Vergleich zu den USA nur ein Fünftel der Lichtmenge pro Kopf emittieren. Weil sie an Wolken reflektiert werden, strahlen Stadtlichter oft auch weit ins Umland hinein - der Effekt beeinflusst also große Flächen.

Wer in Europa gezielt die Dunkelheit sucht, kann sie am ehesten noch in Schottland, Schweden oder Norwegen finden, auch in Teilen Österreichs und Spaniens. Auch in Deutschland gibt es einige Gegenden, die sich gezielt als Refugien für Sternengucker vermarkten - in der Rhön, in der Eifel und im Havelland.

Während die ganz handfesten Folgen von Luftverschmutzung längst gut verstanden sind, Atemwegserkrankungen und Schlaganfälle zum Beispiel, ist es mit der Lichtverschmutzung nicht so einfach. Der Verlust der Nacht beeinflusst Ökosysteme aber massiv, so viel scheint allein durch die vorliegenden, schlaglichtartigen Erkenntnisse klar: So bewegt sich Zooplankton im Wasser laut einer Studie  nicht mehr so stark wie früher im Rhythmus eines Tages - und könnte damit ganzen Nahrungsketten fundamentale Umwälzungen bescheren. Manche Pflanzen wiederum entwickeln unter Kunstlicht weniger Blüten.

Verdoppelung oder Verdreifachung des Problems droht

Eine andere Studie  belegt, dass die Wanderung von Schildkröten-Jungtieren durch Beleuchtung gestört wird, eine weitere  befasst sich mit dem nachteiligen Einfluss von Straßenlicht auf den Pollentransport durch Motten. Und noch eine Arbeit  hat untersucht, wie das Massenlaichen von Korallen im Great Barrier Reef durch Lichtverschmutzung durcheinandergebracht wird. Doch insgesamt wissen Wissenschaftler noch ziemlich wenig zur Frage, was das Ende der Dunkelheit an negativem Folgen bringt.

Durch bewussten Einsatz von Technik ließe sich das Problem der Lichtverschmutzung jedenfalls lindern, glauben die Autoren des neuen Atlas. Ein Teil der Lösung könnten Straßenlampen sein, die nur bei Bewegung angehen - und die ihr Licht außerdem nur nach unten abstrahlen.

Kommen solche Lösungen nicht zum Einsatz, könnte sich das Problem in Zukunft allerdings weiter verschlimmern. Das liegt daran, dass vielerorts alte Gasentladungsröhren durch LED-Lampen ersetzt werden. Zum Energiesparen ist das sicher eine gute Idee - was die Lichtverschmutzung angeht, dagegen nicht: Das weiße LED-Licht könnte die Nächte bei klarem Himmel künftig sogar noch heller machen.

Forscher Fabio Falchi warnt deswegen: "Wenn wir nicht sehr genau auf das LED-Spektrum und die Beleuchtungsstärken achten, könnte das zu einer Verdoppelung oder sogar Verdreifachung der Himmelsaufhellung in klaren Nächten führen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren