Mikro-Terroristen Killeralgen töten Millionen Fische
Vor Ort bieten sich deprimierende Bilder: zwei Millionen tote Fische in einem See namens Granbury, mehrere Zehntausend im Possum Kingdom Reservoir und an weiteren Stellen im Einzugsgebiet des Flusses Brazos. Zahlen allein aus den vergangenen Wochen. Leblos im Wasser treiben vor allem Alsen, enge Verwandte von Hering und Sardine. Es trifft aber auch andere, kommerziell gezüchtete oder von Anglern geschätzte Arten. Das Texas Parks and Wildlife Department (TPWD) meldet auch Verluste in Fischzucht-Betrieben.
Gelblich verfärbtes Wasser und ein Schaumfilm auf der Oberfläche verraten den Experten, wer hinter dem Massensterben steckt. Es ist eine winzige, mit bloßem Auge nicht zu erkennende Alge mit einer Vorliebe für brackiges Wasser, wie es im Mündungsgebiet von Flüssen vorkommt, der Übergangszone von Süß- und Salzwasser. Biologen kennen die Art unter ihrem lateinischen Namen Prymnesium parvum; die Leute in Texas sprechen schlicht von der "Gold-" oder "Killeralge".
Das böse Etikett ist nicht übertrieben, denn die Alge besitzt hochpotente Chemiewaffen. "Die von Prymnesium ins Wasser abgegebenen Gifte greifen die Zellmembran anderer Einzeller an", weiß der Biologe Urban Tillmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. "Es setzt ein Prozess ein, bei dem die Zelle zuerst ihre Beweglichkeit verliert, dann ihre Form, und letztlich vollständig zerfällt." Aber auch höhere Organismen wie Fische und Muscheln fallen der Mikroalge zum Opfer, wenn sie die ausgestoßenen Zellgifte über die Kiemen aufnehmen.
Zahl der befallenen Gewässer wächst
Das erste solche Fischsterben gab es in Texas 1985. Seither sind laut TPWD fast 18 Millionen Fische durch Prymnesium-Massenblüten getötet worden. Und neuerdings zeigt der gemeingefährliche Giftzwerg stärkere Ausbreitungstendenzen: Die Zahl der betroffenen Gewässer nimmt laut TPWD seit 2001 zu. Inzwischen seien zwei Dutzend Flüsse und Seen betroffen, rund 120 Gewässer werden permanent überwacht.
Doch die Killeralge tötet auch anderswo, wenn auch nur gelegentlich und nicht so gehäuft wie derzeit in Texas. Wie der TPWD-Forscher Sean Watson herausfand, trat Prymnesium parvum schon 1938 und 1939 unangenehm in Erscheinung. Da brachte die Alge vor der dänischen und niederländischen Küste offenbar tausende Hechte, Barsche, Plötze, Brassen, Schleien und Aale um.
In Israel wütete sie in Karpfenteichen, in England zwischen 1969 und 1975 vor allem in der Thurne und ihren Nebenflüssen. 1989 traf es norwegische Aquakulturen, wo plötzlich Lachse und Regenbogenforellen zuhauf starben; der Spuk dauerte acht Jahre. Fischsterben durch Prymnesium-Toxine wurden schließlich auch aus Marokko, Australien und China gemeldet.
Chimäre, die Fressfeinde vergiftet
Auch in Deutschland hat die Giftalge schon zugeschlagen. 1975 trieben Karpfen leblos in einem Teich auf Fehmarn, 1978 kamen Aale in einem Rückhaltebecken bei Büsum um.
Warum der lautlose Killer von seinen Chemiewaffen gerade in Texas so regen Gebrauch macht, ist bisher ein Rätsel. Die Meeresökologin Edna Graneli von der Universität Kalmar in Schweden glaubt aber zu wissen, was die Alge dazu bringt, ihre Toxine einzusetzen - Nährstoffmangel: "Prymnesium produziert um so mehr Gift, je niedriger der Gehalt an Stickstoff und Phosphor im Wasser ist."
Dann offenbart die Alge ihre chimärenhafte Natur: Halb ist sie Pflanze und gewinnt Energie aus der Photosynthese; halb ist sie Tier, das andere Plankton-Arten oder sogar Fressfeinde vergiftet und anschließend verschlingt. "Ganze Horden von Algen machen sich so über die dreimal größeren Leichen von Geißeltierchen her und verzehren sie Stück für Stück", hat Urban Tillmann bei seinen Laborstudien beobachtet. Die Kadaver liefern im Wasser rar gewordene Nährstoffe.
Auch die Armee macht mit bei "Aktion Goldalge"
In Texas läuft inzwischen eine Art konzertierte "Aktion Goldalge", an der sich ein Dutzend staatliche Institutionen, Universitäten und sogar die US-Armee beteiligen. Man will mehr über die Biologie des Killers erfahren – und Wege finden, die Massenblüten einzudämmen. Zwar gibt es anorganische Bekämpfungsmittel wie Kupfer- und Ammoniumsulfat, die auch eine Zulassung der US-Umweltbehörde EPA besitzen. Chemikalien ins Wasser zu gießen, gilt jedoch nicht mehr als zeitgemäß. Das TPWD experimentiert jetzt mit Gerstenstroh, Forscher der Woods Hole Oceanographic Institution mit Tonmineralen. Die sollen die Killeralgen förmlich aufsaugen und mit ihnen auf den Gewässergrund sinken.
Doch das verlagert das Problem nur. "Die bisherigen Ergebnisse sind nicht gerade viel versprechend", sagt Edna Graneli. Denn auch am Grund blieben die Algen-Toxine weiter wirksam. Dann schädigten sie vielleicht keine Fische mehr, dafür aber Bodenorganismen. In den bisherigen Versuchen, so Graneli, seien die abgesunkenen Giftstoffe erst nach mehr als 15 Tagen abgebaut worden.
Auch in Europa wollen sich Forscher jetzt stärker mit Prymnesium parvum und anderen Giftalgen befassen. In neuen EU-Projekten sollen unter anderem Biotest-Systeme entwickelt werden, um Massenvermehrungen gefährlicher Arten frühzeitig erkennen zu können. "In den letzten Jahren sind solche Ereignisse ein zunehmendes Problem geworden", heißt es beim beteiligten Alfred-Wegener-Institut, "insbesondere entlang europäischer Küsten."