Mysteriöser Massentod Bienensterben könnte Lebensmittelkrise auslösen

Das mysteriöse Bienensterben in den USA alarmiert inzwischen auch Ernährungsexperten: Das Verschwinden der Insekten könne eine Krise in der Nahrungsversorgung auslösen. Inzwischen kursieren teils bizarre Theorien über die Gründe der Misere.

Der Befund klingt dramatisch: Auf eine zweistellige Milliardenhöhe beziffern Forscher inzwischen die Zahl an Honigbienen, die in den USA spurlos verschwunden sind. Etwa jedes vierte der 2,4 Millionen US-Bienenvölker ist zusammengebrochen. Auch in Deutschland beträgt der Rückgang der Bienenpopulation nach Angaben des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbunds (DBIB) 25 Prozent. Während Biologen über die Gründe des Massensterbens rätseln - die Theorien reichen von Milbenbefall über Seuchen bis hin zu schädlicher Mobilfunk-Strahlung - warnen Ernährungsexperten jetzt vor den Folgen für den Menschen.

Bienen bei der Mahlzeit: Rätselhaftes Massensterben in den USA

Bienen bei der Mahlzeit: Rätselhaftes Massensterben in den USA

Foto: REUTERS

Der Tenor: Wenn das Bienensterben nicht bald endet, könnte es ernsthafte Folgen für die Nahrungsmittelversorgung in den USA haben. Bienen produzieren nicht nur Honig, sondern bestäuben auch mehr als 90 Gemüse- und Obstsorten. Äpfel, Nüsse, Avocados, Sojabohnen, Spargel, Broccoli, Sellerie, Kürbisse und Gurken dürften ohne Bienen rar werden. Auch süße Dinge wie Zitrusfrüchte, Pfirsiche, Kiwis, Kirschen, Blau- und Erdbeeren und diverse Melonensorten sind auf die Befruchtung der fliegenden Arbeiter angewiesen.

Wasser und Brot statt leckerer Früchte?

Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums basiert rund ein Drittel der Ernährung der Amerikaner auf Pflanzen, die von Insekten bestäubt werden - 80 Prozent davon durch Honigbienen. Auch indirekte Effekte des Bienensterbens auf die Nahrungsmittelversorgung sind möglich: Rinder etwa ernähren sich von Pflanzen wie der Luzerne, die ebenfalls von Bienen bestäubt werden.

Wenn sich der Zusammenbruch der Bienenpopulation fortsetze, "könnten wir am Ende nur noch mit Getreide und Wasser dastehen", sagte Kevin Hackett vom US-Landwirtschaftsministerium. Das Bienensterben sei die "größte allgemeine Bedrohung unserer Lebensmittelversorgung". US-Landwirtschaftsminister Mike Johanns äußerte sich ähnlich alarmiert: "Die Krise droht die Produktion von Getreidesorten auszulöschen, die auf die Befruchtung durch Bienen angewiesen sind."

Manche Wissenschaftler widersprechen zwar mit dem Hinweis auf frühere Massensterben. Dennoch erscheint das jetzige Phänomen, das auch "Colony Collapse Disorder" (CCD) genannt wird, besonders rätselhaft. Bei früheren Ereignissen dieser Art fanden Imker die toten Bienen in der Nähe des Stocks. Diesmal aber sind die Tiere einfach verschwunden.

Erste Forschungsergebnisse deuten auf einen Krankheitserreger oder Parasitenbefall hin. Experten machen unter anderem die Varroamilbe für das Bienensterben verantwortlich. Allerdings haben Wissenschaftler in einigen betroffenen Bienenstöcken keine Spur des Parasiten entdecken können, weshalb immer wieder von einem weiteren, bisher unbekannten Faktor die Rede ist.

Was lässt die Bienen sterben? Forscher versuchen, das Rätsel zu lösen - und im Internet kursieren teils bizarre Theorien

Jeff Pettis, oberster Bienenforscher des US-Landwirtschaftsministeriums, hat vier Auslöser des Massentods im Verdacht: einen Parasiten, ein unbekanntes Virus, Bakterien, Pestizide oder eine Kombination von zweien dieser vier Faktoren.

Experimente haben US-Medienberichten zufolge ergeben, dass Insektenvernichtungsmittel als Auslöser weniger wahrscheinlich sind. Anschließend haben Pettis und seine Kollegen einige der betroffenen Bienenstöcke bestrahlt und sie mit neuen Kolonien ausgestattet. In den bestrahlten Stöcken hätten die Bienen sich schneller vermehrt, was auf einen Krankheitserreger oder Parasiten hindeute, der durch Strahlung getötet werden kann.

Inzwischen fragen sich einige Wissenschaftler, ob sich die Menschheit vielleicht nicht zu abhängig von Honigbienen macht. Laut einer Studie des US-Kongresses tragen die kleinen Tiere jährlich einen Wert von umgerechnet elf Milliarden Euro zur Lebensmittelproduktion der USA bei. Unter den rund 17.000 bekannten Bienenarten sind Honigbienen diejenigen, denen die Hauptarbeit bei der Befruchtung der nordamerikanischen Nutzpflanzen zufällt.

Seit längerem schon sind mehrere Faktoren bekannt, die zum Zusammenbruch der Bestände vor allem der amerikanischen Honigbiene führen könnten. Die Zuchtbestände sind zwischen 1947 und 2005 bereits von 5,9 auf 2,4 Millionen Kolonien zurückgegangen.

"Perfekter Sturm" bedroht das Überleben der Bienen

Zudem hat die Entzifferung des Honigbienen-Genoms einige beunruhigende Erkenntnisse gebracht: Das Insekt verfügt über keine besonders gute genetische Ausstattung, um Giften oder Krankheiten zu widerstehen. Fruchtfliegen oder Mücken besitzen die doppelte Zahl an Genen für die Bekämpfung von Toxinen, sagt etwa May Berenbaum, Insektenkundlerin an der University of Illinois. "Honigbienen könnten gegenüber Krankheiten und Giften besonders verwundbar sein", so die Forscherin.

Ihr Kollege Hackett sorgt sich bereits um das Überleben der Honigbiene in den USA: "Offen gestanden ist es die Frage, ob die Bienen diesen perfekten Sturm überstehen können", sagte Hackett, der das Büro von US-Vizepräsident Dick Cheney in Sachen Bienentod berät. "Wahrscheinlich werden wir erst am Ende des Sommers wissen, ob sie widerstandsfähig genug sind, sich zu erholen."

Jerry Bromenshenk von der University of Montana hat ebenfalls extrem schnelle Zusammenbrüche von Bienenbeständen beobachtet, will aber derzeit noch nicht von einer drohenden Nahrungsmittelkrise sprechen. "Ich bin noch nicht bereit, in Panik zu verfallen."

Bizarre Mythen über die Gründe

Denn obwohl seine Kollegen dem Bienensterben dieses Jahres mit "Colony Collapse Disorder" einen eigenen Namen gegeben haben, könnte das Phänomen bereits aufgetreten sein. So habe es in den sechziger und siebziger Jahren ähnliche Massensterben gegeben. Stellenweise habe es auch 2004 in den USA und Deutschland vergleichbare Fälle gegeben. "Das Problem ist, dass jeder eine einfache Antwort haben will", sagte Bienenforscher Pettis. "Aber es könnte keine geben."

Derweil sprießen im von Verschwörungstheorien übervollen Internet die Mythen über den Bienentod. So werden inzwischen die Konzerte von Britney Spears' Ex-Mann Kevin Federline für den Exitus der Insekten verantwortlich gemacht. In der britischen Zeitung "The Independent" stand zu lesen, dass Mobilfunk-Strahlung den Bienen den Garaus machen könnte.

Pettis kann darüber nur schmunzeln. "Wenn ich Bienenkolonien besuche, sind die meist so abgelegen, dass mein Handy keinen Empfang hat." Pettis bietet seine eigene Verschwörungstheorie zum Bienentod an: Möglicherweise seien die Insekten damit beschäftigt, die berüchtigten Kornkreise zu produzieren, die sonst gern Außerirdischen zugeschrieben werden. "Und dabei arbeiten sie sich einfach zu Tode."

mbe/AP

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren