Mysteriöses Leuchten Neue Theorie erklärt Erdbebenlichter

Wandernde Lichtkugeln: Erdbebenlichter in Alaska mit einem Durchmessen von etwa einem Meter (Archivbild: 1972 oder 1973)
Foto: Jim ConacherErdbeben können mit speziellen Lichtphänomenen einhergehen - und sich dadurch manchmal sogar ankündigen. Diese Erdbebenlichter können mitunter Wochen vor den Erdstößen und Hunderte Kilometer vom Epizentrum eines Bebens entfernt auftreten, wie nordamerikanische Geowissenschaftler in der Fachzeitschrift "Seismological Research Letters" berichten. Darin versuchen sie, das unter Forschern lange Zeit umstrittene Phänomen physikalisch zu erklären.
Das Team um Robert Thériault vom Ministerium für natürliche Ressourcen der kanadischen Provinz Québec werteten 65 Fälle von Erdbebenlichtern seit dem Jahr 1600 aus, die besonders gut belegt sind. Dazu zählen auch vier Ereignisse in Deutschland: Drei davon stammen aus dem mittleren 18. Jahrhundert in Karlsruhe, Aachen und Düren, der vierte Fall ereignete sich am späten Abend des 16. November 1911 bei Ebingen auf der Schwäbischen Alb.
Von den Erdbebenlichtern nahe Ebingen zeugen insgesamt 110 Berichte, teilweise sogar mehr als hundert Kilometer von Epizentrum des Bebens der Stärke 5,8 entfernt. Zwei Augenzeugen sahen unmittelbar vor dem Beben einen Blitz aus dem Boden steigen, der in der Luft zu einer Lichtkugel wurde und nach wenigen Sekunden Richtung Ebingen verschwand.
Verwerfungen könnten elektrische Ladung befördern
Auch Filmaufnahmen aus Peru bestätigen das rätselhafte Phänomen: Bei einem Erdbeben der Stärke 8,0 in Pisco nahm eine Überwachungskamera mehrere Lichtblitze auf. Analysen zeigten den Forschern zufolge später, dass die Leuchterscheinungen mit den seismischen Erschütterungen zusammenfielen. Die 65 ausgewerteten Erdbeben erreichten Stärken von 3,6 bis 9,2.
Die Lichter tauchten fast immer vor oder während der Erdstöße auf, nur sehr selten danach. Ungewöhnlich war vor allem, in welchen Bereichen der Kontinentalplatten es besonders häufig leuchtete: den Innenzonen - obwohl dort nur fünf Prozent aller Erdbeben auftreten.
Für eine wichtige Voraussetzung des Phänomens halten die Forscher tiefe, steilstehende Verwerfungen. Diese gingen mit 97 Prozent der ausgewerteten Lichter einher. Die Vermutung der Wissenschaftler: Unter großer mechanischer Spannung baut sich elektrische Ladung auf und steigt entlang dieser steilen Brüche an die Oberfläche, wo sie Luftmoleküle auflädt. An Subduktionszonen, wo Kontinentalplatten untereinander abtauchen, passiere dies dagegen nicht, offenbar weil die Verwerfungen nicht steil genug seien.
Lichter bleiben rätselhaft
Bei dem verheerenden Erdbeben 2009 im italienischen L'Aquila gaben die Lichter einem Bewohner offenbar sogar die Möglichkeit, seine Familie zu retten. Der Mann brachte nach Angaben der Forscher vor dem Hauptbeben seine Familie aus dem Haus ins Freie, nachdem er die Lichter gesehen hatte. "Das ist einer der seltenen belegten Berichte, dass Erdbebenlichter jemanden zum Handeln bewegten", sagt Thériault. "Zusammen mit anderen Hinweisen, die sich vor seismischen Aktivitäten ändern, könnten Erdbebenlichter eines Tages helfen, größere Beben vorherzusagen."
Torsten Dahm vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) spricht von einem interessanten Modell für das Phänomen. Allerdings beruhe die vorgestellte Erklärung nur auf einem geringen Datensatz von 65 Beben, von denen ein Großteil aus der Zeit vor 1900 stamme und entsprechend schlecht dokumentiert sei. "Andernfalls wäre die Datenbasis noch kleiner", sagt Dahm.
Zudem könne die Studie nicht erklären, warum Lichter bei den meisten Erdbeben ausblieben. So auch bei zwei späteren Beben auf der Schwäbischen Alb: Demnach erschütterten 1943 und 1978 weitere Erdstöße die Region, die ähnlich stark waren wie das Ebinger Beben von 1911. Lichter wurden dabei offenbar nicht dokumentiert.