Nahrung aus dem Meer Uno warnt vor Seefisch-Kollaps
Rom - Der "Mangel an politischem Willen" sei schuld, beklagt die Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen - nicht etwa der Erkenntnisstand. In Rom stellten Fischerei-Experten der FAO am heutigen Montag erschreckende neue Zahlen über die Gefährdung der Fischbestände vor.
Experten warnen seit Jahren davor, dass die Ozeane drastisch überfischt sind. Viele Sorten könnten bald nicht mehr für die Ernährung der Weltbevölkerung zur Verfügung stehen. Hunderte von Meeresarten stehen erstmals auf der Roten Liste, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Manche Wissenschaftler vergleichen die Folgen des menschlichen Handelns inzwischen gar mit den fünf großen Massensterben der Erdgeschichte.
Das ganze Ausmaß dieser Tragödie bei den Speisefischen zeigt der neue Bericht "State of the World Fisheries and Aquaculture" (Sofia), der auch auf der FAO-Website veröffentlicht wurde:
- Insgesamt sei genau ein Viertel aller Meeresfisch-Bestände gefährdet.
- Von jenem Viertel der Bestände in bedenklichem Zustand seien 17 Prozent übernutzt und sieben Prozent stark zurückgegangen. Nur ein Prozent erhole sich derzeit langsam.
- Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Bestände würden bereits heute derart intensiv ausgebeutet, dass keine Steigerung mehr möglich sei.
Zu den am meisten befischten und damit besonders problematischen Regionen gehören dem Bericht zufolge der Südost-Atlantik, der Südost-Pazifik, der Nordost-Atlantik sowie die Fischgründe im Indischen Ozean und im Atlantik. Hier seien zwischen 46 und 66 Prozent der Bestände überfischt oder bereits erschöpft. "Dieser Trend bestätigt, dass das Fangpotential der Weltozeane sehr wahrscheinlich seine Grenzen erreicht hat", sagte der stellvertretende FAO-Generaldirektor Ichiro Nomura. Damit werde "die Notwendigkeit eines behutsameren und effektiveren Fischmanagements" deutlich.
Wie schwer dieses aber durchzusetzen ist, zeigte zuletzt eine regionale Konferenz zum Schutz von Thunfisch Ende Januar. Bei dem Treffen in Japan gelang es den Teilnehmerstaaten nicht, sich auf Fangquoten für die gefährdeten Tiere zu einigen.
Schon Überwachung völlig unzureichend
"Auf hoher See herrschen Methoden wie im Wilden Westen", fasst Ralph Kampwirth von der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF) zusammen. Zudem beugten sich viele Staaten ihrer jeweiligen Fischereilobby, statt die von Experten empfohlenen Quoten zu akzeptieren. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace schlägt vor, für 40 Prozent der Weltmeere ein Fischfangverbot aufzustellen. Vor allem Laichplätze und Wanderrouten der Fische müssten geschützt werden.
Denn besondere Sorge bereitet auch den FAO-Experten die Gefährdung jener Fische, die lange Wanderungen jenseits nationaler Küstengewässer und staatlicher Einflussbereiche zurücklegen. Mehr als die Hälfte der wandernden Hai- sowie zwei Drittel der wandernden Hochsee-Bestände seien entweder übernutzt oder stark zurückgegangen. Dazu zählten der Seehecht, der Atlantische Kabeljau, der Heilbutt, der Granatbarsch, der Blauflossenthunfisch oder der Riesenhai - darunter sind wichtige Speisefische.
"Zwar stellen diese Wanderfische nur einen vergleichsweise kleinen Teil der weltweiten Fischressourcen dar, sie sind aber ein Schlüssel-Indikator für den Zustand eines großen Teils des ozeanischen Ökosystems", sagte Ichiro Nomura. Er forderte ein besseres Management der Bestände und kritisierte, gegenwärtig sei schon deren Überwachung völlig unzureichend.
Schutz mit Milliardenaufwand - oder Zusammenbruch
Was ein nachhaltiger Umgang mit den Fischbeständen kosten würde, hat der Ozeanograph Callum Roberts von der britischen University of York ausgerechnet: Wirksamer Schutz für rund ein Drittel aller Meere würde jährlich zwischen 3,7 und 14,3 Milliarden Euro kosten, schrieb der Forscher in der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences". Er betonte dabei, dass der Schutz der Bestände große Gewinne für die Gesellschaft mit sich bringe.
Erst kürzlich war in einem Bericht der Uno-Umweltbehörde Unep zu lesen, dass die Ozeane als Transportweg, Nahrungs- und Rohstoffquelle sowie als Müllkippe einen jährlichen Gesamtwert von 20,9 Billionen Dollar besitzen.
Ende letzten Jahres hatten Ökonomen und Ökologen um Boris Worm von der Dalhousie-University im kanadischen Halifax in der Wissenschaftszeitschrift "Science" davor gewarnt, dass der kommerzielle Fischfang schon in der Jahrhundertmitte zusammenbrechen könnte. "Wenn wir unsere Methoden zum Artenschutz nicht grundlegend verändern, wird dies das letzte Jahrhundert mit wild gefangenem Fisch sein", sagte Stephen Palumbi von der kalifornischen Stanford-University, der an der Studie beteiligt war.
Der Report betont ausdrücklich die Chancen der Fischzucht in Aquakulturen. Mit einer Jahresproduktion von weltweit 47,8 Millionen Tonnen sei das Aquafarming weiterhin der am schnellsten wachsende Sektor der Nahrungsmittelindustrie. Während im Jahr 1980 lediglich neun Prozent des Fischkonsums aus künstlichen Fischkulturen kamen, seien es heute bereits 43 Prozent.
Unproblematisch ist aber auch diese Form des sogenannten Fish-Farmings nicht. Umweltschützer kritisieren, dass die Farmfische häufig mit Fischmehl gefüttert werden, das aus Wildbeständen stammt. Außerdem gilt der Einsatz von Medikamenten wie etwa Antibiotika in Fischfarmen als problematisch. Die dort gezüchteten Tiere zeigen zuweilen körperliche Veränderungen auf: So sind Farm-Lachse bekannt, deren Kiefer verformt ist. Entkommen solche Exemplare in die Freiheit und paaren sich dann mit Wildtieren, schaden sie dem Genpool der freilebenden Lachse.
stx/dpa