Natur-Multikulti Deutschland ist Einwanderungland für Tiere und Pflanzen
Rostock/München - Exotische Meeresbewohner kommen mit dem Ballastwasser von Schiffen, Waschbären oder Marderhunde sind schon vor Jahren in Deutschland ausgesetzt worden, aus Pelztierfarmen ausgebrochen oder eingewandert. Forscher der Universität Rostock haben ermittelt, dass etwa 1500 fremde Arten über Jahrhunderte aus aller Herren Länder nach Deutschland eingeschleppt wurden. Hinzu kommen rund 350 Pflanzenarten.
Einmal in Europa oder Deutschland angekommen, verbreiten sich einige der "blinden Passagiere", wenn sie gute Lebensbedingungen vorfinden, oft rasch und weiträumig. Nicht in jedem Fall sind die als Neobiota bezeichneten tierischen und pflanzlichen Siedler auch willkommen. Einige Arten richten zumindest lokal Schäden an, sagt Sandra Blömacher, Wissenschafterin vom bundesweiten Arbeitskreis Neozoa.
Prominentester Einwanderer bei den Säugern ist wohl der Waschbär. Der Allesfresser kommt ursprünglich aus Amerika. Dort ist er von Kanada bis nach Mittelamerika anzutreffen. Doch seit er um 1930 aus Pelztierfarmen ausgebüchst ist und 1934 in Hessen angesiedelt wurde, hat er sich bundesweit breit gemacht. Die buckeligen Räuber haben schon so manchen Hausbesitzer wegen angeknabberter Elektrik oder Krawall auf dem Dachboden verärgert.
Die Fremden im Wald bekommen auch die Jäger immer häufiger vor ihre Flinten. Die Zahl der erlegten Waschbären etwa stieg nach Angaben des Deutschen Jagdschutz-Verbandes im Jagdjahr 2003/2004 (bis 31. März) um 7,6 Prozent auf rund 21.100 Exemplare. Bei den Marderhunden wurden mit 18.600 sogar 15,8 Prozent mehr Tiere erlegt als im Jahr zuvor. Behörden rufen die Jäger auf, diesen Arten weiterhin intensiv nachzustellen.
Viele Tierarten wandern auf Schiffen ein
Ein wesentlicher Einwanderungsweg ist auch der internationale Schiffsverkehr. Im Ballastwasser, das zur Stabilisierung etwa von Containerschiffen dient, befindet sich oft eine besondere Fracht. Der Hamburger Meeresbiologe Stephan Gollasch hat in einer Studie ausgerechnet, dass pro Sekunde 69 exotische Meeresbewohner vom kleinen Krebs bis zum Fisch an deutschen Küsten ankommen. Tendenz steigend.
Mittlerweile haben sich bereits über 80 neue Arten etwa in der Nordsee angesiedelt. Das bleibt nicht ohne Folgen. So mache sich die Pazifische Auster immer stärker in der Nordsee breit und trete damit in Konkurrenz zur heimischen Miesmuschel, sagt Gollasch. Er fordert internationale Spielregeln, die Schiffe dazu zwingen, das Ballastwasser auf See zu wechseln und nicht erst im Hafen abzupumpen.
In Nord- und Ostsee richtet etwa die Schiffsbohrmuschel vor allem an den Küstenschutzanlagen wie Buhnen Schäden an, indem sie die heimischen Hölzer zerfrisst. Mittlerweile müssten bereits spezielle Tropenhölzer, die von den Muscheln verschmäht werden, zum Küstenschutz verwendet werden, sagt Blömacher.
Forscher warnen vor Panikmache
Professor Ragnar Kinzelbach von der Uni Rostock warnt jedoch vor Panikmache. Die mitteleuropäische Flora und Fauna sei seit jeher ein Einwanderungsbereich und habe sich im Gegensatz zu tropischen Ökosystemen und zur Tier- und Pflanzenwelt von Inseln als sehr robust erwiesen. Und nach Aussage von Professor Josef Reichholf von der Zoologischen Staatssammlung in München sind die Schäden durch eingewanderte Tierarten im Vergleich zu denen von einheimischen wie Rehen oder Wildschweinen sogar verhältnismäßig gering.
Gregor Haake, ddp