Bis zu 13 Tonnen schwer Neandertaler jagten riesige Waldelefanten

Europäische Waldelefanten waren noch größer als Mammuts, trotzdem nahmen Neandertaler sie sich als Beute vor. Sie wussten Forschern zufolge genau, wie sie die Tiere zerlegen mussten.
Vier Meter großes Modell eines Europäischen Waldelefanten: Bis zu 13 Tonnen schwer

Vier Meter großes Modell eines Europäischen Waldelefanten: Bis zu 13 Tonnen schwer

Foto: Jan Woitas / dpa

Es war eine beachtliche Gemeinschaftsleistung und konnte die Ernährung für mehrere Wochen bis Monate sichern: Neandertaler haben in Mitteleuropa Europäische Waldelefanten gejagt – das größte Landsäugetier der jüngeren Erdgeschichte. Dafür legt ein Forschungsteam um Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Universität Mainz im Fachblatt »Science Advances«  erstmals eindeutige Belege vor.

Die Analyse zeigt auch, wie fachkundig Neandertaler vor etwa 125.000 Jahren die riesigen Tierkörper ausnahmen. Und sie widerspricht einigen Annahmen zur Lebensweise unserer ausgestorbenen Vettern.

Mit Darminhalt konserviert

Europäische Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus) durchstreiften Europa und Westasien vor etwa 800.000 bis 100.000 Jahren. Mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und bis zu 13 Tonnen Gewicht waren Bullen der Art noch wesentlich größer als etwa Wollhaarmammuts oder Afrikanische Elefanten. Wiederholt wurden in Deutschland Knochen dieser Urzeitriesen entdeckt, mitunter versehen mit Schnittspuren. Allerdings blieb lange unklar, ob Neandertaler – damals die einzigen Menschen in Europa – die Tiere tatsächlich erlegt oder aber bereits tote Tiere ausgenommen hatten.

Diese Frage klärt nun die Analyse der weltweit größten Ansammlung Europäischer Waldelefanten vom Fundort Neumark-Nord etwa zehn Kilometer südlich von Halle. Dort wurden Ende des 20. Jahrhunderts bei Arbeiten in einer Braunkohlegrube die Überreste von etwa 70 solchen Tieren entdeckt. Die Elefanten lebten vor etwa 125.000 Jahren in der damaligen Seenlandschaft und waren in hervorragendem Zustand konserviert – teils bis hin zum Darminhalt.

Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass es sich fast nur um erwachsene Tiere handelt, mit einem deutlichen Überschuss von Bullen. »Die Altersstruktur und Geschlechterverteilung konnte man anfangs nicht erklären«, sagte Forscherin Gaudzinski-Windheuser. Nachdem die Archäologin an einzelnen Knochen Schnittspuren entdeckt hatte, prüfte das Team die Überreste von 57 Elefanten genauer.

Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle: Sabine Gaudzinski-Windheuser neben der lebensgroßen Rekonstruktion eines männlichen Europäischen Waldelefanten.

Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle: Sabine Gaudzinski-Windheuser neben der lebensgroßen Rekonstruktion eines männlichen Europäischen Waldelefanten.

Foto: Lutz Kindler / MONREPOS / dpa

Interessant für das Fachteam: Vermutlich waren männliche Waldelefanten ebenso wie heutige Elefanten eher Einzelgänger und damit nicht in einer Herde geschützt. Das könnte sie zu attraktiven Zielen von Jägern gemacht haben – und das gehäufte Vorkommen von Überresten männlicher Tiere erklären. Für die Jagd spricht auch, dass die Elefanten unmittelbar nach ihrem Tod zerlegt wurden, noch bevor sich fleischfressende Tiere daran zu schaffen machten. »Alle 57 Karkassen zeigen das gleiche Muster«, so Gaudzinski-Windheuser. »Das lässt sich nicht anders erklären.«

Wahrscheinlich praktizierten Neandertaler die Jagd auf Waldelefanten in der untersuchten Region mindestens 2000 Jahre lang, also recht kontinuierlich über Dutzende Generationen hinweg, berichtet das Fachteam. Sowohl die Jagd nach den Elefanten als auch das Ausnehmen der Beute erforderte die Zusammenarbeit vieler Individuen. Die regelhaften Schnittmuster an den Knochen verraten, wie gekonnt die Neandertaler das Fleisch von den Knochen ablösten und auch die begehrten fettreichen Fußpolster entfernten.

Fleischvorräte für mindestens drei Monate

Für das Ausnehmen eines Tieres hätten 25 Neandertaler wohl drei bis fünf Tage gebraucht, kalkulieren die Forscher. Ihren Berechnungen zufolge lieferte ein zehn Tonnen schwerer Elefant mindestens 2500 Portionen zu jeweils 4000 Kilokalorien. Hätten Neandertaler tatsächlich – wie vielfach angenommen – in Gruppen von maximal 25 Individuen zusammengelebt, hätten sie Fleischvorräte für mindestens drei Monate gehabt.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle: Analyse des Oberschenkelknochens eines männlichen Europäischen Waldelefanten

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle: Analyse des Oberschenkelknochens eines männlichen Europäischen Waldelefanten

Foto: Lutz Kindler / MONREPOS / dpa

Die Gemeinschaft musste die Beute also wohl konservieren und über längere Zeit lagern, schlussfolgern die Fachleute. Möglich sei aber auch, dass zumindest zeitweilig sehr viele Neandertaler zusammengekommen seien, um ausgiebig zu speisen.

Wie die nun untersuchten Tiere genau erlegt wurden, ist noch unklar. Gaudzinski-Windheuser verweist auf den Fund eines Waldelefanten im niedersächsischen Lehringen aus jener Zeit: Zwischen dessen Knochen lagen Reste einer hölzernen Lanze.

In einem Kommentar in »Science Advances«  schreibt die Archäologin Britt Starkovich von der Universität Tübingen, die nicht an der Studie beteiligt war, die genannten Belege für die Jagd auf Waldelefanten seien »zwingend«. »Neandertaler wussten, was sie taten«, so die Forscherin. »Sie wussten, welche Individuen sie jagen mussten, wo diese zu finden waren, und wie man einen Angriff ausführte.«

jme/dpa

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