

Wer jemals die Phlegräischen Felder bei Neapel besucht hat, könnte leicht daran zweifeln, dass er im Süden von Italien ist. Das riesige, etwa 150 Quadratkilometer große Gebiet, das unmittelbar am westlichen Stadtrand beginnt, erinnert beinahe an Island. In der zerklüfteten Landschaft reiht sich ein Vulkankessel an den nächsten, aus vielen Ritzen im teils heißen Boden dringen Schwefeldämpfe oder heißes Wasser.
Schon lange beobachten Vulkanologen die Campi Flegrei mit noch kritischerem Blick als den nur wenige Kilometer entfernt liegenden Vesuv. "Die Phlegräischen Felder gehören zu jenen Regionen mit dem höchsten Vulkanrisiko der Welt", sagt Thomas Walter vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Wie viele Fachkollegen registriert auch er, wie sich um den Supervulkan der Boden seit Jahren hebt und senkt. Das deutet auf rege unterirdische Aktivitäten hin.
Supervulkane zeichnen sich durch eine besonders große Magmakammer aus. Bei Ausbrüchen werden 1000 Kubikkilometer Magma oder mehr freigesetzt. Aufgrund der großen Auswurfmenge bilden Supervulkane nicht die typischen Vulkankegel.
Zuletzt gab es an den Phlegräischen Feldern Aufwölbungen der Erde von bis zu 40 Zentimetern. Ähnlich war es vor dem letzten großen Ausbruch im Jahre 1538, haben Forscher rekonstruiert. Doch keiner wisse, ob die Aufwölbungen, die durch Magma-Ansammlungen entstehen können, als Zeichen einer bevorstehenden Vulkan-Apokalypse zu deuten sind. Auch in den Achtzigerjahren hatte sich die Erde schon einmal auf bis zu zwei Meter angehoben - doch ein Ausbruch blieb aus.
Ein neue Studie zeigt aber nun: Für Millionen Neapolitaner sowie die Bewohner der Stadt Pozzuoli gibt es in der dicht besiedelten Region zumindest derzeit wohl eher Grund zur Sorge.
Das legen die Ergebnisse eines Teams um Francesca Forni vom Institut für Geochemie und Petrologie der ETH Zürich nahe. Die Forscher hatten für ihre Untersuchung etliche Gesteinsproben von unterschiedlichen Ausbrüchen auf den Phlegräischen Feldern analysiert. Erfasst wurden die beiden gigantischen Explosionen vor 39.000 und vor 15.000 Jahren genauso wie die Eruption im 16. Jahrhundert. Aber auch kleinere, bei denen nur geringe Mengen Lava austraten.
Für ihre geologischen Proben erstellten die Forscher jeweils eine Art chemische Signatur. Sie erlaubte ihnen Rückschlüsse auf die Magmatätigkeit zu den jeweiligen Ausbruchszeiten in den unterirdischen Kammern. So konnten sie erfassen, wie sich die geschmolzene Gesteinsmasse in dem vulkanischen System mit der Zeit verändert hat - und wie ihre chemische Zusammensetzung kurz vor großen Ausbrüchen aussah.
Um Rückschlüsse auf die heutige Aktivität der Campi Flegrei ziehen zu können, verglichen die Forscher ihre historischen mit aktuellen Daten und erstellten zudem eine Art Langzeit-Magma-Model. Dabei zeigte sich: Nach der Eruption im 16. Jahrhundert, bei der ein mehr als 130 Meter hoher Kegel, der Monte Nuovo, entstand, hätten sich die Bedingungen im Magmasystem verändert. Dort könnte nun ein sehr viel größerer Druck herrschen. Zudem sammele sich derzeit möglicherweise eine große Menge der glühenden, flüssigen Gesteinsmasse an, schrieben die Forscher im Fachmagazin "Science Advances".
Die Bedingungen für einen großen und gefährlichen Ausbruch könnten also derzeit gegeben sein. Nach Einschätzung von Thomas Walter vom Geoforschungszentrum, sind die Warnungen jedenfalls nicht überzogen. "Das ist eine wichtige Studie", sagt er. Die Ergebnisse könnten auch im Zivilschutz berücksichtigt werden.
Denn was ein explosiver Ausbruch im schlimmsten Fall bedeutet, wissen Forscher schon länger: "Eine extreme Eruption hätte massive Auswirkungen auf ganz Europa", sagt Walter. Ascheregen könnten die Region begraben und in halb Italien den Himmel verdunkeln, der Flugverkehr wäre lahmgelegt. Pyroklastische Ströme, ein tödliches Gaspartikelgemisch, das neben Vulkanasche auch größere Gesteinsbrocken mit sich führt, würden ohne Zweifel Todesopfer fordern.
Immerhin seien die Italiener gut auf eine Vulkan-Katastrophe vorbereitet. Am Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie werden auf Dutzenden Bildschirmen Erdbewegungen und Temperaturkurven registriert. Aus geologischer Sicht gilt die Region als eine der am besten überwachten der Welt. "Die Abstimmung zwischen Wissenschaftlern und Zivilschützern ist hier sehr gut, vor allem in den letzten Jahren hat sich viel getan", so Walter.
In Neapel, wo zudem der schon verdächtig lange Zeit ruhende Vesuv eine weitere potenzielle Gefahr darstellt, absolvieren schon Kindergarten- und Schulkinder regelmäßig Evakuierungsübungen. Längst wurden Pläne erarbeitet, nach denen Zehntausende Menschen innerhalb von kurzer Zeit aus dem unmittelbaren Gefahrengebiet geschafft werden können.
Video: Der unbekannte Vulkanausbruch
Zudem haben sich die bei einer Katastrophe so wichtigen Informationswege verbessert. "Viele Anwohner wissen heute, dass die Gefahr nicht nur vom Vesuv sondern auch von den Phlegräischen Feldern herrühren kann", so Walter.
Übrigens hatte schon 2016 eine Studie ähnliche Ergebnisse gezeigt. Damals hatten Forscher versucht, ein Ausbruchsdatum für die Phlegräischen Felder zu errechnen. Demnach könnte es bis zu einer Eruption noch 500 Jahre dauern - frühestens zu erwarten sei sie allerdings schon 2020.
Anmerkung: Eine Angabe zum Magmavolumens in diesem Text war falsch. Ein Supervulkan stößt 1000 Kubikkilometer und mehr aus - der Fehler ist korrigiert.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Die Phlegräischen Felder in Italien aus der Luft. Das Bild zeigt Teile der sogenannten Caldera, ein etliche Kilometer breites Kratergebiet. Es hat sich bei gigantischen Ausbrüchen vor Tausenden Jahren gebildet, als die Erdkruste einstürzte, nachdem sich die Magmakammern entleert hatten und neues Gesteinsmaterial aufgetürmt wurde. Ein Großteil der Caldera liegt unter Wasser im Mittelmeer.
Das riesige, etwa 150 Quadratkilometer große Gebiet besteht aus zerklüfteter Landschaft. Im Hintergrund liegt die Stadt Pozzuoli.
An vielen Stellen treten Schwefeldämpfe oder heißes Wasser aus der Erde.
Satellitenbild der Phlegräischen Felder mit dem Vesuv: Die Region gilt als sogenannter Supervulkan. So werden Vulkane bezeichnet, die eine besonders große, unterirdische Magmakammer besitzen und bei Eruptionen sehr große Auswurfmengen, etwa von Lava, erreichen.
In der Region am Mittelmeer leben viele Menschen. Ein neue Studie zeigt nun: Für Millionen Neapolitaner sowie die Bewohner der Stadt Pozzuoli gibt es in der dicht besiedelten Region zumindest derzeit wohl eher Grund zur Sorge. Denn in der Magmakammer könnte der Druck steigen und sich große Mengen des flüssigen Gesteins sammeln.
Doch in Italien ist man zumindest gut vorbereitet auf Vulkan-Katastrophen. Auch der Vesuv in Neapel wird sehr engmaschig überwacht.
Erste 3D-Simulation eines Vesuv-Ausbruchs: Forscher erwecken den italienischen Vulkan zum Leben. Die rote Wolke ist vor allem Asche, die in Wirklichkeit grau ist.
Bucht von Neapel im Falschfarbenbild: Der Vesuvkegel liegt etwa zehn Kilometer südöstlich von Neapel.
Je roter die Farbe, desto heißer die Asche - sie wird mehr als 800 Grad heiß.
30 Kilometer hoch könnte der nächste Ausbruch des Vesuvs in den Himmel schießen.
Die Forscher haben ihrer Simulation eine mittelstarke Eruption wie 1673 zugrunde gelegt - solch ein Szenario scheint ihnen am wahrscheinlichsten.
Kollaps der Aschesäule: Pyroklastische Ströme stürzen sich die Berghänge hinab.
Gefährliche Lage: Drei Millionen Menschen leben in der Gefahrenzone im Falle eines Ausbruchs; das Zentrum von Neapel liegt nur gut zehn Kilometer entfernt vom Vesuv.
Inferno: Was sich kaum jemand vorstellen mag, veranschaulicht die Animation - der Vesuv wird zum Inferno.
Wenn die Aschesäule kollabiert, rasen 800 Grad heiße Asche-Lawinen die Hänge hinab - sie sind tödlich.
Die Animation zeigt, was nur schwer in Worte zu fassen ist - die Bedrohung wird sichtbar.
Tödliche Asche: Die heißen Ströme legen sich über Wohngebiete.
Aschesäule: "Wir können die Folgen besser abschätzen."
Barriere im Norden: An einer Bergflanke prallen die Ascheströme der Simulation zufolge ab und werden nach Westen, Süden und Osten gelenkt.
Auswertung: Schon eine mittlere Eruption des Vesuvs überschreitet die Vorstellungskraft - Tausende Meter in alle Richtungen schießen Asche und Lava.
Nach ein paar Kilometern verringert sich die Gefahr, weil sich die Asche auf den flachen Bergflanken verliert.
Der gut 1200 Meter hohe Vesuv würde während des Ausbruchs unter der Asche fast verschwinden.
Bis in den Golf von Neapel (schwarz) könnte die Asche laufen, zeigt die Simulation.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden