»Bienenkiller« Neonikotinoide In der EU verboten – Ausfuhr erlaubt

Die EU hat Neonikotinoide zum Schutz der Bienen verboten. Neue Zahlen zeigen aber: Hergestellt werden sie hier weiterhin, Konzerne wie Bayer exportieren Tausende Tonnen – ausgerechnet in Länder mit schwachen Kontrollen.
Biene auf einem Löwenzahn: »Schnell wachsende Zahl von Beweisen«

Biene auf einem Löwenzahn: »Schnell wachsende Zahl von Beweisen«

Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Thiamethoxam, Imidacloprid, Clothianidin – der Einsatz von Insektiziden, die diese Wirkstoffe enthalten, ist in der EU weitgehend verboten. Diese sogenannten Neonikotinoide sind laut Studien stark giftig etwa für Bienen, sodass Herstellerfirmen wie Syngenta oder Bayer mit ihren Klagen gegen das Verbot krachend scheiterten.

Die EU-Kommission hält die Umweltauswirkungen für so gravierend, dass sie sogar weiterreichende Regeln aufstellen will: Mitgliedstaaten sollen bald nicht einmal mehr Nahrungsmittel importieren dürfen, die Spuren von Thiamethoxam oder Clothianidin enthalten.

Gleichzeitig werden die Mittel auch in Europa weiter hergestellt – und Tausende Tonnen davon exportiert. Insbesondere an Staaten, die im Verdacht stehen, die Verwendung nur lax zu kontrollieren. Das zeigen Berichte der Schweizer Menschenrechtsorganisation »Public Eye« und »Unearthed«, einem Rechercheableger von Greenpeace Großbritannien, die dem SPIEGEL vorliegen.

Worum geht es?

Die sogenannten Neonikotinoide sind chemisch dem Nikotin ähnlich und so konzipiert, dass sie Insekten töten, indem sie ihr zentrales Nervensystem angreifen und mit sehr niedrigen Dosen Lähmung und Tod verursachen.

Diese Insektizide werden von der Pflanze aufgenommen, wodurch sie vollständig für Insekten giftig wird, also auch ihre Wurzeln, Blätter, Blüten, Stängel, Nektar und Pollen. Dafür müssen die Mittel nicht unbedingt versprüht werden, auch mit den Stoffen beschichtetes Saatgut kommt zum Einsatz. In diesem Fall nimmt die Pflanze das Mittel während des Wachstums auf.

Die Stoffe sind gut wasserlöslich und in der Umwelt langlebig. Sie sind schwer biologisch abbaubar, reichern sich in Böden an und können in umliegende Seen, Flüsse und das Grundwasser gelangen.

Was ist das Problem?

Viele Studien belegen, dass diese Insektizide nicht nur Schädlinge töten, sondern auch Bienen schaden, die für die Bestäubung von Nutzpflanzen unverzichtbar sind.

Insbesondere die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO erklärten , es gebe eine »schnell wachsende Zahl von Beweisen«, dass »bestehende Umweltverschmutzungen« durch diese Neonics »weitreichende schädliche Auswirkungen auf Bienen und andere nützliche Insekten« hätten. Drei von vier Nutzpflanzen, die weltweit angebaut werden, sind von bestäubenden Insekten abhängig, und die FAO warnt, dass der Rückgang der Bienen- und Insektenpopulationen eine Bedrohung für die »weltweite Lebensmittelsicherheit und Ernährung« darstellt.

Seit 2018 sind Thiamethoxam, Imidacloprid, Clothianidin deshalb in der EU (und in Großbritannien) fast vollständig für die Verwendung im Freien verboten – auch wenn immer wieder Ausnahmegenehmigungen erteilt werden , unter anderem von der geschäftsführenden Agrarministerin Julia Klöckner .

Was die Untersuchung ergeben hat

  • Seit September 2020 müssen Unternehmen und Staaten, die die Neonikotinoide Thiamethoxam, Imidacloprid und Clothianidin exportieren wollen, die Importländer vorwarnen, wenn sie Pestizide liefern, die in den eigenen Betrieben verboten oder stark eingeschränkt sind.

  • »Public Eye« und »Unearthed« haben die Herausgabe dieser Informationen für die Monate September, Oktober, November und Dezember 2020 erreicht. In diesen vier Monaten haben die EU-Mitgliedstaaten Ausfuhrmeldungen für 3859 Tonnen verbotener Pestizide auf Neonikotinoidbasis vorgelegt, die 702 Tonnen der Wirkstoffe Thiamethoxam, Imidacloprid oder Clothianidin enthalten.

  • Mehr als 90 Prozent dieser Ausfuhren waren für Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen bestimmt, in denen Experten zufolge die Regulierung tendenziell schwächer ist und hochgefährliche Pestizide am ehesten ernsthafte Risiken für Gesundheit oder Umwelt bergen.

  • Fast die Hälfte der Exporte ging nach Brasilien, was allerdings auch an einer Lieferung von 2,2 Millionen Litern des Syngenta-Pestizids Engeo Pleno S aus Belgien liegt. Dieses Insektizid enthält unter anderem das in der EU verbotene Neonikotinoid Thiamethoxam. Es ist das meistverkaufte Insektizid von Syngenta in Brasilien, Hauptabsatzmarkt sind die ausgedehnten Sojaplantagen.

  • Mit 92 Prozent wurde die überwiegende Mehrheit der EU-Ausfuhren hier verbotener Neonikotinoide von Tochtergesellschaften von Syngenta, dem in der Schweiz ansässigen und in chinesischem Besitz befindlichen multinationalen Agrartechnologiekonzern, oder seinem deutschen Pendant Bayer gemeldet.

  • Deutschland meldete 51 Ausfuhren an, die 97 Tonnen der in Europa verbotenen Neonikotinoide enthielten.

Was die EU vorhat

In ihrer im Oktober 2020 veröffentlichten Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit  hat sich die EU-Kommission verpflichtet, dass gefährliche Chemikalien, die in der Europäischen Union verboten sind, nicht für den Export hergestellt werden.

Darüber hinaus hält die EU die schädliche Wirkung der Mittel für so gravierend, dass sie plant , die Einfuhr aller Lebensmittel und landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu stoppen, die nachweisbare Spuren von Thiamethoxam oder Clothianidin enthalten.

»Public Eye« zitiert in dem Bericht einen Beamten der EU-Kommission mit den Worten: »Wir wissen, dass einige Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonikotinoide besonders giftig für Bienen sind und erheblich zum Rückgang der Bestäuberpopulationen beitragen. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie außerhalb der EU-Grenzen eingesetzt werden, und wir würden es nicht für akzeptabel halten, dass die Herstellung von Lebensmitteln, die für die Einfuhr in die EU bestimmt sind, zu schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen auf Bestäuberpopulationen auf globaler Ebene führt oder eine solche Gefahr darstellt.«

Was Syngenta, Bayer und die Bundesregierung sagen

Alle in den Ausfuhrnotizen genannten Länder und Unternehmen hatten laut den beiden Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit, die Daten zu überprüfen und Stellung zu nehmen. Die meisten lehnten es demnach ab, sich zu genauen Zahlen zu äußern.

Syngenta schrieb: »Unsere Produkte sind sicher und wirksam, wenn sie bestimmungsgemäß verwendet werden. Wo immer wir tätig sind, tun wir dies in voller Übereinstimmung mit den lokalen Gesetzen und Vorschriften.« Bestäuber spielten eine entscheidende Rolle in der Landwirtschaft, deren Gesundheit zu schützen, sei also wichtig.

Bayer weist darauf hin, dass Neonikotinoide »ein wichtiges Instrument für Landwirte« seien und »Regulierungsbehörden weltweit die sichere Verwendung dieser Produkte nach sorgfältiger Prüfung« bestätigt hätten. Der Konzern setze sich »für eine sichere und nachhaltige Verwendung« seiner Produkte ein und »die bloße Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel in der EU nicht zugelassen oder verboten ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus«, in anderen Ländern seien die Mittel erlaubt.

Aus dem Bundesumweltministerium hieß es: »Die Bundesregierung begrüße die Ankündigung der Europäischen Kommission, sich mit der Frage des Exportverbots von Chemikalien in der EU zu befassen, und sieht konkreten Vorschlägen der Kommission erwartungsvoll entgegen«. Da die Beratungen mit den Mitgliedstaaten aber noch liefen, werde man nicht weiter ins Detail gehen.

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