Neuartige Erdstöße Gletscher bringen Erde zum Beben
Normalerweise sind Erdbeben nicht schwer zu entdecken: Innerhalb einer kurzen Zeit entlädt sich enorm viel Energie. Der Boden schwingt mit hohen Frequenzen, die von Seismographen aufgezeichnet werden. Ein typisches Beben der Stärke 5 dauert zwei Sekunden, Stöße der Stärke 7 erschüttern die Erde im Schnitt sieben Sekunden lang.
Doch es gibt noch eine zweite, erst kürzlich entdeckte Art von Erdstößen: Beben der Stärke 5 können sich demnach auch über 1000 Sekunden hinziehen, nur lassen sie sich dann mit den herkömmlichen Geräten nicht mehr aufzeichnen. Erst die Kombination und Auswertung der Daten von 100 über den gesamten Erdball verteilten Messstationen hat Wissenschaftler auf die Spur der langsamen Beben gebracht.
Wie ein Team von US-Geologen in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift "Science" schreibt, konnten zwischen 1999 und 2001 mehr als 7000 solcher Erdbeben ausgemacht werden. Der Großteil fällt dabei zeitlich und räumlich mit bereits bekannten, kurzlebigen Erdstößen zusammen oder ereignete sich entlang von tektonisch aktiven Zonen.
Doch 46 Erdbeben fielen aus der Reihe; sie wurden in normalerweise äußerst ruhigen Gletscherregionen registriert, allen voran in Grönland. Bei der Suche nach deren Ursache, hat sich die Forschergruppe um Göran Ekström von der Harvard University auf ein besonders gut dokumentiertes Beben im Süden Alaskas konzentriert.
Kein schlagartiger Auslöser
Die Auswertung der Messdaten zeigte, dass in 200 Kilometer Entfernung vom Epizentrum die maximalen Schwingungen des registrierten Bebens gerade einmal fünf Prozent der herkömmlichen Auslenkungen ausmachten. Allerdings identifizierten die Forscher komplex aufgebaute Oberflächenwellen mit einer niedrigen Frequenz. Offensichtlich wurde das Beben nicht von einem schlagartigen Ereignis, wie dem Aneinanderreiben tektonischer Platten, sondern von einem viele Sekunden dauernden Prozess ausgelöst.
Verursacher dürfte, so die Forscher, ein Gletscher sein. Dessen Eismassen bewegen sich demnach nicht kontinuierlich, sondern in einer wellenartigen Bewegung. Dabei bleiben sie immer wieder am Boden hängen, die Erdkruste wird nach oben gezogen und anschließend nach unten gedrückt. Das Schlittern der Eismassen dauert bis zu 60 Sekunden - und damit 30-mal so lang wie die Auslöser herkömmlicher Beben.
Die Forscher hoffen nun, die neue Art von Erdbeben, die sich deutlich von herkömmlichen tektonischen Katastrophen unterscheidet, genauer untersuchen zu können. Gleichzeitig könnten die Gletscherbeben helfen, die Dynamik der riesigen Eismassen in Grönland und Alaska besser zu verstehen.
Alexander Stirn