Neuer Uno-Report Deutsche Forscher kritisieren düstere Klima-Prognose

Kaum ist der zweite Teil des Weltklimareports bekannt geworden, regt sich Kritik. Prominente deutsche Experten bemängeln auf SPIEGEL ONLINE, die Prognose falle zu alarmistisch aus - weil die Forschung die Anpassungsfähigkeit des Menschen außer Acht lässt.
Von Stefan Schmitt

Sechs Jahre Arbeit stecken im zweiten Teil des Weltklimaberichts - und ziemlich klare Botschaften: Wir sind schon mittendrin im Klimawandel. Gerundet neun von zehn Umweltmessreihen aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen, dass die Erwärmung der Atmosphäre begonnen hat. Alle Weltregionen sind betroffen, es kommt zu Hitzetoten, Überflutungen und Dürren. Eigentlich wird das neue Kapitel des Uno-Berichts mit dieser alarmierenden Erkenntnis erst Anfang April in Brüssel veröffentlicht. Doch der Entwurf der "Summary for Policymakers" (der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger) ist auf SPIEGEL ONLINE jetzt schon bekannt geworden.

Der zweite von insgesamt drei Teilen des Weltklimaberichts versucht, einen Konsens herzustellen über die Zukunfts-Projektionen für die Erde. Wie aber beurteilen deutsche Forscher die Erkenntnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das den Bericht erstellt hat? Erste Reaktionen zeigen: Mit einigen Aussagen sind sie nicht einverstanden.

Alle Beteiligten des IPCC müssen sich schriftlich verpflichten, keine Ergebnisse vorab weiterzugeben oder zu kommentieren. Deshalb nehmen deutsche Klimaforscher nur Stellung zu den bei SPIEGEL ONLINE vorab veröffentlichen Ergebnissen - und stimmen den bisher bekannt gewordenen Erkenntnissen im Grundsatz zunächst zu.

"Die Analyse der Vorgänge, die in dieser Zusammenfassung stehen sollen, stimmt mit dem überein, was wir auch für die Ostsee festgestellt haben", sagt Hans von Storch vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht. "Auch die Ostsee erwärmt sich, das Ablaufverhalten der Flüsse verändert sich - nur weniger dramatisch. Wir können zwar nicht beweisen, dass das am Klimawandel liegt, aber es ist die beste Erklärung."

Auch Mojib Latif vom Meeresforschungsinstitut Geomar in Kiel und Christian Schönwiese von der Universität Frankfurt sind von den Kernaussagen nicht überrascht. Klimaforscher verfolgen die zugrunde liegenden Fachveröffentlichungen schließlich seit Jahren.

Kritik an Details - und an Forschungsmängeln

In manchen Details sind die Experten aber skeptisch. Im IPCC-Berichtsentwurf steht, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die Meere womöglich kein Kohlendioxid mehr aufnehmen werden - sondern sogar Klimagase abgeben könnten. Dazu Ozeanspezialist Latif: "Die Meere werden immer Kohlendioxid aufnehmen. Die Frage ist, ob das in der Zukunft abnimmt. Zu einer Nettoquelle werden die Weltmeere aber bestimmt nicht." Anders die Lage bei der Erdvegetation: Da könnte ein solcher Effekt durchaus eintreten, "insbesondere wenn die tropischen Regenwälder infolge von Klimastress sterben".

IPCC - der Klimarat der Vereinten Nationen

Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), sieht in den Veröffentlichungen der IPCC-Arbeitsgruppen "abgeschliffene Berichte". "Das IPCC ist eben keine Forschungseinrichtung, sondern ein Gremium, das schon publizierte Literatur zusammenfasst." Das werde oft missverstanden. Dieser Hinweis ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Struktur des Gremiums auch die Inhalte formt - was sich beim zweiten Teilbericht deutlich zeigen könnte. "Ich habe den Eindruck, dass es in der Arbeitsgruppe 2 des IPCC eine gewisse Neigung zum Alarmismus gibt", sagt Klimaforscher Storch, "etwa wenn es um Hitzetote, Überflutungen und Dürren geht."

Anpassungsfähigkeit bisher missachtet

Offenbar werde die Möglichkeit gar nicht mit bedacht, dass die Menschen sich den veränderten Umweltbedingungen anpassen können. "Das ist ausgesprochen dumm", sagt Storch. "Wir haben in Madrid viel häufiger Hitzewellen als in Hamburg. Trotzdem sterben dort nicht mehr Menschen daran als hier."

Wie die Menschen wohl auf den Klimawandel reagieren werden - dazu fehlt den Wissenschaftlern bisher schlicht die Datenbasis. Schellnhuber kritisiert, Anpassungsforschung sei bisher sträflich vernachlässigt worden. "Wir können relativ leicht Projektionen machen, was mit Korallenriffen passiert, wenn der Ozean steigt und saurer wird", sagt er SPIEGEL ONLINE. "Wenn es um Tourismus im Harz im Jahr 2050 geht, ist das eine um viele Stufen kompliziertere Angelegenheit."

Storch fürchtet, dass Projektionen der Klimawandel-Folgen solange zu alarmistisch ausfallen, wie die Anpassungfähigkeit des Menschen und der Gesellschaft nicht berücksichtigt werden. Für Schellnhuber ist das indirekt die Schuld derer, die lange am vom Menschen beförderten Klimawandel gezweifelt haben: Der wissenschaftliche Nachholbedarf bestehe auch, "weil wir ein Jahrzehnt mit dem Streit über die Frage verschwendet haben, ob der Klimawandel überhaupt stattfindet".

"Reformprogramm auch für das IPCC"

Klar ist: Ganz generell ist dem zweiten Teil des IPCC-Berichts nicht Alarmismus zu unterstellen. Denn Forschungsergebnisse aus den jüngsten Monaten, die tendenziell ein dramatischeres Bild der Klimawandelfolgen zeichnen, wurden gar nicht berücksichtigt. Aber in Details sind die Experten skeptischer. Storch: "Ruhm und Anerkennung des IPCC beruhen auf der Arbeit der Arbeitsgruppe 1. Bei der zweiten Gruppe ist dies nicht der Fall." Die erste Arbeitsgruppe hatte Anfang Februar einen weltweit beachteten Überblick zum aktuellen Stand der Klimaforschung abgegeben.

Schellnhuber bemängelt vor allem die Aufgabenverteilung im IPCC: Es sei unglücklich, dass Gruppe 2 sich mit den biologischen und physischen Folgen für die Lebensräume beschäftigen müsse - "und dann auch noch ein bisschen mit Adaption", also der Anpassung des Menschen an den Klimawandel. Für den nächsten IPCC-Report 2013 regt der Forscher da Korrekturen an: "Auch das IPCC wird einem Reformprogramm unterworfen werden müssen."

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