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North Wall Firn: Forschermission im letzten Eis Ozeaniens

Foto: AFP / Papua Project Freeport McMoRan

Neuguinea Die letzten Südsee-Gletscher schmelzen dahin

Gletscher gibt es auch in der Nähe des Äquators - allerdings nicht mehr lange, wie Forscher befürchten. Wissenschaftler sammeln Bohrkerne von den letzten Eisfeldern Ozeaniens und der Südsee. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Von Joachim Hoelzgen

Wie eine kleine Armee der Verlorenen näherte sich in diesem Sommer ein Team von Gletscherforschern der Stirn eines Eishangs, über den rauchige Nebel dahinzogen. Dann aber, am obersten Rand des Gletschers namens North Wall Firn, belohnten dramatisch komponierte Bilder die Mühen des Aufstiegs.

Gleich gegenüber erhob sich ein wild gezacktes, felsiges Riff: die Carstensz-Pyramide, mit 4884 Metern der höchste Berg der Insel Neuguinea und zugleich der höchste Gipfel, der zwischen dem Himalaja und den Anden Südamerikas emporragt. Es war der österreichische Autor und Abenteurer Heinrich Harrer, der 1962 den Koloss aus Kalk als Erster bestieg.

Noch spektakulärer aber war der Blick nach Süden, der sich den Gletscherforschern bot. Dort glitzerte am Horizont azurblau die Arafurasee - das Meer zwischen dem australischen Kontinent und Neuguinea mit seinen Sandstränden, Palmenufern, Orchideen und feuchtwarmem Dschungel. Nur eines stört die Idylle: Die Gletscher in der Gegend verschwinden - und das mit atemberaubendem Tempo.

Bohrkerne verraten die Vergangenheit des Klimas

Schönwettertage im zentralen Hochland der indonesischen Provinz Papua konnten die Gletscherexperten leicht an einer Hand abzählen. Sie hatten ein Zeltlager errichtet, um dem North Wall Firn hoch über den Urwäldern Eisbohrkerne zu entnehmen - eine Arbeit, die in dem niederschlagsreichen Gebirge ganz besonders schwierig war. Morgens rollten Nebelbänke über das Camp, gefolgt von Unwettern mit Blitzen und Donner, ehe am Nachmittag stundenlange Regenfälle niedergingen.

"Ich habe noch nie einen Gletscher gesehen, auf dem es jeden Tag regnet, aber nicht schneit", sagt der amerikanische Geowissenschaftler Lonnie Thompson, der bisher an 57 solcher Expeditionen teilgenommen hat. Und auch diesmal, im tropischen Carstensz-Massiv, ging es darum, mit Hilfe einer Stahlwinde, mit Bohrköpfen und mit schwerem Bohrgestänge senkrechte Kanäle durch das Gletschereis zu treiben. Beim Herausziehen der Rohre wurden meterlange, fast kreisrunde Eiskerne nach oben gebracht, die ein wahres Klimaarchiv in sich bergen - mit Informationen über die Wechselwirkung zwischen der Atmosphäre und dem riesigen Pazifik und darüber hinaus den globalen Klimawandel.

In Luftbläschen, die in dem Eis eingeschlossen sind, finden sich Treibhausgase wie Methan und Kohlendioxid. Bestimmte Isotope weisen auf die frühere Aktivität der Sonne hin, und auch die Niederschlagsmenge und vorherrschende Lufttemperatur lassen sich über Jahrtausende hinweg in den Bohrkernen zurückverfolgen.

Der North Wall Firn löst sich auf

Daheim leitet der Gletschermann Thompson das Byrd Polar Research Center in Columbus (US-Bundesstaat Ohio), wo er die empfindlichen Mitbringsel in Kältekammern aufbewahrt und wo sie mit Elektronenmikroskopen und Massenspektrometern untersucht werden. Thompson hat schon den Furtwängler-Gletscher am Kilimandscharo durchlöchert und die Eispanzer am 6768 Meter hohen Andenberg Huascarán, auf denen er 53 Tage lang Bohrkerne entnahm - ein Rekord für das Metier der Gletscherforscher.

Dann, auf einem Gletscher in Tibet, stellte Thompson mit einer Bohrstelle in 7200 Metern Höhe einen Höhenrekord auf, und im vergangenen Winter erkundete er den Gletscher des Nevado Hualcan (6122 Meter) in der Weißen Kordillere von Peru. "Die dortigen Eisbohrkerne waren alles in allem 195 und 189 Meter lang - und damit die längsten, die jemals in den Anden gewonnen wurden", sagte Thompson zu SPIEGEL ONLINE.

Auf Neuguinea aber musste sich der Forscher ganz besonders beeilen. Denn sein Forschungsprojekt schmilzt wegen des täglichen Regens, der die Gletscheroberfläche aufwärmt und selbst in der Nacht am Felsenuntergrund, der die Eisdecke trägt. Thompson hörte dann immer das Rauschen von Schmelzwasser, das durch Spalten neben dem Bohrcamp nach oben drang.

Mit gut vier Tonnen Ausrüstung waren Thompson und seine Crew angerückt - diesmal auch mit Mini-Kühlschränken, in denen das Eis auf 20 Minusgrade gekühlt wurde. Es sollte sich in der Höhenluft von Papua bei täglicher Plustemperatur nicht in Schmelzwasser verwandeln. Dabei war Thompson schon vor der Abreise nach Neuguinea klar, dass der North Wall Firn im Geschwindtempo an Masse verliert. In der Wissenschaftszeitschrift "Science"  befürchtete er sogar eine "Enthauptung" des Gletschers, des jüngsten Opfers des Klimawandels und des letzten seiner Art auf der Insel nahe dem Äquator.

Die Eiskappen der Riesen verschwinden

2003 war schon die Eiskappe auf dem 4760 Meter hohen Papua-Riesen Puncak Mandala verschwunden, der 300 Kilometer weiter östlich im Zentralgebirge steht. Und das gleiche Schicksal war dem Puncak Trikora (4730 Meter) widerfahren, der 200 Kilometer vom Carstensz-Massiv und dem North Wall Firn entfernt ist.

An der Carstensz-Pyramide schließlich hat sich ein Hängegletscher in der Südwand aufgelöst, und auch der kleine Carstensz-Gletscher östlich des fulminanten Bergs gibt nicht mehr viel her. Er ist nur noch einen halben Quadratkilometer groß, und Thompson ist der Ansicht, dass es sich bei ihm gar nicht mehr um einen Gletscher handelt.

Der North Wall Firn ist das letzte Eisfeld Ozeaniens, zu dem Neuguinea wegen seiner Zugehörigkeit zur großen Inselgruppe Melanesien nordöstlich von Australien gehört. Aber auch seine Tage sind gezählt. Als sich die Gletscherforscher nach zwei Wochen daran machten, ihre Zelte abzubrechen, standen diese 30 Zentimeter über der Eisdecke - so stark war das Eis, das sie umgab, zurückgegangen. "Ehe ich hierherkam, dachte ich, der Gletscher hätte noch ein paar Jahrzehnte", sagt Thompson. "Nun aber werden es nur noch ein paar Jahre sein."

Suche nach Spuren des Krakatau-Ausbruchs

Früher bedeckte der North Wall Firn noch einen ganzen Bergrücken, der nach Norden hin steil abfällt. Zuletzt aber hat sich der westliche Teil vom Hauptgletscher abgekoppelt und darbt ohne Neuschnee hoffnungslos dahin. Der gesamte Rest des North Wall Firn ist nur noch knapp einen Quadratkilometer groß, wie die Auswertung von Satellitenbildern ergeben hat.

Vor diesem Hintergrund war es ein Glück, dass Thompson und seine Kollegen jeweils am richtigen Platz gebohrt hatten - am First des Gletschers und auf einer Gipfelkuppe namens Ngga Pulu, die ihren Namen einer mythischen und mehrköpfigen Schlange der Papuas drunten im Tal verdankt. Eine der beiden Bohrungen stieß nach 32 Metern, die andere nach 30 Metern auf den Felsenuntergrund. Thompson ist darüber hocherfreut. "Mit jedem Meter finden wir in den Bohrkernen mehr von jenen Informationen, die wir suchen. Und wenn wir nicht ganz hinabstoßen können, macht das auch nichts - wir nehmen, was uns die Natur erlaubt."

Auch mit der Qualität der Bohrkerne ist Thompson zufrieden. Sie enthalten Jahresschichten, ähnlich den Jahresringen von Bäumen, und sind nicht mit Schmelzwasser verwässert worden. Thompson geht davon aus, dass sie auch Pollen und Pflanzenpartikel enthalten und Ruß aus der Vulkanasche, die beim Ausbruch des Krakatau im August 1883 bis an den Rand der Stratosphäre aufgewirbelt wurde.

Am meisten aber interessiert den Forscher die Verbindung zum globalen Klimawandel. Denn der North Wall Firn befindet sich in der Nähe des sogenannten Wärmepools im westlichen Pazifik, wo die Wassertemperatur bis zu 28 Grad beträgt - kein anderes ozeanisches Gewässer ist so aufgeheizt.

Die Wärme steigt hier wie aus einem riesenhaften Braukessel nach oben und beeinflusst das Klima zwischen den Wendekreisen, die Passatwinde und tropischen Wirbelstürme. Das gefürchtete Klimaphänomen El Niño beginnt hier, bei dem sich das Warmwasser von Neuguinea und den indonesischen Hauptinseln in Richtung Südamerika bewegt. Es verursacht dort starke Regenfälle und Überschwemmungen, während im Meer Plankton und Korallen absterben und die großen Makrelen- und Sardinenschwärme in andere Meeresregionen fliehen.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die winterliche Bohrexpedition Thompsons zum Nevado Hualcan, der vom North Wall Firn aus betrachtet am anderen Ende des Pazifiks liegt. Denn nun wird es zum ersten Mal möglich sein, dank der Bohrkerne aus Peru und Papua die Geschichte El Niños bis weit in die Vergangenheit zu untersuchen - das aber nur, wenn in Thompsons Kältekammern in Columbus nicht der Strom zum Kühlen ausfällt.

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