
Nitrat im Grundwasser: Belastete Äcker
Nitrat im Grundwasser Darum geht es in der Gülleklage
2016 hatte Brüssel genug von der Situation im mächtigsten Land Europas. Die EU verklagte Deutschland, weil das Grundwasser in einigen Regionen zu stark mit Nitrat belastet ist. Am Donnerstag hat nun der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung bekannt geben und Deutschland verurteilt. Die EU-Kommission könnte in einem nächsten Schritt Strafzahlungen erstreiten, falls sich die Lage nicht bessert.
Worum genau geht es in der Diskussion? Wie gefährlich sind die erhöhten Werte für Mensch und Umwelt? Und was kann Deutschland tun, um die Nitratwerte zu senken? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie gelangt Nitrat ins Grundwasser?
Nitrat ist eine chemische Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff. Pflanzen brauchen die Substanz, um wachsen zu können. Es gibt verschiedene Wege, wie es ins Grundwasser gelangen kann. Hauptverantwortlich ist die Landwirtschaft durch einen zu hohen Düngereinsatz.
Gelangt mehr Gülle oder Mineraldünger auf Felder und Grünflächen, als die Pflanzen zum Wachsen benötigen, bleibt Stickstoff im Boden zurück. Dieser wird beispielsweise von Bakterien in Nitrat umgewandelt und sickert ins Grundwasser, oder der Regen schwemmt es in umliegende Gewässer.
Es gibt zudem Pflanzenkulturen - etwa Spargel, Brokkoli, Salat oder Qualitätsweizen - die kurz vor der Ernte noch gedüngt werden, den Stickstoff dann aber nicht mehr vollständig verwerten. Auch so gelangt Nitrat ins Grundwasser, Flüsse, Bäche, Seen und schließlich auch ins Meer. Wie viel Stickstoff Pflanzen aus Dünger aufnehmen, hängt dabei auch von der Witterung ab.
Nitrat entsteht auch auf natürlichem Wege, wenn sich etwa Stickstoff aus der Atmosphäre im Boden ablagert. Auch wenn Pflanzen oder Tiere sterben, werden von ihnen gebundene Stickstoffverbindungen frei. Sie dienen dann anderen Pflanzen und Mikroorganismen als Nährstoffquelle. Gibt es nicht genug Stickstoffverbraucher, verbleibt der Stoff im Boden.
Wie stark ist das Grundwasser in Deutschland mit Nitrat belastet?
Experten gehen davon aus, dass aus natürlichen Quellen bis zu 10 Milligramm Nitrat pro Liter ins Grundwasser gelangen. In Deutschland liegen die Werte meist deutlich darüber und überschreiten an einigen Messpunkten den Europäischen Grundwasser-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter.
Laut der aktuellen Nitratstatistik von 2016 liegt die Nitratbelastung in Deutschland an 28 Prozent der knapp 700 Messstellen mit Landwirtschaftsbezug über dem Grenzwert. An knapp der Hälfte der Messstellen befindet er sich dagegen in der geringsten Belastungskategorie von maximal 25 Milligramm pro Liter. Zum Vergleich: In der Schweiz ist das der Grenzwert für die Nitratbelastung im Grundwasser.
Wie gefährlich sind erhöhte Nitratwerte im Grundwasser für den Menschen?
Verbraucher in Deutschland müssen sich wegen der stellenweise erhöhten Nitratgehalte im Grundwasser derzeit keine Sorgen um ihre Gesundheit machen. Zwar wird Trinkwasser zu einem großen Teil aus Grundwasser gewonnen. Die Wasserversorger stellen jedoch sicher, dass der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter im Trinkwasser eingehalten wird. Er ist auch für Säuglinge sicher. Zwischen 2014 und 2016 wurden bei einer Trinkwasseruntersuchung in größeren Wasserwerken in Deutschland keine erhöhten Nitratwerte festgestellt .
Umweltorganisationen und das Umweltbundesamt warnen allerdings vor steigenden Trinkwasserpreisen, weil der Aufwand bei der Wasseraufbereitung durch hohe Nitratwerte im Grundwasser steigt. Laut Statistischem Bundesamt sind die Trinkwasserpreise zwischen 2005 und 2016 etwas stärker gestiegen als die Verbraucherpreise- um 17,6 im Vergleich zu 16,1 Prozent.
Für den Menschen ist Nitrat potenziell vor allem gefährlich, weil es im Körper zu Nitrit umgebaut werden kann. In zu großen Mengen verhindert Nitrit den Sauerstofftransport im Blut. Das kann zu einer sogenannten Blausucht führen, bei der die Haut wegen des Sauerstoffmangels blau oder violett anläuft. Säuglinge sind dafür besonders anfällig.
Im Magen können aus Nitrit zudem Substanzen entstehen, die im Tierversuch eine krebserregende Wirkung hatten. Nitrat und Nitrit kommen allerdings auch in manchen, nachweislich gesunden, Gemüsesorten vor.
Wie stark schadet Nitrat der Umwelt?
Wie bei fast allen Stoffen, kommt es auf die Menge an. Enthalten Gewässer zu viel Nitrat, fördert das das Algenwachstum, was wiederum einen Sauerstoffmangel begünstigt. Das schadet anderen Pflanzen und Fischen und verändert so die Zusammensetzung der Lebewesen im Ökosystem.
Arten, die auf nährstoffärmere Gewässer spezialisiert sind, verschwinden und werden durch andere ersetzt. Im schlimmsten Fall kippt ein Gewässer um. Durch extremen Sauerstoffmangel entstehen sogenannte tote Zonen, in denen Leben für Fische und Pflanzen unmöglich ist.
Nitrat im Boden begünstigt zudem dessen Versauerung, was einigen Bodenorganismen das Überleben erschwert.
Worum genau geht es in der Klage?
Die Klage bezieht sich auf den deutschen Nitratbericht von 2012 . Er hatte gezeigt, dass sich die Qualität des Grundwassers in Deutschland mit der Zeit tendenziell verschlechterte, statt verbesserte. Die EU-Nitrat-Richtlinie und die Wasserrahmenrichtlinie sehen allerdings vor, dass die Belastungen vermindert werden muss - beispielsweise durch strengere Düngegesetze in den betroffenen Ländern.
Deutschland argumentierte dagegen, die Düngeverordnung sei bereits verschärft worden. Außerdem plante die Regierung damals eine Überarbeitung des Gesetzes, die inzwischen (im Jahr 2017) in Kraft getreten ist. Auch das Düngegesetz wurde überarbeitet. Zunächst mahnte die EU Deutschland ab. Weil der Staat jedoch über Jahre hinweg auf seinem Standpunkt beharrte, bereits genügend Gegenmaßnahmen zu treffen, reichte die EU-Kommission 2016 Klage ein.
Von dem Urteil erhofften sich Beobachter auch Klarheit über die Qualität der neuen Düngeverordnung. In seiner Urteilsfindung berücksichtigte der EuGH diese jedoch nicht, da dafür die Situation zum Zeitpunkt der Klage relevant war. Viele Experten rechneten daher im Vorfeld mit einer Verurteilung. Es kann nun aber sein, dass das Urteil zunächst ohne Folgen bleibt, weil abgewartet wird, wie sich der Nitratgehalt unter der neuen Verordnung entwickelt. Deutschland muss aber zumindest die Gerichtskosten tragen.
Was sollte Deutschland laut EU-Kommission verbessern?
Im Wesentlichen kritisiert die EU-Kommission sechs Punkte in der alten Düngeverordnung. Das überarbeitete Gesetz von 2017 greift einige Kritikunkte auf, löst aber nicht alle Probleme:
1. Ausgewogene Düngung: Die EU-Kommission kritisiert, dass Stand 2016 bei der Berechnung der Düngermenge viele Einflussfaktoren nicht oder zu wenig berücksichtigt wurden - etwa der unterschiedliche Nährstoffbedarf verschiedener Pflanzenarten oder die Zusammensetzung des Bodens. In der Neufassung der Düngeverordnung ist der Nährstoffbedarf verschiedener Pflanzen hinterlegt. Ab 2023 sollen Betriebe ihre Düngemenge nach aussagekräftigeren Prinzipien als bisher berechnen und überwachen. Bis dahin sind es aber noch fünf Jahre.
2. Sperrzeiten: Laut EU entsprachen die Zeiträume, in denen nicht gedüngt werden darf, nicht dem aktuellen Wissensstand. Außerdem gab es Ausnahmen für sogenannten Festmist ohne Geflügelkot. Diese Ausnahme wurde in der neuen Fassung gestrichen und die Sperrzeiten leicht verlängert.
3. Dungbehälter: Die EU-Kommission fordert in der Klage, dass größere Behälter zur Lagerung von Gülle vorgeschrieben werden. Viel hat sich hier nicht getan. Lediglich Betriebe, die viel Vieh pro Hektar halten oder den Dünger nicht selbst nutzen, müssen mehr Lagekapazität bereitstellen.

Nitrat im Grundwasser: Belastete Äcker
4. Jährliche Stickstoff-Höchstmenge: Die alte Verordnung erlaubte Landwirten unter bestimmten Voraussetzungen im Jahr bis zu 230 Kilogramm Stickstoff pro Hektar in Form von Dung auszubringen. Die EU-Richtlinie lässt üblicherweise maximal 170 Kilogramm zu. In der neuen deutschen Verordnung gibt es weiter Ausnahmen von dieser Obergrenze. Das Limit von 230 Kilogramm wird aber nicht mehr erwähnt.
5. Flächen am Hang: Von Hängen kann Dünger leichter in angrenzende Gewässer fließen. Laut EU-Richtlinie soll der Düngeeinsatz auf geneigten Flächen daher ab 8 Prozent Neigung begrenzt werden. Außerdem empfiehlt die EU ein Verbot ab 15 Prozent Neigung. In der alten und neuen deutschen Verordnung gelten Begrenzungen erst ab 10 Prozent.
6. Düngen bei Schnee und Eis: Die alte deutsche Verordnung erlaubt Landwirten, bei einer bis zu 5 Zentimeter hohen Schneedecke zu düngen. Auch, wenn der Boden gefroren ist und im Tagesverlauf nur kurz auftaut, ist es zulässig. Die neue Regel verbietet das Düngen auf schneebedecktem Boden. Im Hinblick auf gefrorene Böden, bleibt aber alles beim Alten.
Video: Güllekrise in Schleswig-Holstein
Reichen die neuen Vorschriften aus?
Die EU-Kommission kannte die Pläne für die neue Düngerichtlinie, bevor sie Klage einreichte, und kam zu dem Schluss, dass auch diese Regeln nicht ausreichen. Auch die Detailanalyse oben zeigt: In keinem der sechs Kritikpunkte erfüllt Deutschland die Vorgaben der EU derzeit vollständig. So ist beispielsweise fraglich, ob kürzere Düngezeiten etwas bringen, solange die Stickstoffmenge nicht eindeutig begrenzt ist. Sie könnten dazu führen, dass die gleiche Menge Dünger aufs Feld kommt wie zuvor - nur eben in kürzerer Zeit.
Laut einer am Montag veröffentlichten Studie der Uni Kiel im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), werden die neuen Regeln kaum eine Verbesserung bringen. Zum einen, weil wissenschaftliche Empfehlungen missachtet worden seien. Zum anderen, weil Landwirte, die gegen die Regeln verstoßen, kaum mit Konsequenzen rechnen müssten. Der BDEW setzt sich seit Jahren für strengere Düngeregeln ein.
Auch das Umweltbundesamt bezweifelt, dass die Maßnahmen ausreichen. Auf statistische Daten können sich Experten dabei allerdings nicht verlassen. Es kann je nach Region Jahrzehnte dauern, bis überschüssiges Nitrat aus den Böden ins Grundwasser gelangt. Der nächste Nitratbericht der Bundesregierung wird zudem erst 2020 veröffentlicht.