Ölpest an US-Küste Stahl-Sombreros sollen Öl auffangen

Ölpest an US-Küste: Stahl-Sombreros sollen Öl auffangen
Foto: MARK RALSTON/ AFPDas riesige, rostbraune Stahlsilo sieht aus wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films. Vier Hausetagen hoch und 65 Tonnen schwer, ragt der Koloss in den Himmel über Port Fourchon, einem Industriehafen südlich von New Orleans. Arbeiter legen letzte Hand an den Mega-Kasten an, Schweißbrenner sprühen Funken.
Dieses Monstrum, das die Ingenieure "Dome" (Kuppel) nennen, soll die Rettung bringen vor der Ölpest an der US-Golfküste. Das jedenfalls hoffen die Manager von British Petroleum (BP), die die einzigartige Stahlglocke am Dienstag in einem dramatischen Einsatz versenken wollen. "Dies wird im Prinzip alle Probleme eliminieren, die wir mit Öl im Wasser haben", verspricht BP-Sprecher Bill Salvin.
Oder auch nicht. Zwei Wochen nach der Explosion der BP-Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexico weiß immer noch keiner, welche Methode wirklich funktionieren wird, um die womöglich schlimmste Umweltkatastrophe der US-Geschichte einzudämmen. Immerhin ist besseres Wetter in Sicht. Das steigert die Chancen, die Ölpest einzudämmen. BP und die US-Küstenwache erwägen mehrere spektakuläre, unter diesen extremen Umständen völlig unerprobte Optionen: Entlastungsbohrungen, ölfressende Chemikalien, ein gigantisches Stahlventil in 1500 Metern Meerestiefe - und die Kuppel.

Golf von Mexiko: Kuppeln für den Meeresboden
Noch ist das alles Wunschdenken. Die meisten dieser Ideen würden Wochen, wenn nicht Monate brauchen, um Wirkung zu zeigen und im besten Fall die Lecks zu stopfen, aus denen täglich weiter etwa 800.000 Liter Rohöl ins Meer strömen. Bis dahin sind Hunderte Kilometer Küste in den US-Staaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida von dem ungehemmt wachsenden Ölteppich bedroht. Dessen Richtung ändert sich täglich: Am Montag driftete er wieder mehr gen Norden und Osten, von Louisiana weg nach Alabama.
So oder so: Die Kuppel bleibt die größte, beste Hoffnung. Genauer gesagt sind es drei Kuppeln. Die erste dieser "Pollution Containment Chambers", so der offizielle Name, stellte Wild Well Control, ein Spezialunternehmen aus Texas, am Montag für BP in Port Fourchon fertig. Es ist die größte Kammer dieser Art, die je gebaut wurde. Zwei weitere, kleinere sollen am Dienstag folgen.
Im Prinzip sind es enorme Metallkanister mit aufgesetzten, umgedrehten Trichtern - gigantische Staubsauger aus Stahl. Schiffe sollen sie ab Dienstag zur Unglücksstelle hinausbringen und in die Tiefe lassen, direkt über den drei Lecks - ein großes Leck, wo das Öl aus dem Meeresboden strömt, und zwei kleinere im abgeknickten Bohrrohr selbst.
Die Kammern sollen sich, Kuppeln gleich, über die Lecks setzen, sie abdecken und das Öl auffangen. Das wiederum würde durch den Trichter und neue Rohre zur Wasseroberfläche hochgeleitet, als Öl-Gas-Wasser-Gemisch, und dort vom Bohrschiff "Enterprise" abgefangen, einem 250 Meter langen Spezialkahn.
Die Physik soll dabei mithelfen: Öl treibt unter Wasser stets nach oben, Pumpen sind also nicht nötig. Sofern das funktioniert, könnte diese Konstruktion den Ölfluss innerhalb von einer Woche um mehr als 80 Prozent drosseln.
Chemikalien sollen Aufsteigen des Öls verhindern
Doch die Frage bleibt: Wird es klappen? Noch nie ist ein solcher Trick in derartig großer Tiefe versucht worden - in totaler Dunkelheit, bei enormem Wasserdruck. Einsätze habe es bislang nur in flachem Wasser gegeben, sagte BP-Geschäftsführer Doug Suttles, der die Kuppeln am Montag Reportern präsentierte.

Ölpest: US-Küste droht Katastrophe
Einen dieser früheren Versuche gab es im Juni 1979. Da explodierte die mexikanische Ölplattform "Ixtoc", ebenfalls im Golf von Mexiko. Damals setzten die Ingenieure zum ersten Mal ein solches Gerät ein, das sie "stählernen Sombrero" nannten.
Doch das System entpuppte sich als zu klein, die Experten hatten das Leck unterschätzt. Auch passte der Sombrero nicht: Die Trümmer der Plattform und des Gestänges waren im Weg. Und das alles misslang in nur 50 Metern Tiefe.
Eine andere Option sind Chemikalien, die das Öl zersetzen und es zum Meeresboden sinken lassen. C-130-Transportflugzeuge haben schon Abertausende Liter über dem Golf abgeworfen, das Wetter machte ihnen am Wochenende aber einen Strich durch die Rechnung, erst am Montag besserten sich die Verhältnisse etwas.
Nach Angaben von BP-Chef Tony Hayward werden die Chemikalien inzwischen auch unter Wasser eingesetzt - "zum ersten Mal überhaupt in der Industrie". Ferngesteuerte Roboter spritzten sie am Meeresboden in das auslaufende Öl: "Das scheint einen bedeutenden Effekt zu haben", sagte Hayward auf NBC, ohne aber weitere Details zu nennen.
Ein weiterer Rekord: Dies werde der wohl größte Einsatz solcher Chemikalien in der Geschichte der USA, sagte Richard Gaudiosi, der Chef des Industriefirmenverbunds Delaware Bay and River Cooperative in Pennsylvania, dem "National Geographic".
Entlastungsbohrung dauert mindestens 90 Tage
Umweltschützer befürchten jedoch, dass diese Chemikalien der Meeresbiologie sogar eher noch schaden als helfen. Nach einer Studie des US National Research Councils (NRC) reduzieren solche Dispersionsmittel die Menge des Öls nicht, sondern ändern nur seine chemische und physische Form, so dass es sich leichter mit dem Wasser vermischt. Dies sei "einer der schwierigsten Kompromisse" in solchen Fällen: Das Öl bedrohe nun die Fische, Korallen, Austern und andere Lebewesen unter Wasser.
"Wir glauben, dass die Chemikalien hoch effektiv sind", sagte BP-Vizepräsident Bob Fryar am Montag. "Wir hoffen, dass das Öl es nicht bis zur Oberfläche schafft." Glauben, hoffen - Worte der Ungewissheit.
Ebenfalls am Montag setzte BP seine Versuche fort, ein neues Ventil an einem der kleineren Lecks zu installieren. Das vorhandene Ventil funktionierte aus ungeklärten Gründen nicht, es hätte das Leck automatisch schließen sollen. Doch hoher Seegang verhinderte, dass die Stahlmaschinerie sicher vom Schiff ins Wasser gehoben werden konnte.
Bleibt noch die Idee einer Entlastungsbohrung in 5500 Metern Tiefe. Die Arbeiten dazu würden bestenfalls 90 Tage dauern, sagte Küstenwachenchef Thad Allen. Eine solche Bohrung - die bis zu 100 Millionen Dollar kosten könnte - ist nach Allens Worten die einzige realistische Möglichkeit, den Öldruck zu mindern. Trotzdem begann BP am Sonntag mit dieser aufwendigen Notbohrung.
Auch hier ist der Erfolg völlig ungewiss. "Es ist, als wolle man eine Nadel in einem Heuhaufen finden", sagte die australische Senatorin Rachel Siewert, eine Grüne, der "New York Times". Siewert weiß, wovon sie redet: Im August vorigen Jahres explodierte in der Timorsee im Indischen Ozean die Plattform "Montara". Die ersten vier Versuche einer Entlastungsbohrung im Oktober verfehlten die Leckstelle. Erst der fünfte war erfolgreich - mehr als zehn Wochen nach dem Unglück.
"BP übernimmt die Verantwortung für die Ölpest", versicherte der Öl-Multi am Montag erneut in einer Erklärung. "Wir werden sie bereinigen." Die Frage bleibt: Wann?