
Ölpest im Golf von Mexiko Stahlkuppel-Panne in eisiger Tiefe
Washington - Mit großem Tamtam war die vier Stockwerke hohe Stahlkuppel am Donnerstag im Meer versenkt worden. In 1500 Metern Tiefe sollte die Konstruktion über das Loch im Meeresgrund gestülpt werden, aus dem seit rund zwei Wochen täglich geschätzte 800.000 Liter Öl in den Golf von Mexiko schießen. Auf diese Weise, so der Plan, hätte man die Menge des ausströmenden Öls um etwa 85 Prozent verringern und den größten Teil auf Schiffe abpumpen können.
Wer glaubte, dass das alles ein bisschen zu einfach klingt, sollte zunächst Recht behalten. Wegen der großen Kälte in dieser Tiefe hat sich nach Angaben des Ölkonzerns BP eisähnliches Methanhydrat an der Innenseite der Kuppel gebildet. Die schwammige Masse verleihe dem Stahlgehäuse nicht nur so viel Auftrieb, dass seine Position instabil wurde, sondern verhindere auch das Absaugen des Öls. Die rund 100 Tonnen schwere und 13 Meter hohe Kuppel wurde zunächst rund 200 Meter neben dem Leck auf dem Meeresboden abgestellt. Dort quillt das Öl derweil weiter ins Meer.
"Ich würde in diesem Augenblick noch nicht von einem Scheitern sprechen", sagte der verantwortliche BP-Manager Doug Suttles. Allerdings brauche man zwei Tage Zeit, um Lösungen für die neuen Probleme zu finden. Experten prüften derzeit, wie die Kristallbildung verhindert werden könne. Eine Möglichkeit sei, die Kuppel zu beheizen. Eine andere sei der Einsatz von Ethanol. Die Frage, die sich derzeit stelle, ist laut Suttles: "Gibt es einen Weg, diese Probleme zu lösen?"
Methan-Problem war Technikern bekannt
Überraschend kam das Problem mit dem Methanhydrat nicht: Bei Offshore-Bohrungen gehört es zum Alltagsgeschäft. Wenn sich Methan aus dem Öl löst und mit Salzwasser in Kontakt kommt, kann sich ein Käfig aus Wassermolekülen um die Methanmoleküle legen. Die Techniker hatten das vorausgesehen und wollten deshalb die Leitung zwischen der Kuppel und dem Schiff mit warmem Wasser heizen. Doch die Hydrate haben sich schneller angesammelt als erwartet - und so die Kuppel verstopft, ehe das Abpumpen überhaupt beginnen konnte.
Die BP-Manager betonten, wie schwierig die Aufgabe sei. Suttles sagte, eine derartige Operation mit einer Stahlkuppel sei niemals zuvor in derartiger Tiefe versucht worden. Laut Lamar McKay, Chef von BP Amerika, dauerte es allein 18 Stunden, die Kuppel auf den Meeresgrund herunterzulassen. "Das ist, als würde man in 5000 Fuß Tiefe eine Operation am offenen Herzen vollziehen, in der Finsternis und mit robotergesteuerten Mini-U-Booten."
Davon allerdings haben die von der Ölpest betroffenen Fischer und Anwohner der Golfküste nichts. Während die Stahlkuppel-Operation vorläufig scheiterte, weiteten die US-Behörden das Verbot für Fischfang an der Küste vor Louisiana aus. Über 10.000 Helfer waren im Einsatz, um zu verhindern, dass das Öl auf das ökologisch empfindliche Marschland am Mississippi-Delta trifft. Noch am Freitag wurden Teile des Ölfilms auf der Meeresoberfläche verbrannt oder mit - ebenfalls giftigen - Chemikalien zersetzt.
Öl-Austritt könnte noch Monate andauern
Sollten sich die Schwierigkeiten mit der Stahlkuppel als unlösbar erweisen, wird das Öl voraussichtlich noch monatelang ungebremst aus dem Meeresboden austreten. Zwar wird laut BP-Sprecher Steve Rinehart derzeit bereits eine weitere Stahlkuppel gebaut, die sich in Größe und Form leicht von der ersten unterscheide. Doch Mary Landry, Konteradmiralin bei der Küstenwache, dämpfte überzogene Erwartungen: "Die Kuppel ist keine Wunderwaffe."
Die einzige Strategie, die mit einiger Sicherheit Erfolg verspricht, ist eine Entlastungsbohrung in der Nähe des Lecks. Sie soll es erlauben, das offene Bohrloch mit Beton oder einer anderen schweren Flüssigkeit zu verschließen. Laut Suttles befinde sich eine solche Bohrung bereits bei einer Tiefe von rund 3000 Metern und liege damit vor dem Zeitplan. Doch es könne noch bis zu drei Monate dauern, bis man auf diese Weise den Ölausfluss stoppen könne.
Daneben werden noch weitere, allerdings riskantere Optionen ins Spiel gebracht. Eine ist die Anbringung eines neuen sogenannten Blowout-Preventers - jener Vorrichtung aus mehreren Ventilen, deren Versagen das derzeitige Öl-Leck überhaupt erst möglich gemacht hat.
Eine weitere Möglichkeit wäre, das Leck zu verstopfen, wie Suttles der "New York Times" sagte. Dabei würde man den Blowout-Preventer umbauen und schwere Materialien wie etwa Gummi einspritzen und anschließend schweren Bohrschlamm in das Bohrloch pumpen, um das von unten heraufdrängende Öl zu stoppen. Allerdings müsste der Schlamm durch neue Rohre von der Oberfläche eingebracht werden, und die Vorbereitungen in einer Tiefe von 1500 Metern wären extrem schwierig.
Und beide Prozeduren könnten das Problem durchaus auch noch verschlimmern. Am Montag sagte ein ranghoher BP-Mitarbeiter im US-Kongress, dass bei einem Misserfolg bis zu 60.000 Barrel Öl pro Tag austreten könnten - rund zwölf Mal so viel wie derzeit.
Haare in Nylonstrümpfen sollen Öl aufsaugen
Die Verzweiflung führt unterdessen an anderer Stelle zu kreativen Strategien. Das gemeinnützige Netzwerk "Matter of Trust" hat Menschen in aller Welt aufgerufen, ihr abgeschnittenes Haar und die Fellreste ihrer geschorenen Haustiere zu spenden, um sie beim Auffangen des Ölfilms vor der US-Küste einzusetzen.
Der Erfolg war durchschlagend: Rund 370.000 Friseure, 100.000 Haustiersalons und zahlreiche Schäfer hätten sich bislang an der Aktion beteiligt und tonnenweise Haare und Fellreste geschickt, sagte Lisa Gautier von "Matter of Trust".
Die Haare werden gesammelt und von freiwilligen Helfern in große, lange Nylonstrümpfe gestopft. Diese werden dann zusammengebunden und ins Meer und an den Strand gelegt, um den Ölfilm aufzusaugen, der die Küsten bedroht. Seit Freitag erhielt das Netzwerk nach eigenen Angaben täglich rund 200 Tonnen Haare und Fell, minütlich unterzeichneten rund 50 Menschen oder Firmen den Aufruf und beteiligen sich an den Spenden.
Vor einigen Tagen folgte auch eine große Organisation von Transvestiten dem Aufruf. Sie spendete laut Gautier ihre "sehr langen" Nylonstrümpfe.