»Ylenia« und »Zeynep« Deutschland in der Sturmzange

Sturmschäden am Maschsee in Hannover: Vielerorts ist der Boden aufgeweicht, Bäume entwurzeln durch den Sturm leichter
Foto:Rainer Droese / localpic / IMAGO
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Es war eine unruhige Nacht, die die Menschen in weiten Teilen Deutschlands hinter sich gebracht haben. Immer wieder rüttelten die Böen von Sturm »Ylenia« an den Fenstern – so mancher dürfte hin und wieder aus dem Schlaf gerissen worden sein. Von dem Tief war vor allem der Norden und Osten Deutschlands betroffen, hier waren Feuerwehr und Polizei vielerorts im Dauereinsatz, in Berlin wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Aber auch in Bayern mussten Tausende Haushalte ohne Strom auskommen. Am Morgen stellte die Deutsche Bahn dann in mehreren Bundesländern den Fernverkehr ein, Flüge fielen aus.
Soweit die Bilanz eines weitgehend normalen Wintersturms. Doch das Wetter hat sich noch nicht beruhigt. Im Laufe des Tages müssen die Menschen vor allem an der Nord- und Ostseeküste aber auch in den Hochlagen wie auf dem Brocken im Harz oder auf dem Fichtelberg im Erzgebirge immer wieder mit Orkanböen rechnen. Dann liegen die Windgeschwindigkeiten mindestens bei rund 120 Stundenkilometern. Doch selbst im Tiefland sind orkanartige Böen möglich. Erst im Verlauf des Donnerstags wird sich »Ylenia« voraussichtlich abschwächen.
Doch wenn »Ylenia« geht, kommt »Zeynep«. Möglicherweise gönnt das Wetter Deutschland noch eine kurze Verschnaufpause, aber schon zum Wochenende ist mit dem nächsten Sturmtief in ähnlicher Stärke zu rechnen, das vielleicht auch noch am Anfang der kommenden Woche wüten könnte, warnt der Deutsche Wetterdienstes (DWD). Ein stürmisches Doppelpack fegt über Mitteleuropa hinweg, eine Wetterkonstellation, die eher selten in unseren Regionen auftritt.
Der Ursprung der beiden Stürme liegt über dem Atlantik, eine kräftige Nordwestströmung treibt sie zu uns. Grundsätzlich speisen sich solche winterlichen Orkane, von denen man ab einer Windgeschwindigkeit von zwölf Beaufort spricht, aus den Temperaturunterschieden zwischen den Polen und dem Äquator. Sie fallen zu dieser Jahreszeit stärker aus als im Sommer, wenn es keine solchen Stürme gibt und es in der arktischen Region und um Grönland relativ mild ist. Das Band der starken Höhenwinde, die den Globus umspannen, die sogenannten Jetstreams, sind dann sehr viel schwächer ausgeprägt. Deshalb kommt es im Sommer nicht zu so großer Tiefdruckentwicklung, deren Auswirkungen wir üblicherweise als typische Herbst- und Winterstürme spüren.
Aber im Winter entsteht über dem Atlantik häufig eine ganze Serie von Stürmen, die zügig und gradlinig Richtung Osten ziehen. Nur: Deutschland verfehlen sie meist. »Eine Wetterlage, wie wir sie jetzt erleben, gibt es in Skandinavien oder Schottland jedes Jahr zig Mal«, sagt der Meteorologe Andreas Friedrich vom DWD. Das liegt daran, dass die sogenannte Frontalzone, der Übergangsbereich zwischen polaren und subtropisch geprägten Luftmassen, meist nördlicher zu finden ist, als es derzeit der Fall ist.
Doch nun sind diese Starkwindfelder weiter südlich angelegt. Dadurch ziehen die Sturmtiefs nun wie auf einer Rennstrecke über Teile von Mitteleuropa und eben auch über Deutschland hinweg. Gut möglich, dass uns noch mehr solcher Tiefs erreichen.
Guten Morgen aus Offenbach nach einer äußerst stürmischen Nacht. Der erste Höhepunkt ist überschritten, aber weitere werden sowohl heute als auch morgen noch folgen.
— DWD (@DWD_presse) February 17, 2022
Hier eine grafische Übersicht der Windspitzen der vergangenen Nacht (1 bis 7 Uhr, km/h): /V #Sturm #Ylenia pic.twitter.com/RcZq3Ys9dh
»Solche Sturmserien gibt es hier nur alle paar Jahre mal«, so Friedrich. Er erinnert an Orkan »Vivian«, der Ende Februar 1990 über Deutschland hinwegzog und Spitzenwindgeschwindigkeiten von über 250 Kilometern pro Stunde erreichte. Gleich darauf setzte Sturmtief »Wiebke« noch eins drauf, ihre Böen erreichten mehr als 280 Kilometer pro Stunde. Bei beiden Stürmen kamen rund einhundert Menschen um, ihnen waren schon andere Sturmtiefs vorausgegangen. Möglicherweise fällt auch Sturm »Zeynep«, der geografisch etwas weiter südlich ansetzt, stärker aus. Doch genaue Daten vermag der DWD noch nicht vorherzusagen.
Der Vergleich der Windgeschwindigkeiten mit »Ylenia« zeigt, dass unser aktuelles Sturmtief zumindest nicht außergewöhnlich stark ausfällt. Auf dem Brocken wurden Werte um 150, km/h gemessen, auf dem Kahler Asten im Sauerland waren es 133 km/h. Aber auffällig ist, dass die Böen sehr plötzlich auftreten können, wie es auch in den Warnungen heißt. Das dürfte bei manchen Menschen zumindest den subjektiven Eindruck erwecken, dass es sich um einen sehr heftigen Sturm handelt.
Der Grund für die plötzlichen Windattacken liegt in einer zusätzlichen Kaltfront, die in der Nacht oberhalb von »Ylenia« auftrat. Dann gelangt kältere Luft aus höheren Schichten zum Boden. Dort sind die Windgeschwindigkeiten ohnehin größer. Wenn nun noch Regenschauer auftreten, gelangt der stärkere Wind aus höheren Luftschichten wie ein Wasserfall Richtung Boden. Dann kann es kurzzeitig zu extremen und maximalen Böen auch in Niederungen kommen. »Innerhalb einer Sekunde verdoppelt sich manchmal sogar die Windgeschwindigkeit«, sagt Friedrich.
Mit dem Klimawandel haben solche winterlichen Stürme und Orkane wie »Ylenia« oder »Zeynep« aber nichts zu tun. Im Gegenteil: »Klimasimulationen gehen davon aus, dass diese Tiefs möglicherweise sogar schwächer werden könnten«, sagt Friedrich. Der Grund liegt in geringeren Temperaturunterschieden zwischen den Polen und dem Äquator aufgrund der Erderwärmung. Aber genau diese Temperaturunterschiede sind es, die solche Stürme begünstigen. Schließlich ist Wind nichts anderes als eine Ausgleichsbewegung zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten.