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Schweinswale: Bedrohte Nachbarn

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Ostsee Schweinswale in Seenot

Sie sind die einzigen heimischen Wale der Ostsee. Doch Stellnetzfischerei und extremer Lärm machen den Meeressäugern das Leben schwer. Um sie zu retten, ist schnelles Handeln nötig.
Von Bettina Kelm

Es gibt Tiere, die scheuen das Rampenlicht. Sie halten sich zurück und meiden uns. Und so bleiben sie uns fremd, obwohl sie in direkter Nachbarschaft zu uns leben. Der Schweinswal ist so eine zurückhaltende Art. Man weiß, dass er in vielen Weltgegenden zuhause ist, man findet ihn vor Kanada genauso wie vor Spitzbergen, im Schwarzen Meer sowie in der Nord- und Ostsee. Er besucht flache Buchten, erkundet Gezeitenkanäle und schwimmt sogar Weser und Elbe hoch. Doch wie viele der Meeressäuger zwischen Kattegat und Finnischem Meerbusen unterwegs sind, war nur grob schätzbar. Bislang.

SAMBAH soll Abhilfe schaffen. SAMBAH steht für "Static Acoustic Monitoring of the Baltic Sea Harbour porpoise", auf Deutsch: "Statisches, akustisches Monitoring des Ostsee-Schweinswals". Dahinter verbirgt sich ein Projekt, das mithilfe von 300 Detektoren die Laute der Schweinswale registriert. Dadurch weiß man beispielsweise, dass Schweinswale immer noch in der ganzen Ostsee leben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Jetzt weiß man, wie dringend diese Walart unserer Hilfe bedarf. Während es in der Nordsee noch 264.000 Schweinswale gibt und in der westlichen Ostsee 18.500, schwimmen im Osten des Baltischen Meeres höchstens 460. Das ist dramatisch, gilt sie doch als eigenständige Population, die mittlerweile den Status "vom Aussterben bedroht" hat. Denn auch wenn es schon längst den Willen gibt, das Tier zu schützen - passiert ist bislang wenig. Ob es ein Happy End gibt, kann noch niemand sagen. Aber es gibt Ideen, wie dem Tier zu helfen wäre.

Um zu verstehen, wie man ihm das Leben erleichtern kann, muss man verstehen, wie er lebt. Schweinswale sind die einzigen heimischen Wale der Ostsee. Sie sind kleiner als ihre Vettern im Atlantik, statt rund zwei messen sie hier nur zwischen 1,40 und 1,60 Meter. Sie jagen im flachen Wasser nach Heringen, Sprotten, Dorsch oder auch Grundeln. Dabei kommt es selten vor, dass sie Herden von über zehn Tieren bilden.

Sie brauchen sauberes Wasser, genügend Nahrung und - für ein Säugetier selbstverständlich - Luft zum Atmen. Und all das machen wir ihnen streitig: Wir vernichten Stück für Stück ihren Lebensraum, nehmen ihnen den Fisch und schließlich ersticken wir sie oftmals - wenn auch unabsichtlich. Ostsee-Schweinswale sind einer ganzen Flut von Gefahren ausgesetzt: Überfischung, Umweltverschmutzung und auch der zunehmende Lärm im Meer stellen eine massive Bedrohung dar. Sprengung von Kriegsmunition und der Einsatz von Seismik bei der Suche nach Öl- und Gasvorkommen mit sogenannten Airguns sorgen dafür, dass den Walen im wahrsten Sinn des Wortes Hören und Sehen vergeht. Beim Rammverfahren zur Errichtung von Offshore-Windparks besteht für die Meeressäuger die Gefahr eines Gehörschadens mit tödlichen Folgen. Denn ohne Gehör können Wale weder kommunizieren noch sich orientieren oder jagen.

Harmlose Netze werden zur großen Gefahr

Richtig traurig wird die Geschichte, wenn man sie auf konkrete Einzelschicksale reduziert. Wie das von Schweinswal-Baby Mimi. 2011 strandete ein Walkalb an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Lebend. Von seiner Mutter keine Spur. Harald Benke, Leiter der Schweinswalforschung im Meeresmuseum Stralsund, deutet auf die Karte, die vor ihm liegt. "Hier vor Dierhagen, westlich von Rügen, wurde das Kalb gefunden." Wegen starker Wellen konnte man das Tier nicht ins Meer zurückbringen und packte es für zwei Tage in eine mit Meerwasser gefüllte Baggerschaufel. Danach wurde das junge Walweibchen wieder ausgesetzt. Zuvor aber vermerkte der Forscher die besonderen Kennzeichen: markanter Einschnitt an der Fluke, kleine Höcker auf der Rückenfinne. Die Retter gaben dem Wal-Baby noch einen Namen mit auf den Weg: Mimi. Dass die Mutter ihren Nachwuchs per Sonar nach zwei Tagen Trennung wieder orten würde, glaubte von den Wissenschaftlern jedoch keiner.

Zehn Wochen später klingelte bei Benke das Telefon. Einige Kilometer weiter westlich bei Warnemünde war ein Schweinswaljungtier als ungewollter Beifang ins Stellnetz gegangen. Eine schnelle Untersuchung des Tieres zeigte, dass es sich um Mimi handelte. Die Mutter hatte ihr Kalb also wiedergefunden, denn ohne Muttermilch hätte es unmöglich zehn Wochen überlebt. Ein kleines Wunder - doch dann erstickte das unerfahrene Tier in einem Stellnetz.

Artenschützer und Wissenschaftler halten die auf den ersten Blick harmlosen Netze für die größte Gefahr: Sie seien für die meisten toten Ostsee-Schweinswale verantwortlich. Wie kilometerlange Tennisnetze bringen die Fischer sie am Meeresboden aus, um Hering oder Dorsch zu fangen - die wichtigsten Speisefische der Ostsee. Das Prinzip der "Unterwasserwand" ist einfach: Der Fisch schwimmt hinein und verfängt sich mit den Kiemendeckeln darin. Für die Fischer eine höchst effiziente Fangmethode. Durch die entsprechende Maschenweite gehen fast nur der Zielfisch ins Netz und weniger Jungtiere, die den Ertrag der Fischer schmälern würden. Die Netze sind zudem leicht ein- und auszubringen, nehmen zusammengerollt an Bord kaum Platz weg, ein kleiner Kutter reicht. Ideal - wäre da nicht die Gefahr für Schweinswale. Das Nylonnetz ist so fein, dass es der Wal mit seinem Sonar nur schlecht orten kann oder durch das Fokussieren auf den Fisch abgelenkt ist. Die auf Luft angewiesenen Säugetiere verheddern sich und ersticken.

Dabei gibt es längst Fischereimethoden, die ungefährlich sind. Walfreundliche Reusen, Fischfallen, automatisierte Angeltechniken oder Netze, die von den Schweinswalen besser geortet werden können. Mit Bariumsulfat verstärkte Garne finden sich bereits vielerorts im Einsatz. Diese Alternativen müssen jedoch erst an die besonderen Verhältnisse der Ostsee angepasst werden - und werden von vielen Fischern mit Argwohn beäugt.

Tod im Stellnetz

Die Schwierigkeit besteht darin, den Fischern ihren "Bestseller" Stellnetz auszureden und sie von Methoden zu überzeugen, die mehr Kosten und Aufwand bedeuten - oder gar tiefer sitzende Probleme an die Oberfläche bringen. Moderne Fischfallen verhindern, dass Meeressäuger als Beifang verenden. In Kanada sind sie längst ein Erfolg, in der Ostsee aber bislang ein Flop, "da kaum Fisch reingeht".

Der Grund liegt für Stefan Bräger, Wissenschaftler am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund auf der Hand: "Alternativen wie Fischfallen funktionieren hier deshalb nicht, weil die Bestände bereits massiv überfischt sind."

Solange schweinswalfreundliche Fanggeschirre noch Probleme bereiten, möchte kaum ein Fischer freiwillig sein Stellnetz aufgeben. Muss er bis jetzt auch nicht, denn selbst in Schutzgebieten ist die verheerende Methode nicht verboten. "Obwohl etwa 45 Prozent der deutschen Nord- und Ostsee seit 2007 zu Schutzgebieten erklärt wurden, fehlen immer noch regulierende Maßnahmen und ein Schutzgebietsmanagement", erklärt Fabian Ritter von der Organisation Whale and Dolphin Conservation (WDC). Mit der Kampagne "Walheimat - sichere Schutzgebiete jetzt!" fordert die Organisation, diese Areale endlich zu echten Reservaten für Schweinswale zu machen.

Die einzige Verordnung, die bisher greift, ist mehr ein Teil des Problems als seine Lösung: Stellnetzfischer mit Kuttern über zwölf Meter Länge (das betrifft drei Prozent der Flotte), müssen sogenannte Pinger an den Netzen anbringen - das sind akustische "Schweinswal-Vergrämer". Naturschützer und Wissenschaftler sind sich einig: Die Pinger führen alle Schutzziele ad absurdum. Mit ihnen werden Schweinswale aus Gebieten vertrieben, die für ihren Schutz eingerichtet wurden. Außerhalb warten dann Stellnetze ohne Pinger auf die Meeressäuger. Zu gewissen Zeiten ist die Küstenlinie der Deutschen Ostsee mit Stellnetzen quasi zugestellt. Ein einziges Fischerboot darf rund zehn Kilometer Netz ausbringen. Laut Bundesamt für Naturschutz ergibt sich allein für die deutsche Flotte eine maximal mögliche Stellnetzlänge von über 10.000 Kilometern - schlechte Chancen für den Schweinswal, aber auch das Todesurteil für Tausende nach Fisch tauchende Seevögel. Allein im Gebiet Oderbank östlich von Rügen ertrinken jedes Jahr 20.000 Vögel in Stellnetzen - da helfen auch keine Pinger.

Dabei gibt es längst politische und rechtliche Rahmenbedingungen: 1992 verabschiedete die Europäische Union die FFH-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Hört sich sperrig an, ist aber eine gute Sache für die Natur; denn alle Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Umsetzung einzuhalten. Eigentlich.

"Naturschutz kann nur funktionieren, wenn alle mitziehen"

Um den Schweinswalen und Seevögeln einen Platz zum Leben zu garantieren, steht die Vermeidung von Beifang an oberster Stelle. Zuständig für die deutschen Meeresschutzgebiete ist innerhalb von zwölf Seemeilen das jeweilige Bundesland, der Bund ab zwölf bis 200 Seemeilen. Diese Gebiete nennt man auch "Ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ). Und genau dafür müssen bis Ende 2013 die Verordnungen erarbeitet sein. Im Klartext: Die Bundesregierung muss jetzt entscheiden, welche Nutzung dort erlaubt sein soll. Während man hierzulande gerne über die Waljagd der Japaner schimpft, lässt Deutschland zu, dass die eigenen Wale ausgerottet werden. Um den richtigen Weg zu ihrer Erhaltung gibt es Streit - die beiden zuständigen Ministerien blockieren sich gegenseitig. Das Verbraucherministerium schlägt vor, die Stellnetze in Schutzgebieten zu belassen und flächendeckend mit Pingern zu bestücken. Das Bundesumweltministerium fordert, Stellnetze zur Hälfte aus den Schutzgebieten zu entfernen. Selbst Letzteres wäre aus Naturschützersicht ein schwacher Kompromiss - und bedeutet, die FFH-Richtline zu ignorieren. Diese sieht vor, dass Wale in der gesamten Fläche geschützt werden müssen. Kommt es nicht zu einer politischen Einigung, findet außerhalb der FFH-Gebiete gar kein Schutz statt. Die Wale aber halten sich natürlich nicht nur in Schutzgebieten auf, sondern wandern die ganze deutsche Küste entlang. Als wäre der Bruch der EU-Vorgabe nicht genug, ist Deutschland schon durch ASCOBANS, ein internationales Abkommen für die Erhaltung von Kleinwalen in der Nord- und Ostsee, seit Jahren zum Schutz der Tiere verpflichtet.

Doch Papier ist geduldig. Vielleicht bringt ein Vorstoß aus Schleswig-Holstein die Wende. Auch in den Gewässern vor Flensburg und um Fehmarn vergeht keine Stunde, ohne dass von den Horchgeräten des Deutschen Meeresmuseums ein Schweinswal erfasst wird. Für dieses Gebiet ist Schleswig-Holstein zuständig. Gerüstet mit diesen "Anwesenheitsbeweisen" der Wale, bemüht sich Minister Robert Habeck von den Grünen aktuell um eine Änderung der Küstenfischereiverordnung: den zeitweisen Verzicht von Stellnetzen in besonders sensiblen Gebieten. Auch ein Maßnahmenpaket für die Erprobung von alternativen Fangtechniken ist vorgesehen. "Falls das gelingt, wäre das insofern eine Sensation, als dass EU-weit erstmals Stellnetze zum Schweinswalschutz reduziert würden. Andere Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern oder Niedersachsen ziehen dann vielleicht nach. Möglicherweise gibt es einen Dominoeffekt für die AWZ-Schutzgebiete, deren Zukunft gerade die beiden Ministerien in der Hand haben", sagt Meeresbiologe Stefan Bräger.

Dabei muss die Fischerei in Schutzgebieten nicht prinzipiell verboten werden, solange nachweislich die Schutz- und Vorsorgeverpflichtungen eingehalten werden. Es gibt konstruktive Möglichkeiten wie schonende Fangmethoden, eine zeitliche oder räumliche Einschränkung für Netze, Initiativen wie Gütesiegel für schweinswalfreundlich gefangenen Fisch - und die unbedingte Schonung von überfischten Arten.

"Naturschutz kann nur funktionieren, wenn alle mitziehen", mahnt Bräger. Kompromisse mit den Stellnetzfischern einzugehen, sieht er durchaus als sinnvoll und wichtig an. In anderen Ländern wie Neuseeland zeigt sich längst, dass es sich für Natur und Fischer in relativ kurzer Zeit lohnt, Gebiete zu schonen. Ein vernünftiger Umgang mit den Ressourcen unserer Ostsee sollte das Ziel sein. "Böse Fischer, gute Umweltschützer? Das Schwarzweiß-Denken bringt uns nicht weiter", sagt Forscher Stefan Bräger.

Dieser Artikel stammt aus "natur" 8/2013, dem Magazin für Natur, Umwelt, nachhaltiges Leben 

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