
Panzerfische mit Biss: Die Entwicklung des modernen Kauapparates
Die ersten Tiere mit kräftigem Kiefer waren Knorpelfische - dachte man bislang. Ein Fund aus China wirft diese Theorie nun über den Haufen. Demnach hatte bereits ein Panzerfisch den modernen Kauapparat, vor mehr als 400 Millionen Jahren.
"Jaws" ist das englische Wort für Kiefer und da quasi synonym mit einem Maul der kräftigsten Sorte: Anders als im Deutschen ist das Wort geeignet, fieseste Assoziationen zu wecken.
Es ist darum auch der Originaltitel von Steven Spielbergs "Der weiße Hai". Tatsächlich könnten die mächtigen Meeresräuber ja prototypisch für das Konzept des Kauapparates mit brachial kräftigen Kiefern stehen. Auf 18.000 Newton, was einer Gewichtskraft von 1,8 Tonnen entspricht, soll es der Biss eines kapitalen Weißen Hais bringen.
Mächtiger schnappte einst nur Megalodon zu, der vor rund drei Millionen Jahren ausgestorbene, charismatische Urhai. Auf bis zu 20 Meter Länge brachte er es, das Maul allein hatte einen Durchmesser von bis zu drei Metern und eine Bisskraft von 18 Tonnen. Segeln wäre wohl ein Extremsport für Lebensmüde, wenn Megalodon noch heute im Meer seine Häppchen suchte.
Das dem nicht mehr so ist, lag wohl nicht am Kiefer: Der heute mit sehr wenigen Ausnahmen allen Wirbeltieren gemeine Kauapparat ist ein echtes Erfolgskonzept. Bissstärken der geschilderten Art sind ohne eine Konstruktion aus knöchernem Ober- und Unterkiefer mit kräftigen Kaumuskeln nicht denkbar. Bisher dachte man, dass es haiähnliche Knorpelfische gewesen seien, die erstmals unsere "moderne" Kieferform ausprägten.
Wie eine Ente mit Hybridmotor
Ein aktueller Fund aus China, den eine Forschergruppe um Min Zhu, Xiabo Yu und Per Erik Ahlberg nun im Fachmagazin "Nature" vorstellt, verweist solche Anwärter auf die Plätze: Schon Entelognathus primordialis (lateinisch für "urweltlich, ursprünglich"), ein circa 20 Zentimeter großer Vertreter der vor rund 360 Millionen Jahre ausgestorbenen Panzerfische, verfügte demnach über einen Kiefer, der dem heutiger Knochenfische ähnelte. Das ist ein bisschen so, als würde man in einer Scheune einen Citroen 2CV "Ente" von 1972 mit einem modernen Hybridmotor finden.
Das Tier lebte vor rund 419 Millionen Jahren im ausgehenden Silur. Es war eine Zeit der rapiden Veränderungen. Noch regierten Tiere wie die bis zu zwei Meter langen Seeskorpione die Spitze der Nahrungskette. Bis zu den ersten Haien sollte es noch einige Millionen Jahre dauern, und erst kurz zuvor hatten erste Gliederfüßer den Weg an Land gewagt.
Erste Wirbeltiere sollten ihnen erst über 40 Millionen Jahre später dorthin folgen. Und doch waren die Weichen in vielerlei Hinsicht schon gestellt: Erste Knochenfische, die Vorfahren der meisten heute lebenden Fische und aller landlebenden Wirbeltiere, bevölkerten die Meere. Entelognathus gehörte nicht dazu, die Linie der Panzerfische fand im ausgehenden Devon ihr Ende - sie starben aus.
Bemerkenswert an dem aktuellen Fund sind vor allem zwei Dinge. Zum einen revidiert er die Vorstellung, dass die Ausprägung des modernen Kieferapparates am Ende einer Entwicklung stand, die man bisher etliche Millionen Jahre später und in einer anderen Tiergruppe vermutete. Zum anderen ist es der Erhaltungszustand des Fossils selbst: Entelognathus primordialis wurde regelrecht dreidimensional konserviert. Das ermöglichte Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop, die spektakulär räumliche Abbildungen des Tieres erbrachten - eine Rarität bei einem Fossil solchen Alters (siehe Bildergalerie).