
Löchriger Eistresor: Warnsystem für den Permafrost
Tauender Permafrost Städten des Nordens droht der Schlammtod
Hamburg - Scheinbar ewiges Eis bedeckt ein Viertel des Festlandes der Nordhalbkugel. Der sogenannte Permafrostboden ist das ganze Jahr hindurch tief gefroren. Würde die globale Erwärmung ihn tauen, drohen schwere Folgen in den betroffenen Regionen: Städte könnten in Schlamm versinken, Straßen, Häuser oder Pipelines zusammensacken. Auch globale Folgen drohen. Aus dem schmelzenden Untergrund würden große Mengen an Treibhausgasen entweichen - sie würden die globale Erwärmung verstärken.
Trotz der Gefahren herrscht großes Unwissen. "Obwohl das Risiko bekannt ist, wurde Permafrost bislang kaum in Modellrechnungen für Klimavorhersagen mit einbezogen", sagt Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polarforschung in Potsdam. Um das zu ändern, haben Polarforscher nun eine globale Datenbank geschaffen, mit der sie die Entwicklung der Permafrostböden weltweit verfolgen können.
Die Wissenschaftler wollen den Einfluss der tauenden Böden auf regionales und globales Klima ermitteln, um künftig genauere Prognosen abgeben zu können. Dazu haben sie Ende 2011 das Großprojekt "PAGE21" ins Leben gerufen. Von über 600 Bohrlöchern aus Permafrostgebieten rund um den Globus werden Messdaten an die zentrale Datenbank gesendet.
Wenn Permafrostböden im Sommer auftauen, bestimmen Feldforscher unter anderem Temperatur und Tiefe der aufgetauten Schicht sowie die austretenden Gase. Die Analysen werden regelmäßig wiederholt, um Änderungen im Laufe des Jahres zu verfolgen. Den Hauptteil des knapp zehn Millionen Euro teuren Projekts trägt die EU mit ihrem Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung.
Kalter Boden erwärmt sich schneller
Ein Jahr nach Projektstart präsentierten die "PAGE21"-Forscher auf ihrer Jahrestagung in Hamburg nun erste Ergebnisse. Demnach verändern sich Permafrostböden auf überraschende Weise: Dort wo der Boden mit zweistelligen Minustemperaturen sehr kalt ist, erwärmt er sich schneller als in Gegenden, wo seine Temperatur nur knapp unter dem Gefrierpunkt liegt.
In den wärmeren Regionen am südlichen Rand der Permafrostgebiete befindet sich unter der Oberfläche eine Schicht mit sogenanntem Grundeis, erklärt Projektleiter Hans-Wolfgang Hubberten vom AWI. Beim Tauen braucht das angestaute, gefrorene Grundwasser viel Energie, um in einen flüssigen Zustand überzugehen. Es erwärmt sich folglich langsamer. "Wenn die Durchschnittstemperatur auf der Erde aber um etwa vier Grad Celsius ansteigt, wird der Permafrost in diesen Gegenden gänzlich verschwinden", warnt Hubberten.
Die große Ausdehnung der Permafrostgebiete lässt erahnen, wie stark sie das Klima beeinflussen können, wenn weite Teile davon auftauen. Wissenschaftler befürchten, dass dann riesige Mengen des dort eingelagerten Kohlenstoffs als Treibhausgase in Form von Kohlenstoffdioxid und Methan an die Oberfläche gelangen und die globale Erwärmung verstärken könnten.
Städte würden im Schlamm versinken
Von den Treibhausgasen abgesehen, hätten auftauende Permafrostböden auch direkt spürbare Auswirkungen. So liegt beispielsweise die russische Großstadt Jakutsk vollständig auf Permafrost. Die meisten Häuser stehen auf Betonpfeilern, damit der Boden darunter nicht von der abgestrahlten Wärme aufgetaut wird. "Wenn der Permafrost in solchen Gegenden taut, wird der Untergrund matschig und die Häuser vieler Menschen wären einsturzgefährdet. Auch die Infrastruktur bekäme direkte Auswirkungen zu spüren", sagt Lantuit.
Akut könne man bislang nichts gegen das Auftauen der Böden tun, sagen die Experten. Die globale Datenbank soll aber dabei helfen, mit den Folgen tauender Permafrostböden besser fertig zu werden. "Wenn wir dank Prognosen wissen, dass in bestimmten Regionen wohl Häuser und Pipelines beschädigt werden, oder dass die Erosion an Küsten zunimmt und dadurch Siedlungen ins Landesinnere verlagert werden müssen, können wir frühzeitig darauf reagieren", erklärt Hubberten. Langfristig könne der Permafrost nur erhalten bleiben, wenn man den weltweiten Temperaturanstieg eindämmt.
Ergebnisse geheim gehalten
Damit die Messwerte in der Datenbank hinterher vergleichbar sind, sollen alle Forscher ein einheitliches Messverfahren verwenden. "Vorher hat jeder anders gemessen. Manche bohrten tiefer in den Boden und verwendeten andere Messinstrumente als ihre Kollegen", erklärt Lantuit. "Nun haben wir gemeinsame Standards und sehen, wie ungenau unsere Messungen bislang waren." Zum ersten Mal können die Forscher mit diesem Mittel standardisierte Messungen zusammenbringen. "Nur auf diese Weise können wir zuverlässige Modelle für regionale und globale Veränderungen entwickeln", sagt Hubberten.
Dass Polarforscher auf die Ergebnisse ihrer Kollegen zugreifen können, ist nicht so selbstverständlich, wie es scheint. "Manchmal geben Wissenschaftler ihre Ergebnisse nicht preis, weil sie auf exklusive Publikationen warten", sagt Vladimir Romanovsky vom Geophysikalischen Institut der University of Alaska in Fairbanks. Oft seien es aber auch staatliche Vorgaben, die den Zugang erschweren. "In China scheint es die politische Linie zu sein, Messdaten der Öffentlichkeit vorzuenthalten, aber auch in Kanada kommt man oft nur schwer an Daten", beklagt der Forscher. "Das ist natürlich nicht zuträglich, wenn man ein Problem auf globaler Ebene anpacken will."
Permafrost erwärmt sich weltweit
Die Datenbank ist schon in Betrieb und soll in den kommenden Monaten der Forschungsgemeinschaft zugänglich gemacht werden. "Wir sind überzeugt, dass die Datenbank in zwei Jahren ganz selbstverständlich von jedem Permafrostforscher genutzt wird", sagt Lantuit. Die Wissenschaftler sollen so ohne Umwege und Hindernisse die Messdaten ihrer Kollegen einsehen können. Die große Datenmenge sowie deren schnelle Auswertung ermöglichen laut den Experten künftig eine umfassendere und präzisere Anpassung von Klimamodellen.
Für weltumspannende Prognosen sei es laut den Experten noch zu früh, doch schon jetzt ist man sich in einem Punkt einig: Der Permafrostboden erwärmt sich - unabhängig davon, ob er nur wenige Meter oder wie in Teilen Sibiriens 1,5 Kilometer tief gefroren ist.