

Wer in PubMed, dem Archiv für naturwissenschaftliche Artikel, nach Igor Siwanowicz sucht, wird schnell fündig. Die Lektüre der Trefferliste lässt vermuten, dass Siwanowicz eine ansehnliche Karriere als Biochemiker gemacht hat. Zuletzt beschäftigte sich der Forscher mit dem Pilzkörper der Taufliege Drosophila melanogaster. Die anatomische Struktur im Gehirn von Insekten ist für Neurobiologen besonders aufschlussreich, denn dort sitzt gewissermaßen das, was manche als Intelligenz der Fliege bezeichnen: Spezielle Nervenzellen im Pilzkörper verarbeiten Sinneseindrücke - so dass auch eine Taufliege aus Erfahrungen lernen kann.
Wie diese neuronale Struktur im Detail funktioniert, das hatte Siwanowicz, der bis vor kurzem noch am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München arbeitete, im Juni gemeinsam mit Forscherkollegen in einem Fachartikel veröffentlicht. Aber Auszeichnungen wie diese, nämlich eine Publikation im renommierten Fachmagazin "Nature Neuroscience", treiben die Neugierde des Forschers längst nicht mehr allein an.
Als eines Tages eine kleine Florfliege auf Siwanowiczs Hand landete und damit begann, ihre Kiefer in seine Haut zu rammen, schüttelte er das lästige Insekt nicht einfach ab. Stattdessen nahm er ein kleines Probenröhrchen zur Hand, das er für solche Fälle immer bei sich trägt, und sammelte das Tierchen ein.
Das sollte ihm später einen Preis bescheren, über den sich der promovierte Biochemiker jetzt besonders freut - den ersten Preis bei der alljährlich stattfindenden Nikon Small World Competition. Dort werden Fotos prämiert, die durch ein Lichtmikroskop gemacht wurden und die zeigen, was normalerweise verborgen bleibt.
Mitmachen kann bei der Small World Competition jeder ab 18 Jahren, ob Hobby- oder professioneller Fotograf. Wettbewerber kommen aus der ganzen Welt. Thematisch ist der Wettbewerb nicht eingegrenzt. An Lichtmikroskop-Techniken ist alles erlaubt, was die heutige Optik zu bieten hat. Allerdings handelt es sich bei vielen Geräten um hochspezialisierte Mikroskope, die unter Umständen bis zu mehrere hunderttausend Euro kosten können und deshalb nur von Forschungseinrichtungen betrieben werden.
Und genau ein solches nutzte auch Siwanowicz, der inzwischen aus der Forschung ausgestiegen ist und sich ausschließlich seiner Leidenschaft für die Mikro- und Makrofotografie hingibt. Die preisgekrönte Florfliege, genauer gesagt handelt es sich um eine Chrysopa sp., fotografierte Siwanowicz mit Hilfe eines sogenannten konfokalen Laser-Scanning-Mikroskops, bei dem ein fokussierter Laserstrahl das Objekt horizontal und vertikal abtastet.
"Meine Kunst sorgt beim Betrachter für eine Unstimmigkeit", sagt der Biochemiker über seine Werke. "Es ist ein Konflikt zwischen der kulturell verfestigten Wahrnehmung von Insekten als etwas Abstoßendes und Ekelhaftes und der Bewunderung für deren Schönheit." Schon in der Vergangenheit wurden Werke von ihm mit Preisen ausgezeichnet, darunter etwa das faszinierende, grellbunte Foto einer tanzenden Gottesanbeterin.
Insgesamt 20 Bilder hat das Komitee der Nikon Small World Competition dieses Jahr gekürt - alle zeigen sie die Faszination des Winzigen und der Details, die Natur zu bieten hat.
SPIEGEL ONLINE zeigt die Bilder der 20 Preisträger.
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Platz 20: Douglas Moore von der University of Wisconsin ist einer der Preisträger der Nikon Small World Competition 2011: Er legte die versteinerten Überreste eines Dinosaurierknochens unter ein Stereomikroskop. Das Resultat ist eine 42fache Vergrößerung von etwa 150 Millionen Jahre alten fossilen Zellen.
Platz 19: Diese Aufnahme entstand mit Hilfe eines sogenannten konfokalen Laser-Scanning-Mikroskop, bei dem ein fokussierter Laserstrahl das Objekt abtastet. Die unterschiedliche Färbung wird dadurch erreicht, dass bestimmte Proteinstrukturen der Zelle mit fluoreszierenden Leuchtmolekülen markiert werden, die mit Hilfe von Licht zum Leuchten angeregt werden. Das Foto von Donna Stolz von der University of Pittsburgh zeigt eine Collage aus verschiedenen Säugetierzellen, die mit einem solchen Mikroskop gemacht wurde.
Platz 18: Benjamin Blonder und David Elliot sind Biologen der Tucson University in Arizona. Ihr Foto überzeugte die Nikon Jury durch dessen Schlichtheit. Das Bild haben sie mit einem gewöhnlichen Hellfeldmikroskop gemacht, bei dem das Objekt auf hellem Grund liegt und einfach durchleuchtet wird. Gefärbte Strukturen, wie hier die sogenannte Nervatur eines Blattes, werden so hervorgehoben.
Platz 17: Auch dieses Bild hat der Forscher Witold Kilarski aus der Schweiz mit einem konfokalen Lasermikroskop geschossen. Zu sehen sind die Lymphbahnen in einem Mäuseohr. Darin hat sich jedoch ein lästiger Parasit eingenistet (in Rot): Der Fadenwurm Litomosoides sigmodontis.
Platz 16: Ebenso wurden Forscher aus Belgien gekürt. Ihnen gelang diese besonders künstlerische Aufnahme von Zellen (rötlich), die auf einer Polymer-Matrix wachsen (grün).
Platz 15: Der Meeresforscher James Nicholson fotografierte lebende Steinkorallen (Porites lobata) in 12facher Vergrößerung und färbte bestimmte Strukturen mit fluoreszierenden Proteinen.
Platz 14: Yanping Wang vom Beijing Planetarium fotografierte unterschiedliche Sandkörner (4fache Vergrößerung).
Platz 13: Der behaarte Knorpelbaum, auch Grieswurzel genannt, ist eine äußerst giftige Kletterpflanze. Sie produziert das Neurotoxin Curare vine, das auch als Pfeilgift bekannt ist.
Platz 12: Thomas Deernick von der University of California in San Diego fotografierte etwas, das Tausende von Forschern weltweit in ihren Laboren für ihre Untersuchungen nutzen: Sogenannte HeLa-Zellen. Dabei handelt es sich um Krebszellen, die ursprünglich aus der Geschwulst im Gebärmutterhals der Patientin Henrietta Lacks entnommen wurden. Seither werden ungeheure Mengen dieser Zellen kultiviert.
Platz 11: Der leuchtende Kopf einer Ameise. Das ist das Werk des Forschers Jan Michels von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Kopf ist um das 10fache vergrößert.
Platz 10: Auch ein Wasserfloh kann faszinierend schön wirken. Die Anatomie von Daphnia magna ist hier besonders gut zu sehen. Das Bild stammt von Joan Röhl von der Universität in Potsdam.
Platz 9: Jan Michels gelang es, gleich zweimal für eine Mikroskop-Aufnahme gekürt zu werden. Dieses Bild zeigt die bizarre Anatomie eines Ruderfußkrebses (Temora longicornis).
Platz 8: Nicht nur lebende Objekte faszinieren im Detail: Zu sehen ist hier das Gestein-Granulit aus Kerala, einer Region in Indien, in 2,5facher Vergrößerung.
Platz 7: Gabriel Luna von der University of California in Santa Barbara ist Neurobiologe und zeigt mit diesem Bild, wie formschön die Nervenfaserschicht in der Netzhaut einer Maus aufgebaut ist.
Platz 6: Dennis Callahan vom California Institute of Technology Pasadena zeigt in dieser Schwarz-Weiß-Aufnahme eine vergrößerte Halbleiter-Solarzelle aus Galliumarsenid - 50-fach vergrößert.
Platz 5: Diese vergrößerte Aufnahme einer Mikrochip-Oberfläche (500fach) erinnert entfernt an die Kampfplätze des computeranimierten Films "Tron". Das Bild ist eine 3-D-Rekonstruktion, aufgenommen mit einem Spezial-Lichtmikroskop. Diese Interferenz-Kontrastmikroskopie wird gerne auch von Biologen genutzt, die sich mit dem Modellorganismus Caenorhabditis elegans befassen: Damit bekommt man ein dreidimensionales Abbild des ansonsten durchsichtigen Wurms.
Platz 4: Bei diesem Bild erkennt man farbenprächtige Details eines Lebermoos (Lepidozia reptans), das gerne morsches Holz besiedelt, in 20facher Vergrößerung.
Platz 3: Frank Fox von der Fachhochschule Trier gelang dieses spektakuläre Bild einer lebenden Kieselalge in 320facher Vergrößerung.
Platz 2: Donna Stolz von der University of Pittsburgh fotografierte ein fürs menschliche Auge vergleichbar schlichtes Objekt: einen Grashalm.
Platz 1: Der Makro- und Mikrofotograf Igor Siwanowicz ist Gewinner der diesjährigen Nikon Small World Competition. Der Hauptpreis des Wettbewerbs ist mit 3000 Dollar dotiert. Für das Geld muss der Sieger allerdings Fotoausstattung kaufen - und zwar vom Hauptsponsor.
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