
Klima der Zukunft: Wo Extreme wüten
Report zum Extremwetter Uno versagt bei Aufklärung über Klimawandel
Kampala - Bei der Vorstellung des neuen Klimaberichts der Vereinten Nationen (Uno) an diesem Freitag in der ugandischen Hauptstadt Kampala entlarvte bereits die erste Frage einer lokalen Journalistin das Dilemma des Uno-Klimarats: "Was hat die Erdlawinen in Uganda in diesem Jahr ausgelöst?", wollte die Dame wissen. Die Antwort der Uno-Klimaexperten konnte sie nicht zufriedenstellen: Jeder Erdrutsch hat viele Ursachen; ob die vom Menschen mitverursachte Klimaerwärmung eine Rolle spielt, lässt sich kaum je beweisen.
Bei Extremwetter-Ereignissen fällt bereits die Bestandsaufnahme schwer: Eine große Menge an Daten ist nötig, um überhaupt zu ermitteln, ob der zunehmende Treibhauseffekt in den vergangenen Jahrzehnten die Häufigkeit von Wetterextremen verändert hat. Aufgrund der Seltenheit extremer Wetterphänomene mangelt es aber an Daten - Vorhersagen sind ungleich komplizierter.
Dennoch wagte der Uno-Klimarat (IPCC) nun einen Report, der einen Blick in die Zukunft ermöglichen soll. Am Freitag hat der IPCC den Bericht über Extremwetter vorgestellt. Das Gremium warnt vor einer Zunahme von Hitzewellen, Hochwassern und Sturzregen, sofern der Ausstoß an Treibhausgasen nicht drastisch eingeschränkt werde - SPIEGEL ONLINE hatte wesentliche Ergebnisse bereits vorab bekommen.
Politiker machen Druck
Doch offiziell bleibt der Klimareport weiterhin Geheimsache: Er soll erst im Februar veröffentlicht werden - eine von zahlreichen Schwächen der Uno-Wissenschaft. Offiziell bekanntgemacht wurde am Freitag nur die Zusammenfassung des Berichts. Dabei handelt es sich jedoch um ein Dokument, das Politiker und Juristen der Staatengemeinschaft diese Woche in Kampala ausgehandelt haben.
Ein anderes Problem des Uno-Klimarats zeigte sich bereits vor der Fertigstellung des IPCC-Reports: Politiker hatten hohe Erwartungen an den neuen IPCC-Report zum Extremwetter. "Wir erhoffen uns einen Schub für die Klimaverhandlungen in Südafrika", erklärten EU-Klimapolitiker in Brüssel Anfang November auf einer Tagung zur Vorbereitung des Weltklimagipfels, der Ende des Monats beginnt. Die Hoffnung scheint sich erfüllt zu haben: Medien weltweit warnen anlässlich der Veröffentlichung des IPCC-Berichts vor Wetterkatastrophen der Zukunft.
Hat der Uno-Klimarat also seinen Auftrag ausgeführt? Die Präsentation des IPCC-Berichts zeigt eher das Gegenteil - auf diese Weise macht sich der Uno-Klimarat überflüssig. Eigentlich besteht seine Aufgabe laut Gründungschrift von 1988 darin, "das Wissen über den Klimawandel zu sammeln und die Welt darüber zu informieren". Die Präsentation des neuen Klimaberichts jedoch zeigt, dass es gleichgültig zu sein scheint, was Wissenschaftler in jahrelanger harter Arbeit herausfinden - die Botschaft ist immer die gleiche: "Alles wird schlimmer."
Die eigentliche Botschaft - eine andere Warnung
Zwar ist bewiesen, dass der Mensch mit Treibhausgasen das Klima erwärmt. Doch weder der neue Klimareport noch seine Zusammenfassung lassen sich als schiere Warnung vor zunehmenden Wetterkatastrophen lesen. Die eigentliche Botschaft lautet: Über die meisten Wetterkatastrophen wissen wir zu wenig, um ihre Entwicklung vorhersagen zu können. Diese Unberechenbarkeit bedeutet freilich keine Entwarnung, sie könnte der Welt vielmehr eine besondere Mahnung sein - schließlich könnte das Klimasystem böse Überraschungen parat halten; vieles scheint möglich. Die Interpretation der IPCC-Ergebnisse wäre allerdings Sache der Gesellschaft, nicht die der Wissenschaft.
Bei der Präsentation des Berichts in Kampala anwesende IPCC-Forscher jedoch mühten sich um Drohkulisse: Der Klimabericht unterstreiche die Anfälligkeit der Menschen für Wetterextreme, sagte IPCC-Chef Rajendra Pachauri. "Wir sollten besorgt sein", ergänzte Maarten Aalst, Direktor des Internationalen Roten Kreuzes. Die Klimaforscher Qin Dahe von der Universität Lanzhou in China und Chris Field von der Stanford University in den USA erläuterten, dass Hitzewellen und Dürren in manchen Regionen zugenommen hätten - was gut belegt ist. Außerdem konnten Wissenschaftler höhere Meeresfluten und mehr Starkregen in vielen Regionen nachweisen.
Über die Entwicklung der meisten anderen Wetterextreme jedoch kann die Wissenschaft keine befriedigenden Aussagen treffen. Um die Kenntnislücken in den Griff zu bekommen, helfen sich die IPCC-Forscher mit Angaben zur Wahrscheinlichkeit der Phänomene. Indes: Die Einschätzungen beruhen auf Meinungsumfragen unter Experten, sie haben also keine harte wissenschaftliche Basis.
Szenarien für die Zukunft
Die Einschätzungen, die der Uno-Klimarat in der Zusammenfassung seines Berichts trifft, zeugen immerhin von wissenschaftlicher Aufrichtigkeit; sie lauten unter anderem:
- Dass Hitzewellen im Zuge der Erwärmung häufiger würden, sei "sehr wahrscheinlich" - der Begriff entspricht einer 90-Prozent-Chance in der IPCC-Terminologie.
- Dass Starkregen künftig an mehr Orten auftreten würde, sei "wahrscheinlich" - der Begriff entspricht einer Zwei-Drittel-Chance in der IPCC-Terminologie.
- Dass längere Dürren drohten, sei "mittel wahrscheinlich"; die Chancen stehen also etwa 50 zu 50.
- "Begrenztes bis mittleres Vertrauen" gebe es für die Aussage, dass Überflutungen aufgrund des Klimawandels zugenommen haben.
- Vorhersagen über tropische Wirbelstürme seien "wenig vertrauenswürdig" - die Daten seien zu unsicher. Gleiches gelte für Tornados und Hagel.
Über Wissenschaft wurde kaum gesprochen
All diese Angaben stehen auf den ersten Seiten der Zusammenfassung des IPCC-Berichts. Doch die öffentliche Debatte ist der Wissenschaft längst enteilt, wie die Reaktion vieler Medien zeigt, die die eigentlichen Ergebnisse des Uno-Reports zumeist gar nicht aufgreifen - doch das liegt auch an der Präsentation des Klimaberichts: Über Wissenschaft wurde dabei kaum gesprochen, sondern über Naturgefahren.
Damit stellt sich der Uno-Klimarat selbst die Falle, vor der er warnt: Für Gegner des Umweltschutzes ist es ein Leichtes, gegen seine Art der Wissenschaftskommunikation anzugehen. Denn Wissenslücken, die Wissenschaftler verschweigen, machen die Gegner irgendwann öffentlich - womit die Forschung diskreditiert wäre. Der sogenannte Climategate-Skandal um die geklauten E-Mails von Klimaforschern konnte nur deshalb so hochkochen, weil die Forscher intern über Wissenslücken sprachen, die sie in der Öffentlichkeit bestritten.
Geschadet habe der Klimaforschung zudem, dass sie sich von der Politik habe einspannen lassen, klagen zahlreiche Forscher seit langem. Die Präsentation des neuen IPCC-Berichts weckt Erinnerungen an das sogenannte Vorbereitungstreffen für die Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen im März 2009. Dort fühlten sich Klimaforscher instrumentalisiert vom damaligen dänischen Ministerpräsidenten Anders Rasmussen, der "konkrete Ergebnisse" erwartete, die die Politiker zum Handeln bewegen sollten. Doch nach einer Woche in Klausur mussten etwa die Gletscherforscher ihre alarmierendsten Daten über tauende Grönlandgletscher relativieren. Rasmussen freilich bewertete die Tagung dennoch als "den Weckruf von Kopenhagen".
Ähnlich erscheint nun die Lage bei der Veröffentlichung des IPCC-Reports unmittelbar vor der Uno-Klimakonferenz in Durban, Südafrika. Der Klimabericht wird simpel als "Weckruf" verkauft - die Arbeit der Wissenschaftler wird einfach ignoriert. "Unglücklicherweise haben wir noch keine Antwort auf viele Fragen zur Klimavorhersage", sagt Lisa Schipper vom Stockholm Environment Institute, eine Leitautorin des neuen IPCC-Berichts, zu SPIEGEL ONLINE. "Ein Schwarzweiß-Szenario gibt es nicht."