
Kapverdische Inseln: Spuren der Riesenwellen
Historischer Tsunami 170-Meter-Wellen im Atlantik
Kollabieren Vulkane nahe einer Küste, drohen Mega-Tsunamis. Der Aufprall ganzer Gesteinsflanken verdrängt immense Mengen Wasser, sodass Ozeane mächtig in Wallung geraten.
An der zu den Kapverden zählenden Insel Fogo verursachte ein einstürzender Vulkanhang vor 73.000 Jahren einer Studie zufolge eine wenigstens 170 Meter hohe Welle. Der Tsunami spülte riesige Felsblöcke von der Küste auf eine Höhe von bis zu 220 Metern, wie das internationale Forscherteam in der Zeitschrift "Science Advances" berichtet.
Die Wissenschaftler um Ricardo Ramalho von der Columbia University in New York untersuchten Ablagerungen auf den Kapverdischen Inseln, die 500 Kilometer vor Westafrikas Küste liegen. Eine frühere Studie hatte ergeben, dass auf der Insel Fogo vor 65.000 bis 124.000 Jahren eine Flanke des 2829 Meter hohen Vulkans Pico de Fogo eingebrochen war. Dabei rutschten bis zu 160 Kubikkilometer Gestein ins Meer.
Beweismittel Helium
Die Forscher untersuchten nun die 55 Kilometer östlich gelegene Nachbarinsel Santiago, die größte und bevölkerungsreichste Insel des Archipels. In ihrem Nordwesten fanden sie noch auf bis zu 220 Metern Höhe Lkw-große Felsblöcke, die nicht zur dortigen Geologie passten, sondern von der Küste stammten. Zum Vergleich: Die Aussichtsplattform des Berliner Fernsehturms hängt gut 204 Meter über dem Boden.
Die Datierung der Forscher ergab ein Ablagerungsalter von etwa 73.000 Jahren. Gemessen wurde der Gehalt an radioaktivem Helium. Je länger ein Gestein offen zutage liegt, mithin der kosmischen Strahlung ausgesetzt ist, desto schneller zerfällt das Helium. Das Helium auf den Gesteinsablagerungen verrät also, wann die Trümmer fortgerissen wurden.
Wie hoch aber waren die Wellen, die der Sturz der Blöcke vor etwa 73.000 Jahren ins Meer auslöste? Unter anderem anhand des Gewichts der Felsblöcke, von denen manche acht Meter Durchmesser haben und 700 Tonnen wiegen, kalkulieren die Forscher, dass eine mindestens 170 Meter hohe Welle auf die Küste getroffen sein muss.
"Das passiert nicht so oft"
Das entspricht mehr als der zehnfachen Höhe des Tsunamis, der an Weihnachten 2004 Küsten um den Indischen Ozean verwüstete.
"So etwas passiert wahrscheinlich nicht sehr oft", wird Ramalho in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. "Und nicht jeder Kollaps verursacht eine Katastrophe. Aber es ist vielleicht nicht so selten, wie wir bisher dachten." Das müssen man berücksichtigen, wenn man das Gefahrenpotenzial solcher Vulkanen bewerte.
"Die Studie dokumentiert die Folgen des Tsunamis sehr schön", sagt Christian Berndt vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, der nicht an der Studie beteiligt war. Auf Inseln mit aktiven Vulkanen passiere so etwas vielleicht etwa alle 100.000 Jahre. Allerdings sei die Energie solcher punktuell ausgelösten Wellen wesentlich geringer als nach Erdbeben - sie verpuffe mit zunehmender Distanz vom Ursprung wesentlich schneller - die Wellen verlieren an Höhe.
Gefahr auf den Kanaren?
Gleichwohl können womöglich riesige Tsunamis nach Flankenstürzen den Atlantik queren. Studien zeigen, dass die Westflanke des Cumbre-Vieja-Vulkans auf der Kanareninsel La Palma wegrutschen könnte. Spuren solcher Gesteinsabgänge haben Forscher im Meer vor den Kanaren entdeckt. Im schlimmsten Fall könnten 500 Kubikkilometer mit einem Mal ins Meer gestürzt sein, meinen Geologen. Mit apokalyptischen Folgen.
900 Meter hohe Wellen könnten in dem Fall die Nachbarinseln treffen; nach einer Stunde würden Tsunamis Nordafrika erreichen, das ergaben Computersimulationen. Küsten in Südeuropa würde nach etwa vier Stunden von einer zehn Meter hohen Tsunamis verwüstet, über die Ostküste der USA könnte nach neun bis zwölf Stunden eine 20 Meter hohe Welle hereinbrechen - über der Tiefsee werden Tsunamis kaum geschwächt.
Doch solche Szenarien ozeanweiter Riesentsunamis mit Ursprung Kanaren stießen auf Widerspruch: Die Vulkanflanken, deren Spuren sich am Meeresboden fanden, seien nicht als ganzes kollabiert, sondern jeweils in kleineren Etappen, haben Geologen mit der Analyse der Ablagerungen nachweisen wollen . Umliegende Inseln hätten die resultierenden Wellen zwar schwer treffen können, atlantikweite Tsunamis aber habe es damals wohl nicht gegeben.
Der höchste registrierte Tsunami ereignete sich am 9. Juli 1958 in Alaska: Damals rutschten nach einem Erdbeben 90 Millionen Tonnen Gestein in die schmale Lituya Bay. Der folgende Mega-Tsunami rauschte die Hänge hoch - noch in 520 Metern Höhe knickte er Bäume um.