Dirk Niebel zum Rio+20-Gipfel "Hilfe macht abhängig"

Die Mächtigen streiten in Rio über die Zukunft der Erde, für die Bundesrepublik ist Minister Dirk Niebel dabei. Im Interview spricht er über seine Teppichaffäre, fordert eine Reform der Uno - und verteidigt Entwicklungshilfe, die der deutschen Wirtschaft nützt.
Minister Niebel: "Zusammenarbeit stärkt alle Partner"

Minister Niebel: "Zusammenarbeit stärkt alle Partner"

Foto: dapd

SPIEGEL ONLINE: Herr Minister, pünktlich zum Uno-Gipfel in Rio steht Ihr Ministerium im Mittelpunkt des Interesses - allerdings nicht wegen Ihrer Politik, sondern wegen Ihres Teppichs.

Niebel: Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass unsere Entwicklungsprojekte einmal diese Aufmerksamkeit erfahren würden.

SPIEGEL ONLINE: Der Teppich, den Sie mit einem Flugzeug des Bundesnachrichtendienstes aus Afghanistan nach Deutschland gebracht haben, hat Ihnen sogar Rücktrittsforderungen der Opposition eingebracht.

Niebel: Ich ging davon aus, dass alle Formalitäten bei der Einreise erledigt seien. Ich habe den Fehler gemacht, mich nicht selbst um meine Angelegenheiten zu kümmern. Das habe ich öffentlich eingestanden und mich dafür entschuldigt. Niemand ärgert sich über diesen Fehler mehr als ich. Der Teppich ist nicht zollpflichtig. Es wird lediglich die Einfuhrumsatzsteuer fällig, die ich natürlich entrichten werde.

SPIEGEL ONLINE: Auf dem Gipfel der Vereinten Nationen in Rio diese Woche werden nun wieder Entwicklungsprojekte im Mittelpunkt stehen. Vor 20 Jahren hat die Welt den Kampf gegen die Klimaerwärmung beschlossen, die globale Umweltbilanz fällt allerdings dürftig aus. Was sollte Ihrer Meinung nach nun in Rio entschieden werden?

Niebel: Die bisherige Beschlussvorlage der Uno-Konferenz reicht nicht aus. Es dürfen nicht nur schöne Ziele beschrieben werden, sondern es muss auch drin stehen, wie und bis wann sie erreicht werden sollen. Außerdem brauchen wir einen Fahrplan, um die Millenniumsentwicklungsziele um Ziele nachhaltiger Entwicklung zu ergänzen. (Über die Milleniumsziele lesen Sie hier.)

SPIEGEL ONLINE: Welche Ziele könnten das sein?

Niebel: Ich denke da an eine nachhaltige Finanzwirtschaft etwa, die Zukunft der Meere und auch neue Sicherheitsstrukturen in Zeiten des weltweiten Terrorismus oder Energiefragen. Diese Ziele gelten dann für alle: Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer.

SPIEGEL ONLINE: Kann Klimaschutz nur funktionieren, wenn er der Wirtschaft dient?

Niebel: Die sogenannte Green Economy, also das ökologisches Wirtschaften, ermöglicht umweltverträgliches Wachstum und Wohlstand auch für Schwellen- und Entwicklungsländer. Das ist eine riesige Chance. Manche Länder, auch in Afrika, könnten in den kommenden Jahren große Sprünge in diesem Bereich machen. Besonders die Gewinnung von Energie aus Wasser, Wind, Sonne oder Erdwärme kann Wirtschaftswachstum ankurbeln, gerade in Ländern ohne große Stromnetze. Energieknappheit ist eines der großen Wachstumshemmnisse in der Welt.

SPIEGEL ONLINE: Welchen Beitrag will Deutschland leisten?

Niebel: Wir liefern Unterstützung bei der Entwicklung besserer Anbaumethoden, zum Beispiel der Tröpfchenbewässerung . Wir vermitteln Kenntnisse bei der Verbesserung der Lagerhaltung von Produkten. Wir bilden aus in der Wartung von einfachen Landwirtschaftsmaschinen. Und wir entwickeln natürlich Technologie für erneuerbare Energieerzeugung und teilen diese gerne mit unseren Partnern.

SPIEGEL ONLINE: Der Rio+20-Gipfel soll also ein Gipfel der ökologischen Wirtschaft werden?

Niebel: Ja, wir fordern aber auch eine Reform bei der Uno - eine Aufwertung des Umweltprogramms Unep. Ich setze mich für die Schaffung eines Hochkommissars für Nachhaltigkeit bei der Uno ein.

SPIEGEL ONLINE: Manche Experten wie die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Ute Koczy, werfen Ihnen vor, mit ihrer Politik vor allem deutsche Exporte steigern zu wollen. Armutsbekämpfung sei bei Ihrer Art der Entwicklungshilfe Nebensache.

Niebel: Ich rede ja gar nicht von Hilfe, sondern von Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten. Hilfe macht abhängig, aber Zusammenarbeit stärkt alle Partner. Die alte Ideologie, dass Entwicklungspolitik nur selbstlos sein darf, ist überholt. Was so uneigennützig daherkam, ähnelte dem Verhalten von Kolonialherren. Eine solche Herangehensweise fördert kaum die unabhängige Entwicklung eines Staates.

SPIEGEL ONLINE: Sie sehen Entwicklungshilfe also vor allem als Türöffner für die deutsche Wirtschaft?

Niebel: Nein, aber ich dämonisiere die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft nicht. Die deutsche Wirtschaft gilt weltweit als solide und verlässlich und ist willkommen, weil sie hohe ökologische und soziale Standards einhält. Unsere Kooperationsländer wünschen sich ein stärkeres Engagement deutscher Unternehmen. Das ist auch gut für unser Land. Wenn ein Land wie Indonesien Fähren braucht, weil Wasserwege die Lebensadern des Landes sind - warum sollten dann nicht deutsche Werften die Schiffe bauen? Ihre Qualität ist Weltspitze, und die Branche hat es schwer. Auch bei erneuerbaren Energien ist deutsche Technologie der richtige Weg. Die Kritik entlarvt sich aber auch anders: Nur 80 Millionen Euro in meinem aktuellen Haushalt von insgesamt rund 6,4 Milliarden Euro sind für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vorgesehen.

SPIEGEL ONLINE: Die Opposition lästert, Sie seien erst zufrieden, wenn überall eine deutsche Fahne steht.

Niebel: Unsere Vorgänger im Ministerium von der Opposition haben sich ja immer geschämt, wenn auch die deutsche Wirtschaft von Entwicklungsprojekten profitiert hat. Für mich ist die Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen ein Ehrenmerkmal.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal vorgerechnet, dass selbst in sehr armen Ländern ein Euro Entwicklungshilfe Exporte von 1,80 Euro für Deutschland nach sich ziehen kann. Ist Entwicklungszusammenarbeit auch ein Geschäft?

Niebel: Die Aussage bezieht sich auf alle Länder und nicht speziell auf die sehr armen Länder. Wir zwingen niemanden, deutsche Produkte zu kaufen, die Nachfrage kann aber eine positive Folge guter Entwicklungszusammenarbeit sein. Deutschland ist mittlerweile Weltmarktführer der internationalen Zusammenarbeit. Länder wie Australien oder die Niederlande beauftragen mithin die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ mit Projekten, weil wir die besten Leute vor Ort haben.

SPIEGEL ONLINE: Wird Deutschland weiter Projekte in politisch fragilen Ländern fördern?

Niebel: Bei den fragilen Staaten handelt es sich in der Regel um sehr arme Länder, wie beispielsweise Afghanistan, Somalia, den Jemen u.a. Rund ein Drittel unserer Partner sind fragile Staaten. Die Mehrheit der ärmsten Menschen lebt aber in den großen Schwellenländern - die müssen wir ebenfalls mit unseren Projekten erreichen.

SPIEGEL ONLINE: Der deutschen Entwicklungspolitik wurde eine Abkehr von den ärmsten Staaten vorgeworfen.

Niebel: Wir bekennen uns eindeutig zur Unterstützung für die ärmsten Länder. Mit meinem Amtsantritt legen wir wieder einen Schwerpunkt auf die Entwicklung ländlicher Räume und der Landwirtschaft. Das entspricht ganz klar den Interessen der ärmsten Länder.

SPIEGEL ONLINE: Die Uno wird diese Woche beim Rio+20-Gipfel feststellen, dass die Umweltziele der Weltgemeinschaft von der großen Rio-Konferenz vor 20 Jahren deutlich verfehlt wurden. Wie steht es um den deutschen Beitrag?

Niebel: Deutschland ist der zweitgrößte Klimaschutz-Finanzierer weltweit. Wir unterstützen beispielsweise in hohem Maße Aufforstung, Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Hochwasserschutz. Übrigens: Alle von uns geförderten Projekte müssen strenge Umweltstandards erfüllen.

SPIEGEL ONLINE: Aber das Geld, das Deutschland auf der Uno-Konferenz in Kopenhagen 2009 für den Klimaschutz zugesagt hatte, stammt doch weitgehend aus längst bestehenden Vorhaben?

Niebel: Deutschland hatte bereits vor der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen umfangreiche Mittel für den Klimaschutz zugesagt. In Kopenhagen wurde vereinbart, dass auch solche Zusagen als Vorleistungen angerechnet werden. Daran halten wir uns.

SPIEGEL ONLINE: Ein wichtiges Ziel aber dürften Sie verfehlen: Den Entwicklungsetat bis 2015 auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern.

Niebel: In meiner Amtszeit haben wir mit 0,4 Prozent einen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. Deutschland ist zweitgrößter bilateraler Geldgeber für Entwicklungszusammenarbeit.

SPIEGEL ONLINE: Aber um das Ziel zu erreichen, müsste Ihr Etat in den kommenden drei Jahren um jeweils mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr steigen. Ist das realistisch?

Niebel: Kanzlerin Merkel hat immer wieder betont, an dem Ziel festhalten zu wollen.

SPIEGEL ONLINE: In einem bekommen Sie sogar Lob von der Opposition: die Zusammenlegung der drei deutschen Entwicklungsbehörden zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. Der ganz große Wurf - die Eingliederung der Kreditbank KfW, die die Entwicklungshilfe finanziert - ist Ihnen aber nicht gelungen.

Niebel: Mit der GIZ-Fusion haben wir geschafft, woran drei Vorgängerregierungen gescheitert sind. Die Eigenständigkeit der KfW hat den Vorteil, dass Geldgeber und Projektträger nicht im gleichen Hause sind. Beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und der Weltbank käme auch keiner auf die Idee einer Fusion.

SPIEGEL ONLINE: Sie koppeln die Vergabe von Entwicklungshilfe an strenge Auflagen, die Empfängerländer müssen vertrauenswürdig sein. Zugleich werfen Kritiker Ihnen Günstlingswirtschaft vor: Sie würden vorzugsweise FDP-Leute einstellen. Selbst der Personalrat Ihres Ministeriums hat sich beschwert.

Niebel: Bei Einstellungen geht es bei uns nach Eignung, Leistung und Befähigung; ich kann es mir gar nicht leisten, mich mit inkompetenten Mitarbeitern zu umgeben. Gerade hat Helmut Asche, der den Grünen zugerechnet wird, die Leitung unseres neu gegründeten Evaluierungsinstituts übernommen. Er kontrolliert die Wirksamkeit der Projekte, damit deutsche Steuergelder nicht sinnlos versickern. Wir wollen mehr Transparenz. So ist es unter anderem die Aufgabe unseres neuen Evaluierungsinstituts, Projekte auf Nachhaltigkeit zu prüfen und darauf, ob sie langfristig sinnvoll sind.

Das Gespräch führte Axel Bojanowski

boj
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