
Ölsuche: Run auf die Arktis
Rohstoffförderung Traum vom Arktis-Öl wird teuer
Zwei komplette Enttäuschungen und ein abgebrochener Bohrversuch - es war eine miese Bilanz. Als der schottische Konzern Cairn Energy im vergangenen Oktober die vorläufigen Ergebnisse seiner Ölsuche vor Grönland veröffentlichte, sackte der Aktienkurs der Firma an einem Tag um sieben Prozent ab. Noch nicht einmal eine Spur von Erfolg fand sich in den Ergebnissen. Im Gegenteil: Man werde Kosten in Höhe von 180 Millionen Euro abschreiben müssen, teilte Cairn mit.
Und doch: Kaum ein Gebiet auf der Welt fasziniert derzeit die Öl- und Gasfirmen so stark wie die Arktis. Unternehmen hoffen auf große unentdeckte Vorkommen in der bisher so unzugänglichen Region, fernab von politischer Instabilität in anderen Teilen der Welt. Die Rohstoffreservoirs am Pol sind auch Thema auf der Konferenz "Arctic Frontiers", die am Montag im nordnorwegischen Tromsö begann. Knapp 1000 Gäste haben sich dafür auf den Weg weit hinter den Polarkreis gemacht.
Mit besonders großem Interesse verfolgten Beobachter in den vergangenen Monaten Cairns Bohrversuch vor Grönlands Westküste. War es doch das erste Mal seit langer Zeit, dass sich in dem rauen Gebiet wieder jemand auf Ölsuche machte. Umweltschützer hatten prompt mit einer spektakulären Aktion gegen die Probebohrungen Front gemacht. Doch möglicherweise werden in naher Zukunft nicht mehr Öko-Aktivisten die schärfsten Kritiker der arktischen Öl- und Gasförderung sein, sondern die Controller in den Konzernzentralen.
Denn schon bald dürfte den Verantwortlichen klar werden, wie teuer und aufwändig das Bohren im hohen Norden eigentlich ist. Besonders eindrücklich machen das bisher noch unveröffentlichte Zwischenergebnisse des Geologischen Dienstes der USA (USGS) klar, die SPIEGEL ONLINE vorliegen. Sie betreffen ein Gebiet im Nordosten Grönlands, das bisher als hochinteressantes Ziel für die Suche nach Treibstoffen galt. Forscher um Don Gautier vom USGS haben sich nun einmal angesehen, was die Ölsuche in den "East Greenland Rift Basins" tatsächlich kosten würde.
Nach früheren Berechnungen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass in dem Gebiet im Prinzip rund 7,5 Milliarden Barrel Öl zu finden sein müssten - das entspricht 1,2 Billionen Litern. Allerdings steht die Angabe unter Vorbehalt. Statistisch sind ein Fund in dieser Höhe und ein kompletter Fehlschlag gleich wahrscheinlich. Doch im Grundsatz sind die geologischen Verhältnisse interessant - immerhin gibt es auf der anderen Seite der Grönlandsee, vor Norwegens Westküste, attraktive Reservoirs. Sie verschaffen der Regierung in Oslo seit Jahrzehnten Milliardeneinnahmen. Grönland hofft deswegen zumindest mittelfristig auf einen ähnlichen Boom.
Doch die tatsächlich förderbaren Vorkommen in dem Gebiet dürften den neuen Erkenntnissen zufolge deutlich niedriger liegen als es bisherige Statistiken vermuten ließen. Bei angenommenen Produktionskosten von 100 Dollar pro Barrel lassen sich nämlich nach der Berechnungen der USGS-Forscher in Nordostgrönland nur 2,5 Milliarden Barrel fördern - und das auch nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit.
Um weitere Reservoire zu erreichen, müssen die Firmen viel Geld in die Hand nehmen. Doch selbst bei utopischen Förderkosten von 300 Dollar pro Barrel ließen sich bei gleicher Wahrscheinlichkeit nur 4,1 Milliarden Barrel ans Tageslicht bringen. "Und da haben sie weder einen Cent Steuern gezahlt noch irgendeinen Profit gemacht", sagt Forscher Gautier.
Kanadische Konzerne bereits in den Siebzigern frustriert
Die Zahlen sind das Ergebnis statistischer Untersuchungen, also mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Doch die Tendenz ist klar: Nur ein Bruchteil der in der Arktis vermuteten Öl- und Gasvorkommen lässt sich überhaupt zu wirtschaftlich sinnvollen Kosten fördern. Diese Erfahrung haben bereits kanadische Konzerne gemacht. Nach großen Explorationsprogrammen in den Siebzigern versiegelten sie selbst aussichtsreiche Probebohrungen wieder - weil die Ausbeutung schlicht zu teuer gewesen wäre.
Dazu kommt die Gefahr von Umweltschäden: "Um die Arktis herum ist klar, dass es weder die Technologie noch die Kapazitäten gibt, um auf Ölunfälle zu reagieren", beklagt Alexander Schestakow, Chef des WWF-Arktisprogramms. "Das ist nicht nur die Meinung einer Umweltorganisation, das ist ein anerkannter Fakt." Die norwegischen Öko-Aktivisten von Bellona warnen angesichts des Skandals um die "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko vor einem "Öl-Tschernobyl". Und das Europäische Parlament forderte die Arktis-Staaten in einer gerade verabschiedeten Resolution auf, Ölfirmen im hohen Norden besonders streng auf die Finger zu schauen.
Und trotzdem zieht es die Konzerne mit Macht in die Arktis. Das liegt auch daran, dass gerade große Firmen in anderen Teilen der Welt Probleme haben, an neue Felder zu kommen. Diese werden stattdessen von nationalen Ölfirmen ausgebeutet, zum Beispiel PDVSA in Venezuela.
Gerade haben sich der britische Ölriese BP und der russische Konzern Rosneft für eine arktische Allianz zusammengeschlossen. Ein Gemeinschaftsunternehmen soll schon bald in der Karasee vor der Küste Sibiriens nach interessanten Lagerstätten suchen. Rosneft kündigte in der vergangenen Woche an, die ersten Probebohrungen in dem 125.000 Quadratkilometer messenden Prinowosemelsk-Gebiet könnten in vier Jahren beginnen. Eine Zusammenarbeit zwischen Rosneft und BP sei auch in anderen Gebieten der russischen Arktis denkbar.
Greenpeace wetterte, BP sei die allerletzte Firma, die man in der Arktis arbeiten lassen dürfe. Das Unternehmen habe bislang noch nicht bewiesen, dass es die Lektionen nach dem Untergang der "Deepwater Horizon" gelernt habe. Und in der Arktis, so forderten die Umweltschützer, solle am besten ohnehin nicht nach Öl gebohrt werden.
Widrige Umweltbedingungen
Das Problem ist handfest: Gebiete wie die Karasee sind sieben bis acht Monate lang im Jahr mit Eis bedeckt. In Nordost-Grönland sieht es ähnlich aus. Fördertechnik, die hier längerfristig bestehen kann, haben die Ölriesen oft noch gar nicht. Und wie man nach Ölunfällen aufräumt, weiß auch niemand. Know How dazu gibt es bislang bestenfalls in Norwegen. Der Technologiekonzern Sintef hat ein spezielles Laboratorium auf der Arktisinsel Spitzbergen. Rosneft und BP wollen nun ein Forschungszentrum in St. Petersburg eröffnen, wo es aber vor allem um Fördertechnologie gehen dürfte.
Doch trotz aller Herausforderungen scheint die Ausbeutung der arktischen Ressourcen nicht nur für die Firmen attraktiv, sondern auch für Staaten. Für die USA ist die arktische Förderung in Alaska seit Jahrzehnten wichtig, um sich ein Stück weit vom Ölimport zu emanzipieren. Russland will mit neuen Reservoirs vor der Nordküste das Versiegen von weiter südlich gelegenen Förderstellen kompensieren. Und Grönland hofft durch Öl-Einnahmen auf langfristige Unabhängigkeit von Dänemark.
Und so wird das Rennen in die Arktis wohl vorerst weitergehen. Konzerne wie Shell oder Statoil haben sich zum Beispiel Lizenzen vor Grönlands Westküste gesichert. Auch sie dürften in den kommenden Jahren Probebohrungen starten. Und auch Cairn hat offenbar noch nicht genug: Anfang des Monats kündigte die Firma an, man habe für diesen Sommer die Bohrinsel "Leiv Eiriksson" und das Bohrschiff "Ocean Rig Corcovado" gechartert. Mit ihrer Hilfe wolle man vor Grönland bis zu vier weitere Bohrungen in den Meeresboden fräsen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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22.03.2023 11.50 Uhr
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