Satellitenbild der Woche Das Rätsel der schönen Schlieren

Musterung im Mittelsibirisches Bergland am 15. September 2016
Foto: NASA Earth ObservatorySchön sehen die Schwünge aus, die sich auf Bildern des Nasa-Satelliten »Landsat 8« über den Grund des nördlichen Mittelsibirisches Berglands in Russland ziehen. Ein Twitter-Post hatte die amerikanische Weltraumbehörde im Februar 2020 auf die Strukturen aufmerksam gemacht und zu genaueren Analysen veranlasst, denn das Muster macht nicht nur optisch was her, seine Entstehung gibt Fachleuten Rätsel auf.
Die Nachforschungen seien zu einer wissenschaftlichen Detektivgeschichte geworden, schreibt die Nasa nun ungefähr ein Jahr später in einer Pressemitteilung. Darin hat sie auch die Satellitenbilder veröffentlicht. Bei 66 Grad nördlicher Breite schlängelten sich Streifenmuster um die Hügel des Mittelsibirischen Berglands, so die Organisation. Die Form des Musters folgt dabei offenbar gewissen Regeln.
Auf steileren Hügeln bilden die Streifen enge Schleifen, die sich von der Spitze der Erhebungen nach unten winden. Auf dem absteigenden Weg in Richtung kleinerer Flussläufe und des großen Flusses Markha werden sie immer blasser und verschwinden schließlich in tieferen Lagen. Warum das so ist, lasse sich allerdings nicht klar beantworten, so die Nasa. Die Antworten variierten je nach Expertise der befragten Fachleute.
Spiel zwischen tauendem und frierendem Boden
Eine Ursache könnte demnach etwa das Wechselspiel zwischen gefrierenden und tauenden Böden sein. Das Mittelsibirische Bergland liegt im nördlichen Polarkreis mit Lufttemperaturen meist unter dem Gefrierpunkt. Die Böden sind den Großteil des Jahres bis in Tiefen von mehreren zehn oder gar hundert Metern gefroren. Die Gegend mit den Schlieren liege 90 Prozent des Jahres unter Permafrost, schreibt die Nasa.

Musterung im Sommer 2019 (grün), im Herbst 2016 (gelb) und im Winter 2020 (grau)
Foto: NASA Earth ObservatoryDoch zwischendurch taut der Grund und gerät dabei in Bewegung, insbesondere an Hängen, wo die Schwerkraft die Massen nach unten zieht. Dabei könnten die Streifenmuster an den Hügeln entstanden sein, vermuten Expertinnen und Experten. In Studien ist das laut Nasa bislang allerdings nur in deutlich kleinerem Ausmaß dokumentiert als es die Satellitenbilder aus Russland nun zeigen.
Geomorphologen vermuten deshalb noch einen anderen Grund für die Musterung, bei dem aber auch das Tauen und Gefrieren des Untergrunds eine Rolle spielt: So finden sich in Gegenden mit Permafrost häufiger sogenannte Gelisole – Böden, die selbst im Sommer in geringeren Tiefen als zwei Metern gefroren sind. Der Frost bremst den Abbau organischer Substanz durch Bakterien und Pilze.
Abgestorbene Pflanzenreste werden somit nur langsam abgebaut. Wenn der Boden im Sommer zum Teil taut, beschleunigt sich der Prozess stellenweise. Gelisole bestehen deshalb aus einer Mischung dunklerer und hellerer Böden mit unterschiedlichem Gehalt organischer und mineralischer Sedimente. Beim Gefrieren und Tauen vermischen sich diese Schichten und rutschen in einem vertikalen Muster ineinander.
Im Sommer komme das Muster dann besonders gut zur Geltung, erklärt die Nasa (siehe GIF oben). Flechten, Sträucher und Moose wüchsen zu der Zeit bevorzugt auf dem an organischen Bestandteilen reicherem Boden und verstärkten die Zeichnungen am Grund. Bislang handelt es sich bei der Erklärung allerdings lediglich um eine Hypothese, belegt ist sie nicht.
Auch im Winter fällt die Zeichnung besonders ins Auge, weil der Schnee auf flachen Bereichen der Furchen liegen bleibt, während der von den Seitenwänden abrutscht. Letztere erscheinen dadurch dunkler (siehe Schieber unten).
Geformt durch Schneeschmelze und Regen
Es gibt noch eine dritte mögliche Ursache für die hübschen Zeichnungen auf der Berglandschaft: Geologinnen und Geologen erinnert das Muster an Schichten von Sedimentgesteinen, sogenannte Schichtkuchen-Formationen. Das beschreibt Strukturen, die in charakteristischer Form durch Erosion freigelegt wurden.
An den Hängen des Mittelsibirischen Berglands bewegen sich zur Schneeschmelze und bei Regen große Wassermassen abwärts und reißen Teile des Untergrunds mit sich in tiefer liegende Schluchten. Zugleich erodiert der Untergrund durch Spannungen, die beim Einfrieren und Tauen entstehen. Aus dem Weltraum erscheinen die so erzeugten Furchen dann möglicherweise in der dokumentierten Musterung.


Musterung am 15. September 2016 (links) und am 29. Oktober 2020
Foto: NASA Earth Observatory / NASA Earth ObservatoryDie Furchen sähen aus wie kleine Canyons, erklärt Walt Meier, Eisspezialist am amerikanischen National Snow and Ice Data Center. Horizontale Streifen in der Musterung bestünden vermutlich aus verschiedenen Sedimentschichten. Die Theorie könnte auch erklären, warum die Musterung in Richtung der Flussufer schwächer wird: Wahrscheinlich lagern sich dort jene Sedimente ab, die sich in den vergangenen Millionen Jahren an anderer Stelle gelöst haben.
Endgültig bestätigt ist aber auch diese Entstehungsgeschichte nicht.