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Sahelzone: Die Begrünung der Wüste

Foto: A2800 epa Bothma/ dpa

Begrünung in der Sahelzone Mister Rinaudo will die Wüste stoppen

Die Wüste wächst - und mit ihr die Not der Menschen im Süden der Sahara. Ein Australier sagt der Versandung den Kampf an: Tony Rinaudo hat einen verblüffend einfachen Weg zur Begrünung karger Landstriche erfunden. Nach 30 Jahren Überzeugungsarbeit beginnt sich die Methode durchzusetzen.

Es war einer dieser kleinen Zufälle, aus denen manchmal Großes entsteht: Es war im Jahr 1983. Der Australier Tony Rinaudo, damals 26 Jahre jung, stand mit seinem Allrad-Wagen am Rande einer Straße im südlichen Niger. Drei Jahre zuvor war der Agrarökonom mit einer kleinen christlichen Nichtregierungsorganisation in die Sahelzone gekommen, um die Ausbreitung der Wüste aufzuhalten. Bäume wollten sie pflanzen, um die Erosion zu stoppen und das Land zumindest teilweise wieder nutzbar zu machen.

Der Kampf gegen die Wüstenbildung, gegen Abholzung und Bodenerosion ist eine der größten Herausforderungen in Afrika, insbesondere in der Trockenzone zwischen Somalia und dem Senegal. Nur Bäume können letztlich die Austrocknung stoppen. Sie halten den Wind ab und das Wasser im Boden, sie bieten Schatten, sie locken Würmer und Insekten an, ihre Blätter dienen als Dünger.

So kniete Rinaudo an jenem Morgen vor den Reifen seines Geländewagens, um Luft abzulassen für die Fahrt durch den Sand. Da fiel sein Blick auf einen Baumstumpf, der aus der Ferne tot und unnütz aussah. Als Rinaudo genauer hinschaute, sah er junge grüne Triebe, die aus dem Stumpf keimten. Er verstand: Das war kein totes Holz, das da aus dem Sand ragten. Das Wurzelwerk lebte und ließ trotz größter Trockenheit neue Zweige entstehen. "Mir wurde plötzlich klar, dass im Wurzelwerk dieser Stümpfe eine enorme Kraft steckt", sagt Rinaudo.

"Grüne Mauer" mit überschaubarem Erfolg

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler, Agrartechniker und Hilfsorganisationen, die Ausbreitung der Wüste aufzuhalten. Sie wächst Richtung Süden. Trockenperioden, Wasserknappheit und der wachsende Bedarf an Feuerholz beschleunigen den fatalen Prozess. Hunderte Millionen Dollar sind in den vergangenen Jahren in die Begrünung geflossen. Die Regierungschefs der Sahel-Staaten basteln an der "Grünen Mauer", einer enorm teuren Baumpflanzaktion quer über den Kontinent - bisher mit eher bescheidenem Erfolg.

"Auch wir hatten alles versucht", sagt Rinaudo. Er hatte kleine Bäumchen gepflanzt, größere Bäumchen gepflanzt, mit Bewässerung, ohne Bewässerung, Windfänge errichtet, Zäune gezogen. Doch die Ergebnisse waren kläglich. Mal knabberten Ziegen die jungen Triebe ab, dann fegte ein Sandsturm die Blätter von den Zweigen. Oder die Bauern fällten die Bäume, um Feuerholz zu gewinnen. Wachsen konnte jedenfalls nichts. Und auch beim Getreideanbau standen Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander. "Um einen Halm Hirse hochzuziehen, mussten wir 100 Samenkörner einsetzen", sagt Rinaudo.

An jenem Morgen begann er beim Blick auf die jungen Triebe umzudenken: Mit den Strünken ließe sich etwas anfangen. Man müsste sie pflegen, die Triebe beschneiden, sie in der Anfangszeit schützen - dann könnte daraus neues Grün entstehen. Selbst in der Wüste. FMNR (Farmer Managed Natural Regeneration) nennt er seine Methode.

Auch im Sahel sind die Bauern konservativ

Rinaudo machte sich ans Werk. Er müsste einen Großversuch starten, einige Dutzend Hektar bewirtschaften - und dann über eine Art Schneeballeffekt Nachahmer gewinnen. Keine leichte Aufgabe, denn Farmer sind konservativ, auch im Sahel.

Tatsächlich waren die Widerstände heftig. Die Bauern, die er für einen Großversuch brauchte, wollten nicht mitziehen: kein Feuerholz mehr schlagen? Die Tiere fernhalten von den Baumstümpfen? Die Erntefelder nicht mehr abbrennen? Das entsprach so gar nicht ihrer Gewohnheit. "Wir fanden gerade mal zwölf Farmer, die bereit waren, gegen ihre Traditionen zu verstoßen", sagt Rinaudo. Die Querdenker wurden angefeindet, isoliert, bedroht. "Die hatten eine harte Zeit", sagt er. "Die Leute dachten, wir wollten ihnen das Land wegnehmen."

Die Natur half auf ihre Weise: Im Jahr danach, 1984, legte sich eine schwere Dürre über Niger. Rinaudo und seine Mitstreiter sahen zu, wie 90 Prozent ihrer mühsam eingepflanzten Baumsetzlinge vertrockneten. Also startete er mit Unterstützung seines Hilfswerkes ein eigenes Hilfsprogramm. In 100 Dörfern begann er die Bauern zu bezahlen, wenn sie die Baumstümpfe nach seiner Methode bearbeiteten, 12.000 Farmer ließen sich für ein "Food for Work"-Programm gewinnen: Das heißt, bis auf vier oder fünf junge Triebe alle Zweige abschneiden, das abgeschnittene Blattwerk liegen lassen und nach einigen Wochen einsammeln.

Als bald danach die nächste Dürre Niger plagte, erlitten die Farmer, die sich mit FMNR angefreundet hatten, deutlich geringere Verluste. Knapp 30 Jahre später hat Rinaudo nichts von seinem Elan verloren. Er steht im Humbo-Tal im südlichen Äthiopien. Eine Gegend, die eigentlich fruchtbar, aber nach Jahrzehnten des Raubbaus von der Erosion schwer mitgenommen ist. 2008 war er zuletzt da, im Auftrag von World Vision, jetzt ist er gekommen, um nachzuschauen, wie sich das Tal entwickelt hat. An einem bewachsenen Baumstumpf demonstriert Rinaudo seine Methode: Schnipp, schnapp, zielsicher fährt das Messer durchs Gestrüpp, bis am Ende die vier oder fünf stärksten Zweige stehen bleiben.

"Mein Leben hat sich dramatisch verbessert"

Unter Federführung der Hilfsorganisation World Vision bearbeiten im Humbo-Tal Hunderte von Kleinbauern knapp 3000 Hektar Land. Jahrzehntelang waren in der Region die Wälder gerodet worden, bis es nichts mehr zu roden und wegen der Erosion auch nichts mehr zu säen und zu ernten gab. Inzwischen sind Tausende Hektar wieder begrünt, es gibt Schatten, Gras, Futter für die Tiere, und auch für die Agrarwirtschaft ist das Land wieder nutzbar.

Der Farmer Thomas Hera, 42, aus dem Dörfchen Habida ist einer der Profiteure. Mit anderen Kleinfarmern schneidet er an einem Hang, an dem früher das Wasser herunterschoss, die schwachen Triebe von den Stümpfen. Die Zweige bleiben einige Wochen liegen, dann dienen sie als Feuerholz.

"Mein Leben hat sich dramatisch verbessert", sagt Hera. Er hat sich einen Ochsen für seinen Pflug gekauft, er hat sich ein Haus gebaut, und er kann seine acht Kinder jetzt in die Schule schicken. "Die Nachbarn schauen jetzt bei mir ab", sagt er. Und weil das Projekt eine Aufforstungsmaßnahme ist, die CO2 bindet, hat sein Dorf 80.000 Dollar aus dem internationalen Emissionshandel erhalten.

Auch die Wissenschaft ist inzwischen auf FMNR aufmerksam geworden. Der niederländische Agrarexperte Chris Reij, einst Professor an der Universität Amsterdam und seit 1978 in Westafrika mit Wiederaufforstung befasst, lobt Rinaudo in den höchsten Tönen: "Ich kenne keine Methode, die preiswerter und erfolgversprechender ist." Mit Satellitenaufnahmen kann er die Begrünung des südlichen Niger eindrucksvoll belegen. Und außerdem: "Wenn alle Bäume, die in den letzten 20 Jahren im Sahel gepflanzt wurden, gewachsen wären, müsste es im Sahel eigentlich aussehen wie im Amazonasbecken." Tut es aber nicht, und deshalb wirbt Reij, wo immer er kann, für Rinaudos Methode.

Wachsende Ernteerträge, steigende Grundwasserpegel

Seit 2004 begleitet er dessen Feldzug. "Es ist ein Trend. Und den müssen wir beschleunigen", sagt Reij. Das kenianische Agrarforschungszentrum CGIAR arbeitet gerade an einer Studie über FMNR. Es hat lange gedauert, bis sich Rinaudos Methode herumgesprochen hat. Er hat in der Zwischenzeit Kinder großgezogen, Falten bekommen, auf unzähligen Tagungen gesprochen.

Der Erfolg spricht für sich: Trotz der Dürre, die gerade in Westafrika herrscht, haben die Farmer etwa in Niger, die sich Rinaudos Methode verschrieben haben, 14.000 Tonnen an Getreideüberschüssen erzielt, im Dogonland in Mali sind es sogar 50.000 Tonnen. Im Norden Äthiopiens, in Tigray, stieg der Grundwasserspiegel um neun Meter an, seitdem dort wieder Bäume wachsen. Die Vegetation kehrte zurück, und mit ihr kamen auch Wildtiere wie Antilopen und Leoparden wieder.

Acht afrikanische Staaten arbeiten inzwischen nach Rinaudos Methode, darunter so trockene Länder wie Mali, Niger oder der Tschad. In Niger werden inzwischen rund sechs Millionen Hektar nach Rinaudos Methode bearbeitet, Äthiopien will in den nächsten Jahren 15 Millionen Hektar Brachland wieder begrünen.

Worauf Rinaudo besonders stolz ist: Sein FMNR hat eine Eigendynamik bekommen. Selbst über Grenzen hinweg. In Mali etwa haben sich viele Kleinbauern den Grünschnitt selbst beigebracht, nachdem sie von den Erfolgen im Nachbarland Niger gehört hatten. "Es ist kein verrückter Traum mehr", sagt Rinaudo. "Es ist eine Volksbewegung geworden."

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