Satellitenbeobachtung Grönlands Schnee schmilzt im Rekordtempo

Steigende Temperaturen setzen der weißen Haube Grönlands immer mehr zu. Satellitenmessungen zeigen, dass der Schnee rasant schmilzt - mit dramatischen Folgen: Der Meeresspiegel steigt, zugleich wird noch mehr Wärmestrahlung absorbiert.

Dass eine dichte Schneedecke tagsüber an der Oberfläche schmilzt und über Nacht wieder gefriert, das klingt für den Laien kaum dramatisch. Klimaforscher wie Marco Tedesco vom Goddard Earth Sciences and Technology Center der Nasa schlagen jedoch Alarm - denn sie stellen derzeit fest, dass ein solches Schmelzen und Überfrieren auf Grönland immer häufiger vorkommt.

Das überfrorene Weiß unterscheidet sich wesentlich von normalem Schnee. "Obwohl feuchter und trockener Schnee auf den ersten Blick gleich aussehen, absorbiert überfrorener Schnee wesentlich mehr Sonnenstrahlung", sagt Tedesco. "Er reflektiert nur 50 bis 60 Prozent zurück in die Atmosphäre." Bei trockenem Schnee liege die Rate bei 85 Prozent. Die Folge: Der überfrorene Schnee wird stärker von der Sonne erwärmt und schmilzt dadurch noch schneller.

In diesem Jahr hat Tedescos Team in Grönland einen neuen Rekord beobachtet: In Höhen ab 1600 Metern sei die Zahl der Schmelztage um 150 Prozent gestiegen, schreiben die Forscher im Fachblatt "Eos" der American Geophysical Union. Das Schmelzen sei im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen 19 Jahre an 25 bis 30 zusätzlichen Tagen aufgetreten.

Konsequenzen für Wärmehaushalt der Erde

"Wenn Schnee in solchen Höhen schmilzt und wieder gefriert, kann er bis zu vier Mal mehr Energie absorbieren als frischer Schnee", sagt Tedesco. Dies habe Auswirkungen auf den Energiehaushalt der Erde. Zugleich beschleunige die Schmelze nahe der Küste das Abrutschen von Gletschern ins Meer, weil das Wasser wie ein Gleitmittel fungiere. "Je schneller die Gletscher fließen, umso mehr Wasser gelangt in den Ozean und umso mehr steigt der Meeresspiegel."

Wie schnell große Eismassen schmelzen können und welch dramatische Folgen dies haben kann, darüber berichten Forscher der University of Minnesota in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Geology". Demnach ist der Meeresspiegel der Ostsee vor der schwedischen Küste vor etwa 7600 Jahren um etwa 4,5 Meter angestiegen. Wahrscheinliche Ursache: das endgültige Verschwinden des Laurentidischen Eisschilds, das während der Weichsel-Eiszeit große Teile Nordamerikas bedeckte.

Das Team Tedescos beobachtet die weiße Haube Grönlands bereits seit 1988 mit einem Mikrowellensensor an Bord eines Satelliten. Er kann durch Wolken hindurch schauen und liefert täglich mehrere Messungen, aus denen die Wissenschaftler tagesaktuelle Statistiken über die Schneeschmelze erstellen können. Grönland steht unter besonders intensiver Beobachtung von Klimaforschern weltweit, denn es gilt als Brennpunkt des Treibhauseffekts.

Im April und Mai 2007 beobachteten die Forscher noch keine Auffälligkeiten, doch im Juni stieg der sogenannte Schmelzindex plötzlich rapide an. "Dieser Anstieg kam für uns ein bisschen überraschend", erklärt Tedesco. Das zeige, wie variabel und komplex die Prozesse in Grönland seien.

Arktis bald im Sommer komplett eisfrei?

In Regionen unterhalb 1600 Meter registrierten die Forscher ebenfalls einen um 30 Prozent erhöhten Schmelzindex, aber keinen Rekordwert wie in hohen Lagen. Die höchsten Werte wurden in den Jahren 2005, 2002, 1998 und 2004 gemessen - in dieser Reihenfolge.

Die Folgen des Klimawandels sind in der Arktis besonders groß. Bereits vor einigen Tagen haben Forscher gemeldet, dass das Meereis in diesem Sommer auf einen rekordverdächtigen Tiefstand abgeschmolzen ist. Aktuelle Satellitenbilder zeigen, dass die Nordwest-Passage vom Atlantik zum Pazifik völlig eisfrei und damit für Schiffe befahrbar ist. Wissenschaftler fürchten, dass schon 2020 das arktische Meereis den Sommer über vollständig verschwinden könnte.

Wie schnell die Eisdecke Grönlands schwindet, hatten Forscher erst kürzlich berechnet. Demnach schmelzen seit 2004 jährlich 240 Kubikkilometer Eis - dreimal so viel wie in den Jahren zuvor. Selbst in der Antarktis, wo der einsetzende Klimawandel bislang kaum Auswirkungen zu haben scheint, haben Forscher ungewöhnlich warme Tage beobachtet.

hda

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