Schatzkiste Arktis Die stillen Profiteure des Klimawandels
Bad news für die Eisbären von Manitoba, good news für Pat Broe aus Denver, Colorado. Wenn in der Arktis das Eis schmilzt, müssen die Petze sich neue Reviere suchen, weil sie in den alten nicht mehr genug zu fressen finden. Aber Pat Broe macht dann Kasse. Er hat ausgerechnet, dass ihm die Erderwärmung jedes Jahr hundert Millionen Dollar einbringen wird.
Seine Freunde haben ihn ausgelacht, als Pat 1997 die gammeligen Hafenanlagen von Churchill kaufte. Ein ausgemusterter Hafen in einem menschenleeren Gebiet Kanadas, der den größten Teil des Jahres zugefroren ist was wollte er damit?
Abwarten, sagte Pat. Er hatte nur einen symbolischen Preis von sieben Dollar bezahlt, und das war wirklich kein Geld für einen Hafen. Er wusste, dass die Zeit für ihn arbeiten würde. Auf der nördlichen Halbkugel steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie auf der südlichen. Die Sommer werden länger, das Packeis wird dünner. Um das Jahr 2015 herum wird der Nordpol für normale Schiffe sechs Monate im Jahr befahrbar sein. Dann kommen goldene Zeiten für Churchill.
Quer durch die arktischen Gewässer braucht ein Erdöltanker von Murmansk an der Barents-See bis zur kanadischen Ostküste nur eine Woche. Weniger als halb so lange wie von Abu Dhabi nach Galveston, Texas. Und von Churchill in der kanadischen Provinz Manitoba nach Chicago ist es über die "Hudson Bay Railway" nicht viel weiter als von Galveston nach Chicago. Tanker von Venezuela nach Japan können auf der Polroute sogar 12.000 Kilometer sparen.
Zwar steigt mit der Wassertemperatur auch die Zahl der Eisberge. Doch dafür liegen die arktischen Ölquellen in politisch stabilen Gebieten. Keine Selbstmordattentäter, kein Kidnapping, keine Bomben. Das bisschen Havarierisiko nehmen die Ölmultis gern in Kauf.
Über die Nordroute soll zunächst russisches Erdöl von den sibirischen Ölfeldern in Ostsibirien nach Nordamerika gebracht werden. Die Eisschmelze wird auch den Weg zu den Öl- und Erdgaslagern freimachen, die jetzt noch vom Packeis blockiert sind.
Freie Fahrt am Nordpol
Die Arktis ist eine riesige eiskalte Schatzkiste. Unter dem längst nicht mehr ewigen Eis wird ein Viertel der Welt-Erdöl- und Gasreserven vermutet. Geschätzter Wert nach gültigen Marktpreisen: anderthalb bis zwei Billionen US-Dollar. Sogar unmittelbar am Nordpol sind Ölvorkommen nachgewiesen worden.
Vielleicht kommt der Durchbruch noch schneller, als Pat Broe erwartet. Im August letzten Jahres überquerte der russische Dampfer "Akademik Fyodorow" als erstes Schiff in der Seefahrtsgeschichte den Pol ohne Hilfe eines Eisbrechers. Es lief ganz reibungslos.
Demnächst wollen die staatlichen norwegischen Öl- und Gasgesellschaften Statoil und Hydro und die russische Gazprom das "Stockman Field" anstechen, das größte Erdgaslager der Welt, dessen Volumen auf 3,2 Billionen Kubikmeter geschätzt wird. Das Gas wird in unterseeischen Pipelines zu den Warmwasserhäfen Murmansk auf der Kola-Halbinsel und Hammerfest im hohen Norden von Norwegen gepumpt. Von Murmansk wird es nach Westeuropa weitergeleitet, auf einer Teilstrecke auch durch die umstrittene Ostsee-Pipeline, für deren Bau sich der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder engagiert hat.
Vor dem Ölboom war Murmansk eine sterbende Stadt, die jedes Jahr 10.000 Einwohner verlor. Die Teildemontage der russischen Nordflotte hatte ihre Lebensgrundlage zerstört. Mit der Entdeckung und der Erschließung neuer Öl- und Gasquellen zieht in die graue Stadt am Polarkreis neue Hoffnung ein. Allein die neue Gasverflüssigungsfabrik wird Tausende von Arbeitsplätzen schaffen.
Streit um den eisigen Honigtopf
Die russische Duma hat das Kyoto-Protokoll zur Bekämpfung der Klimakatastrophe ratifiziert. Nicht ohne die Missbilligung von Staatschef Wladimir Putin. Die Erderwärmung lässt den Präsidenten kalt. Sie sei kein Grund zur Aufregung, sagt er. Wenn Russland zwei, drei Grad wärmer würde, könnten in Teilen von Sibirien blühende Landschaften entstehen, und die Russen bräuchten nicht mehr so teure Wintermäntel zu kaufen.
Reichen Segen bringt das Tauwetter auch den reichen Norwegern. In Hammerfest ist eine sechs Milliarden Euro teure Gasverflüssigungsanlage im Bau, die vor allem den nordamerikanischen Markt versorgen soll. Projektname: Snohvit, zu Deutsch: Schneewittchen.
Fünf Anrainer haben die Finger in dem eisigen Honigtopf: Norwegen, Russland, Dänemark, Kanada und die USA. Doch die Claims, die sie rings um den Nordpol abgesteckt haben, bergen eine Menge Konfliktstoff. Nach Artikel 76 der Seerechtskonvention verlaufen die Grenzen der Wirtschaftszonen am Kontinentalsockel. Unklar ist aber, wo der Sockel endet und wo das offene Meer beginnt.
Der erste Rohentwurf des arktischen Katasters geht zurück auf Generalissimus Josef Stalin. Er hatte Ende der vierziger Jahre auf einer Weltkarte vom Nordpol aus einen geraden Strich nach Murmansk gezogen, ungefähr im rechten Winkel dazu einen zweiten zur Tschuktschen-Halbinsel im äußersten Osten der Sowjetunion und von da einen dritten Strich wieder zum Nordpol. In die riesige Leerfläche dazwischen schrieb er: "Sowjetische Arktis".
Kürzere Wege für Handelsschiffe
Die russischen Ansprüche stoßen auf den Widerstand vor allem bei den Norwegern. Die Ölquellen in der Nordsee, die ihren Wohlstand begründen, werden in den nächsten Jahrzehnten versiegen. Dann ruhen die norwegischen Hoffnungen auf den Quellen im Eismeer.
Auch die Erfüllung des alten Seefahrertraumes von der Nordpassage rückt näher. Sie wird die Strecke Hamburg-Yokohama beinahe halbieren. Statt durch den Suez-Kanal wird der Verkehr zwischen Europa und Ostasien dann vorwiegend über die Polroute oder durch die Küstengewässer vor Nordsibirien laufen.
Die Folgen sind für die vom globalen Wettbewerb gebeutelte europäische Industrie schmerzhaft: verringerte Transportkosten, billigere Waren, noch mehr Druck auf westliche Märkte. Um sich den Vorteil der kürzeren Wege zu sichern, wollte die Volksrepublik China noch vor zehn Jahren eine Flotte von Eisbrechern bauen, die chinesischen Handelsschiffen den Weg durchs Eis des Nordpolarmeeres bahnen sollten. Das ist nun nicht mehr nötig.
Unerfüllt bleibt bis auf weiteres die arktische Vision des früheren bayerischen Kraftpolitikers Franz-Josef Strauß. Er hatte 1977 erklärt, er werde lieber als Ananaspflanzer nach Alaska denn als Regierungschef nach Bonn gehen. Soviel ist sicher: Für Ananasplantagen ist die Arktis auch in hundert Jahren noch zu kalt.