Umweltproblem Wintersport Darf man in Zeiten des Klimawandels noch Skifahren?

Schneekanonen-Armada, kilometerlange Liftanlagen und Millionen Autos in abgelegenen Tälern: Skifahren wirkt in Zeiten der Klimakrise aus der Zeit gefallen. Wo man trotzdem noch einigermaßen guten Gewissens auf die Piste kann.
Macht Spaß - aber "umweltverträglich ist Skifahren nur dann, wenn man sich auf Naturschnee bewegt", sagen Experten

Macht Spaß - aber "umweltverträglich ist Skifahren nur dann, wenn man sich auf Naturschnee bewegt", sagen Experten

Foto: Luca Sage/ Getty Images

Der Glücksrausch beim Carven auf der schwarzen Piste. Der Geruch von Neuschnee. Endloser Blick auf weiße Berggipfel. Skifahren bedient die Sehnsüchte von Millionen Wintersportlern.

Wie die Grundlage für den Skispaß produziert wird, kümmert die Urlauber oft eher weniger: die technisch hochgerüstete Infrastruktur, die planierten Böden, gerodeten Wälder, die Beschneiungsanlagen, die unzähligen Autos in kleinen Tälern. Nach Klimaprotesten, Dürren, Waldbränden und Hitzerekorden dürften sich diesen Winter mehr Skisportler fragen: Kann ich überhaupt mit grünem Gewissen auf die Piste? Ist nachhaltiges Skifahren möglich?

Die unangenehme Antwort: nicht wirklich. Das sagt der emeritierte Kulturgeograf Werner Bätzing aus Bamberg. Er ist eine Koryphäe der Alpenforschung und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Bergen im Herzen Europas. "Umweltverträglich ist Skifahren nur dann, wenn man sich auf Naturschnee bewegt", sagt er. "Leider gibt es diesen in den alpinen Skigebieten heute kaum noch."

Skigebiete versuchen, sich von der Natur unabhängig zu machen

Wegen des Klimawandels wird Schnee in den Alpen zunehmend ein kostbares, rares Gut: Gletscher schmelzen, die Schneefallgrenze steigt, unterhalb von 1300 Metern über Meer fällt heute häufiger Regen. Zudem verringert sich die Dauer der Schneebedeckung insgesamt.

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Ohne Klimaschutzmaßnahmen dürfte die natürliche Schneedecke in den Alpen bis ins Jahr 2100 um bis zu 70 Prozent abnehmen. Die Skisaison könnte zudem bis zu einen Monat später beginnen als heute. Dies besagen die Szenarien des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im schweizerischen Davos. Laut SLF könnte dann nur "oberhalb von 2500 Metern über Meer genügend Naturschnee für einen rentablen Betrieb eines Skigebietes vorhanden sein".

Schon heute bekämpfen die Skigebiete den Schneemangel mit massivem technischen Aufwand. Die meisten Pisten in den Alpen sind künstlich beschneit: In der Schweiz sind es rund 50 Prozent, in Österreich 70 Prozent, in Italien gar 87 Prozent. Das verbraucht viel Energie und Abermillionen Liter Wasser. Weil Bäche und Flüsse diese Wassermenge im Winter nicht liefern können, wurden künstliche Speicherseen ausgehoben. Rund 420 davon gibt es mittlerweile in Österreich.

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Auch sonst scheint es, dass der Klimawandel für Liftbetreiber ein vernachlässigbares Übel ist. Anstatt nach alternativen Konzepten zu suchen, rüsten sie Jahr für Jahr auf, modernisieren, erweitern: Sie erschließen neue Gebiete oder fusionieren dank Hightechverbindungsbahnen zu Megaskiresorts mit Hunderten Pistenkilometern.

Ingesamt 1,2 Milliarden Euro investierten Skigebiete in Österreich, der Schweiz und Deutschland im Jahr 2019 laut Seilbahnverbänden in ihre Infrastruktur, davon 754 Millionen allein in Österreich. Der Wettbewerb in einem stagnierenden Markt führte zu einem Verdrängungskampf, den sich die großen Marktteilnehmer leisten können, während kleinere und mittlere Skigebiete ums Überleben kämpfen.

Von all dem bekommen die Skifans wenig mit. Deshalb empfiehlt Alpenforscher Bätzing, sich mal ein Skigebiet im Sommer anzuschauen. "Dann sieht man eine umgestaltete Landschaft, die nichts mehr mit den Alpen zu tun hat." Stattdessen künstliche Skiautobahnen, Hunderte Kilometer Leitungen für Beschneiung, Beleuchtung und Beschallung der Pisten, Speicherseen, die die natürliche Hydrologie der Berge verändern. "Wahnsinnige Arbeiten", sagt Bätzing.


Tipps für möglichst nachhaltigen Skiurlaub

  • Umweltfreundliche Anreise
    Die An- und Abreise mit Flugzeug und Auto schlägt am stärksten auf die Klimabilanz. Zahlreiche Skigebiete in den Alpen sind mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen oder bieten kostenlose Skibusse vor Ort. Ein längerer Skiurlaub am Stück ist zudem klimaschonender als mehrere, kurze Ausflüge.
  • Nachhaltige Skigebiete wählen
    Eher umweltfreundlich sind kleinere oder mittlere Skigebiete, die, wenn möglich, auf künstliche Beschneiung und Neuerschließungen verzichten. In den Alpen haben sich 23 Skigebiete zum Label "Alpine Pearls"  zusammengeschlossen, die sich durch gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, den Einsatz erneuerbarer Energien oder Konzepte für sanften Tourismus auszeichnen.
  • Skiausrüstung mit Bedacht kaufen
    Dass man nicht jede Saison neue Skiausrüstung kaufen sollte: geschenkt. Beim Kauf von Helm, Skiern, Skischuhen, Jacken, Hosen, Handschuhen, Brillen möglichst darauf achten, dass sie ohne giftige Chemikalien und unter fairen Bedingungen hergestellt wurden.
  • Regional und lokal einkaufen
    Nach Kanada zum Heliskiing, während die Alpen im Schnee versinken? Keine gute Idee. Anstatt weit zu reisen, empfiehlt sich das Skigebiet vor der Tür - sofern man das Glück hat, in den Alpen zu wohnen. Genauso sollte man im Skigebiet in Restaurants und Hotels auf regionale Produkte achten. Das schont nicht nur das Klima, sondern unterstützt die lokale Landwirtschaft.
  • Auf den Pisten bleiben
    Das schützt Wildtiere vor Stress und Skifahrer vor Lawinen.

Zwar investieren Skigebiete in den Ausbau erneuerbarer Energien oder Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Zudem existieren Labels für besonders nachhaltige Skiregionen. Doch Kulturgeograf Bätzing hält dies meist für "Augenwischerei". Ein wirkliches Umdenken stelle er bei den Betreibern nicht fest. "Das Wettrüsten geht weiter."

Indirekte Folgen schlimmer als verbaute Berge

Trotz der Eingriffe in die Natur ist der Betrieb eines Skigebiets allein nicht das Problem. Die eigentlichen Klima- und Umweltsünder sind die Skifahrer und -fahrerinnen selbst: Sie kommen meist mit dem Auto in die Berge. Satte 75 Prozent des CO2-Ausstoßes eines einwöchigen Skiurlaubs entfallen auf die An- und Abreise, besagen Studien des Nachhaltigkeitsforschers Tobias Luthe von der ETH Zürich. Nur fünf bis acht Prozent gehen auf das Konto von Beschneiung, Pistenpräparation und Betrieb der Lifte, der Rest auf Hotels und Restaurants.

Auch für Alpenforscher Werner Bätzing sind nicht die direkten Folgen des Skisports das wahre Problem. "Viel schlimmer sind die indirekten Umweltbelastungen des winterlichen Massentourismus." Weil sich mittlerweile die Mehrheit der Skisportler auf einige wenige erfolgreiche Gebiete konzentriert, verwandeln sich Bergorte in städtische Regionen. Und kämpfen mit den entsprechenden Umweltproblemen: Verschmutzung von Boden, Wasser, Luft.

Lange hat die lokale Bevölkerung vom Skitourismus profitiert. Er verwandelte arme Bergbauerndörfer in wohlhabende Orte, wurde zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor mit Milliardenumsätzen. Doch nun regt sich Unmut über den Gigantismus, das Wettrüsten. Das Wort "Overtourism" macht die Runde. Mit Petitionen wehren sich die Menschen, wie im eigentlich tourismusfreundlichen Tirol: Dort haben mehr als 150.000 Menschen eine Petition gegen die geplante Verbindung der Ötztaler und Pitztaler Gletscherskigebiete bei Sölden unterzeichnet. "Zum ersten Mal regt sich breiter Widerstand", sagt Werner Bätzing.

Skifahrer als Umweltsünder verteufeln will Bätzing trotz allem nicht. "Skifahren als Sündenfall zu begreifen, diese Argumentation ist zu kurz", sagt er. Skifahren sei in der heutigen Gesellschaft vielmehr der Normalfall. Genauso wie beim Kauf eines billigen T-Shirts die Produktionsbedingungen für die Mehrheit keine Rolle spielt, setze man sich beim Skifahren nicht damit auseinander: "Skifahren ist ein reines Konsumgut".

Bätzing plädiert deshalb für einen dezentralen, kleinstrukturierten Tourismus, der nicht technisch ablaufe. Sondern umwelt- und sozialverträglich. Weg vom Abfahrtskilauf also, zurück zu den Wurzeln des alpinen Wintersports. So wie es vor 90 Jahren war, vor den ersten Liften. "Ein Tourismus, der die winterlichen Alpen als Erlebnis- und Kulturraum entdeckt. Wo man sich aus eigener Kraft körperlich bewegt, ein echtes Alpenerlebnis hat, die Berge mit allen Sinnen erlebt und etwas für seine Gesundheit tut", sagt Bätzing. Klassische Beispiele gibt es genug. Man muss sie bloß entdecken wollen.

Leser Sie hier eine Übersicht über kleinere, günstigere und weniger hochgerüstete Skigebiete.

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