Drohende Ökokatastrophe im Spreewald Noteinsatz gegen die braune Brühe
Ach, die Grüne Flussjungfer. Isabell Hiekel weiß, dass sie nach ihr nicht mehr suchen muss. Nicht mehr an der Wudritz. Und auch an vielen anderen Gewässern der Lausitz nicht mehr. Einst war die majestätische Libelle, die mehr als sieben Zentimeter lang werden kann, hier zu Hause. "Vier Jahre lang verbergen sich die Larven am Flussgrund, erst dann schlüpfen die Tiere", sagt Hiekel.
Die Gewässerökologin arbeitet im Aktionsbündnis "Saubere Spree" mit - und kämpft gegen eine tödliche Gefahr für die Flüsse der Region. Die verlieren beinah jegliches Leben, weil feiner brauner Schlamm sich auf alles legt. Libellen, Fische, Würmer - alles weg. Sofortmaßnahmen sollen jetzt zumindest eine beliebte Touristenregion vor der braunen Brühe retten: den Spreewald, wo ein unüberschaubares Netz an Kanälen das Land durchzieht. Sogar die Post wird hier auf dem Wasser ausgeliefert.
Die Idylle lockt jedes Jahr um die 1,6 Millionen Übernachtungsgäste in die Region, dazu unzählige Tagesausflügler auf der Suche nach Kahnpartien und sauren Gurken. "Wir verdienen unser Geld mit einer intakten Umwelt", sagt Jana Eitner vom Reiseveranstalter Spreescouts in Burg. Brauner Schlamm würde viele der 7700 Tourismusjobs der Region gefährden.
Deswegen sind Aktivisten wie Heikel und Eitner in einer delikaten Lage: Warnen sie zu laut, könnten die Gäste wegbleiben. Zwar ist der Schlamm für Menschen ungefährlich - doch er sieht verheerend aus. Wenn die Spreewaldbewohner aber schweigen, dann geht das Sterben von Flora und Fauna womöglich weiter. Denn lange Zeit interessierte das Problem bestenfalls ein paar Fachleute und Umweltschützer. Und die Todeszonen im Oberlauf der Fließgewässer wurden immer größer. Weil die Brühe nun aber am Rand des Spreewalds steht, ist auf einmal die Politik im wahrsten Sinne des Wortes mit im Boot.

Schuld an dem rostigen Schlamm trägt eine chemische Verbindung namens Eisenhydroxid, von manchen auch Eisenocker genannt. Dass sie in solchen Massen in den Flüssen und Bächen hier im Südosten Brandenburgs auftritt, hat vor allem mit dem Bergbau zu tun. Seit Jahrzehnten wird in der Lausitz Braunkohle in Tagebauen gefördert, auf sächsischer und brandenburgischer Seite.
Damit die riesigen Gruben nicht absoffen, musste das Grundwasser weiträumig abgesenkt werden. Dabei wurden Eisenverbindungen trockengelegt, die an der Luft verwitterten. Weil nach der Schließung der Tagebaue das Wasser wieder steigt - und weil es in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel geregnet hat -, wird das Eisenhydroxid nun in großen Mengen ausgespült. Eine Studie des Dresdner Instituts für Wasser und Boden (IWB) geht davon aus, dass die Spree allein in der Talsperre Spremberg 6,8 Tonnen Eisenocker ablagert - pro Tag.
Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), eine bundeseigene Firma, kümmert sich um die Hinterlassenschaften des Bergbaus aus DDR-Zeiten. Pressesprecher Uwe Steinhuber hat dieser Tage viel zu tun wegen der braunen Spree. Gerade hat er frische Flugblätter drucken lassen. "Meine Botschaft ist immer: Der Spreewald ist noch in Ordnung", sagt er - und verweist darauf, was sein Unternehmen für den Schutz der Touristenregion tut.
So soll unter anderem bei Vetschau eine sogenannte Grubenwasserreinigungsanlage wieder in Betrieb gehen. Was vom Namen her wie ein großes technisches Gerät klingt, sieht beim näheren Hinsehen eher aus wie ein paar Fischteiche. Zumindest für das ungeübte Auge. Doch schon bald soll hier wieder das Wasser des besonders belasteten Vetschauer Mühlengrabens durchfließen. Allerdings ganz langsam, damit sich die Eisenfracht am Boden der drei Becken absetzt und von dort eingesammelt werden kann.
Sofortmaßnahmen tun nichts gegen die Quelle des Eisens
"Damit würden wir eine enorme Entlastung herbeiführen", verspricht Steinhuber. Zuerst muss aber noch ein vielleicht 200 Meter langer Kanal für das Wasser gegraben werden, in wenigen Wochen soll das passieren. Man muss es klar sagen: Der Kampf gegen das Eisenhydroxid ist keine Geschichte, bei der Umweltschützer gegen ein böses Unternehmen zu Felde ziehen. Im Prinzip sind sich beide Seiten einig, dass dringend etwas gegen den tödlichen Schlamm passieren muss.
Andererseits wird man sich in der Lausitz überlegen müssen, wie es mit den Tagebauen weitergeht. In den Abbaufeldern des Vattenfall-Konzerns lagern noch 1,3 Milliarden Tonnen Kohle. Wird auch nur ein Teil davon gefördert, kann die Lausitz weiter auf Jobs und zumindest einen bescheidenen Wohlstand hoffen - und sich auf weitere Ökosorgen einstellen. Allein die aktuelle Eisenproblematik dürften wohl noch bis zum Ende des Jahrhunderts andauern. Dazu kommen Belastungen durch Sulfat. "Wir stehen noch am Anfang des Problems", warnt Falkner Schwarz, Vizechef des Landesanglerverbandes Brandenburg.
Die jetzigen Sofortmaßnahmen helfen nichts gegen die Quelle des Eisens, sie können nur seinen Weg die Spree hinunter etwas verzögern. Dazu steht an der Wudritz beim Örtchen Klein Radden gerade ein lärmendes Vehikel im ockerfarbenen Wasser. Der Schreitbagger hebt den Schlamm vom Grund des Flüsschens - und kippt ihn links und rechts aufs Ufer. Dann geht es wieder ein paar Meter weiter.
Dreckig braun ist der Schlamm wegen des Eisenhydroxids. Doch neben der Hinterlassenschaft aus dem Tagebau holt der Bagger auch viel anderes Material aus der Wudritz. Kurz überlegt Ökologin Hiekel, ob dieser Brachialeinsatz vielleicht zu viel Schaden anrichtet. Dann zuckt sie die Schultern. Im Fluss sei sowieso alles tot - "dabei war das hier mal ein echtes Highlight". Als die Grüne Flussjungfer noch lebte.
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