State-of-the-Future-Studie Forscher listen wichtigste Weltprobleme auf
Ein seriöser Blick in die Zukunft ist schwierig, aber nicht unmöglich. Seit zwölf Jahren versuchen Wissenschaftler im Millennium Project die größten Herausforderungen der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten zu benennen und zu beschreiben. In wenigen Tagen erscheint die neueste Ausgabe des Reports "State of the Future" - und die auf über 6700 Seiten beschriebenen Probleme sind im Prinzip schon lange bekannt: verschmutztes Wasser, Bevölkerungswachstum, Hunger, Krankheiten und fehlende Demokratie. Jüngst warnten Forscher sogar vor einem tödlichen Dutzend.
Die Herausforderungen des Klimawandels zählen für die Autoren um Jerome Glenn zu den wichtigsten Zukunftsfragen. Die Erderwärmung könne Gesellschaften zusammenbrechen lassen, heißt es in dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Report, der wegen seines erheblichen Umfangs zum großen Teil nur auf CD erscheint. Afrika werde von den Folgen der Erderwärmung am härtesten getroffen, obwohl es selbst kaum zum Klimawandel beitrage. Im Süden Afrikas könnten die Mais-Erträge um 30 Prozent sinken. Die Solarenergie wiederum biete im Norden Afrikas große Chancen.
In Südamerika könnten 60 Prozent des Amazonas-Regenwaldes bis 2030 verschwinden oder schweren Schaden nehmen, schreiben die Autoren. Ob Europa sein Ziel erreiche, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, sei derzeit noch völlig unklar, heißt es weiter.
"Wir brauchen ein zweites Apollo-Projekt", sagt die Zukunftsforscherin Cornelia Daheim von der deutschen Firma Z_punkt . Sie hat am aktuellen Report mitgearbeitet. "Es geht darum, eine grüne Form des Wirtschaftens zu entwickeln", sagt Daheim im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir begreifen die Herausforderung des Klimawandels als Chance." Es könne künftig einen Wettlauf um Innovationen geben - vergleichbar mit dem Mondlandungsprojekt der Nasa in den sechziger Jahren. "Viele sagen sogar, dass noch viel mehr als damals getan werden muss."
Obwohl immer mehr Regierungen und Firmenchefs verantwortungsvoll auf die Gefahren für die Umwelt reagierten, verschlimmere sich die Lage weiter, heißt es in der Zukunftsstudie. Urbanisierung, Bedrohung der Lebensräume von Tieren und Massentierhaltung könnten neue Pandemien verursachen. Um das Überleben der Menschheit in Zeiten des Klimawandels zu sichern, müssten die Regierungen einen Zehn-Jahres-Plan beschließen, fordern die Autoren. Besonders auf China und die USA komme es dabei an.
Das Millennium Project, hinter dem Jerome Glenn als Direktor sowie Theodore Gordon und Elizabeth Florescu stehen, begreift sich als unabhängige Denkfabrik der Zukunftsforschung. Es wurde in den neunziger Jahren unter anderem von der Smithsonian Institution und der United Nations University gegründet. Finanzielle Unterstützung kommt unter anderem von der Weltbank, der Rockefeller Foundation und dem US Army Environmental Policy Institute.
Im Report "State of the Future" fasst die Denkfabrik ihre Arbeit jährlich zusammen. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete den Report als "informative Publikation, die unbezahlbare Ausblicke in die Zukunft erlaubt - für die Uno, ihre Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft".
Die 15 wichtigsten Herausforderungen an die Menschheit haben sich gegenüber dem Vorjahr nicht geändert:
- Nachhaltige Entwicklung der Welt und Klimawandel
- Versorgung mit sauberem Wasser
- Bevölkerungswachstum und Ressourcen
- Autoritäre Regime und Demokratie
- Langfristige Ziele in der Politik einführen
- Informationsgesellschaft für alle
- Ethisches Wirtschaften, das die Kluft zwischen Arm und Reich verkleinert
- Bedrohung durch Krankheitserreger
- Behörden und Institutionen handlungsfähiger machen
- Ethnische Konflikte, Terrorismus, Massenvernichtungswaffen
- Rechte der Frau
- Organisierte Kriminalität
- Steigender Energiebedarf der Menschheit
- Wissenschaftliche und technologische Innovationen zur Verbesserung des Lebens
- Ethische Standards als Grundlage globaler Entscheidungen
Auch wenn der Klimawandel die Diskussion über die aktuelle Zukunftsstudie dominiert, wollen die Forscher ihn nicht als das Problem Nummer eins darstellen. "Für mich lassen sich die 15 Herausforderungen nicht priorisieren", sagt Cornelia Daheim. Die Probleme hingen ohnehin eng miteinander zusammen.
Der aktuellen Weltwirtschaftskrise gewinnen die Autoren des Reports sogar etwas Positives ab: "Die gute Nachricht ist, dass die globale Finanzkrise und der Klimawandel der Menschheit helfen können, ihre egoistische, selbstzentrierte Jugend zu beenden und erwachsen zu werden."
Global verantwortungsvolles Handeln sei möglich. Das gegenwärtige wirtschaftliche Desaster werde von vielen als Chance gesehen, in neue Generationen grüner Technologie zu investieren, die Art des Wirtschaftens zu überdenken und die Welt auf einen besseren Kurs zu bringen.