Statistik-Tricks Wie sich Klimawandel-Skeptiker die Erderwärmung kaltrechnen
2. Teil: Irreführende Grafiken und Klimaverschwörer
Versuche, den Klimawandel in Abrede zu stellen oder ihn zu verniedlichen, gibt es auch in Deutschland. Ein Beispiel dafür liefert jetzt der Gesamtverband Steinkohle (GVSt) in seinem Jahresbericht für 2008. Auch dort heißt es, dass "sich die globale Mitteltemperatur in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr erhöht hat". Etwas später liest man gar: "Treibhausbedingte Klimaänderungen haben eher am unteren Ende der vom IPCC genannten Bandbreite stattgefunden beziehungsweise werden stattfinden." Als vermeintlichen Beleg präsentiert der Bericht eine Grafik mit der "Bandbreite der Temperaturveränderungen nach verschiedenen IPCC-Szenarien" (siehe Fotostrecke).
Nur: Die Darstellung enthält "eine Reihe dicker Fehler", sagt Philippe Marbaix, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Jean-Pascal van Ypersele am Institut für Astronomie und Geophysik der Universität Louvain in Belgien. Grundsätzlich sei schon die gewählte Einheit falsch: Die Kurve in der Grafik stelle keinen dekadischen Trend dar wie angegeben, "sondern einfach durchschnittliche Jahrestemperaturen". Fragwürdig ist aber insbesondere, wie der Kohleverband die IPCC-Szenarien wiedergibt. Anders als die Grafik suggeriert, starte keine der Projektionen schon 1980. Auch die skizzierte Spanne der Szenarien sei komplett falsch, heißt es aus Louvain - ein Vorwurf, der für den Verband wiederum "nicht nachvollziehbar ist, da die von uns zitierte Datenbasis für jedermann nachprüfbar ist".
Ein Hort eingefleischter Zweifler ist auch ein eingetragener Verein aus Jena, der sich Europäisches Institut für Klima und Energie (Eike) nennt. Seine Mission ist es, das etablierte Modell vom anthropogenen Klimawandel zu Fall zu bringen. Denn diese Hypothese, wettern die Jenaer, beruhe "auf unphysikalischen statistischen und subjektiv angepassten Computersimulationen" und sei "ein Betrug an der Bevölkerung".
Hinter der "anerkannten Klimawissenschaft" steckten "Verlautbarungen des IPCC und einer wirklich kleinen Gruppe von weltweit vielleicht 60 Wissenschaftlern, die auf dem Klimagebiet arbeiten", sagt Eike-Sprecher Michael Limburg. Diese Forscher seien fast ausschließlich in Institutionen zu Hause, die ein "starkes Eigeninteresse an der Fortschreibung der vermeintlichen Klimakatastrophe haben, da diese ihre Existenz und ihren Einfluss sichert". Ein öffentlicher Dialog zum Thema Klima und CO2 werde heute nicht mehr zugelassen, die Meinung durch Institutionen wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung majorisiert. Die Zahl der Kritiker an der Klimawandeltheorie übersteige "die der 50 bis 60 am IPCC-Prozess maßgeblich beteiligten Klimaexperten bei weitem", sagt Limburg auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE.
Dabei haben gerade erst Forscher der University of Illinois aus Chicago mehr als 10.000 Geowissenschaftler weltweit zum Klimawandel befragt. 3146 von ihnen füllten den Fragebogen aus - und die Ergebnisse sprechen für sich. 82 Prozent bestätigten, dass menschliche Aktivitäten ein wichtiger Faktor im Klimawandel sind. Die feinere Auswertung nach Fachgebieten ergab, dass sogar 97 Prozent der Klimaforscher die These der vom Menschen verursachten Erderwärmung stützen. Bei Geologen aus der Ölbranche und Meteorologen lag die Zustimmung nur bei 47 beziehungsweise 64 Prozent.
Aufschlussreich auch eine Studie der Geologin Naomi Oreskes von der University of California in San Diego. Die Forscherin prüfte mehr als 900 begutachtete und veröffentlichte Fachartikel zum Klimawandel, die von 1993 bis 2003 erschienen sind. Das Ergebnis: In keinem einzigen der Aufsätze wurde angezweifelt, dass der Mensch die Klimaerwärmung der vergangenen 50 Jahre maßgeblich beeinflusst hat.
Fast überflüssig zu erwähnen, dass der Jenaer Verein neuerdings oft auf die angebliche globale Abkühlung verweist. Auf der Eike-Internet-Seite findet sich außerdem ein Link zur Klimapolemik aus dem Senatsbüro von James Inhofe in Washington, wo die These vom Stopp der Erwärmung wohl die tollsten Blüten treibt.
Dort wird sogar auf Quellen verwiesen, die den gerade ausgeschiedenen US-Präsidenten ausdrücklich für seine beharrliche Anti-Kyoto-Politik loben. Verwegene Begründung: Sowie George W. Bush ins Amt gekommen sei, habe sich der Globus abgekühlt.
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