Verurteilter Forscher Eklat um Klimaberater der Bundesregierung

Stefan Rahmstorf: "Unwahre Tatsachenbehauptungen"
Foto: ? Scanpix Denmark / Reuters/ REUTERSHamburg - Eine Affäre um Stefan Rahmstorf, einen Klimaberater der Bundesregierung, zieht immer weitere Kreise. Was ist passiert? Zunächst schreibt die freie Journalistin Irene Meichsner einen kritischen Bericht, woraufhin Rahmstorf sie scharf angreift. Dann fällt die "Frankfurter Rundschau" ("FR") ihrer Autorin in den Rücken. Die Autorin verklagt den Forscher - und gewinnt den Prozess. Und jetzt kontert auch noch das Institut des Forschers.
Brisant wird die Angelegenheit zum Einen, weil es sich bei dem Verurteilten mit Stefan Rahmstorf um ein Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU) handelt. Zum anderen ist es eine Medienaffäre, in die die "FR" verwickelt ist: Der Fall zeige, "wie Medien mit ihren Produkten besser nicht umgehen sollten", sagt der Journalismusforscher Markus Lehmkuhl vom Forschungszentrum Jülich, der eine Analyse des Falls im Magazin der Wissenschafts-Pressekonferenz "wpk Quarterly" vorlegt.
Rahmstorf hatte die freie Wissenschaftsjournalistin Irene Meichsner als schlampige Autorin dargestellt. Im Frühjahr 2010 hatte die mehrfache Preisträgerin in der "FR" einen kritischen Artikel über ein Kapitel des Uno-Klimaberichts (IPCC-Report) veröffentlicht. Sie bescheinigte dem Report, Dürre-Prognosen für Nordafrika unzureichend belegt zu haben.
Bei Kritik am IPCC-Report wird Rahmstorf, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) arbeitet, hellhörig. Oft gab es schlecht begründete Polemiken gegen den Uno-Report. Jetzt griff Rahmstorf - der zwar nicht an dem von Meichsner kritisierten Kapitel mitgearbeitet hatte, aber zu den führenden Autoren des letzten IPCC-Berichts zählte -, Meichsner in seinem Blog scharf an.
Um Löschung gebeten
Im Februar verhandelte das Landgericht Köln den Wahrheitsgehalt von Rahmstorfs Vorwürfen: Die Journalistin hätte den IPCC-Bericht nicht gelesen, habe aus unlauteren Quellen abgeschrieben und darum gebeten, dass ihr Name in dem Blog nicht genannt werde, behauptete der Forscher. Dabei hatte nicht Meichsner, sondern die "Frankfurter Rundschau" über Meichsners Kopf hinweg Rahmstorf um Löschung des Namens gebeten.
Das Gericht sah in diesem Punkt und bei dem Plagiatsvorwurf die Persönlichkeitsrechte der Autorin verletzt. Die Aussagen Rahmstorfs konnten widerlegt werden - der Forscher wurde zur Unterlassung verurteilt. Rahmstorfs Vorwurf hingegen, Meichsner habe den IPCC nicht gelesen, ließ das Gericht dem Wissenschaftler als polemische Meinungsäußerung durchgehen. Wer nach dem Originaltext des Urteils sucht, findet ihn auf der privaten Website von Hans von Storch, dem Direktor des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Von Storch gehört zu jenen Forschern, die Rahmstorf in der Vergangenheit öffentlich angegriffen hatte.
Auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE antwortete Rahmstorf nicht persönlich. Stattdessen schickte das PIK eine Stellungnahme , die das Institut auch gleich auf seiner Website veröffentlichte. "Überspitzung" ist darin das Einzige, was die Forschungseinrichtung als Vergehen Rahmstorfs einräumt. Ansonsten versucht das Institut, das Gerichtsurteil gegen seinen Spitzenforscher zu relativieren: "Fehler können passieren." Es habe sich um "Interpretationsfragen" und um "ein Missverständnis" gehandelt.
Das PIK wirbt um Verständnis für seinen Mitarbeiter: Es sei Aufgabe eines Wissenschaftlers, "die Öffentlichkeit auf Irrtümer hinzuweisen". Eine erstaunliche Interpretation, hatte doch das Kölner Landgericht Rahmstorf wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen zur Unterlassung verurteilt - die Irrtümer lagen also gerade bei ihm. Inzwischen hat Rahmstorf die entsprechenden Passagen in seinem Blogbeitrag umgeschrieben. Einen Hinweis auf die Korrektur sucht man allerdings vergebens - was pikant ist, angesichts der Tatsache, dass Rahmstorf seinen Gegnern genau solches Verhalten an anderer Stelle in seinem Blog vorwirft und sie zur Ehrlichkeit ermahnt.
Meinungskampf und Häme
Fachlich ging es in der Diskussion um zwei umstrittene Angaben im Uno-Klimareport zur Prognose von Wassermangel in Nordafrika. Die Vorhersage stützte sich auf unzureichende Belege, kritisierte Meichsners Artikel: Zum Einen beruft sich der IPCC-Bericht auf eine Studie von 2004, die Wassermangel in zwei Ländern Nordafrikas für die Zukunft anhand von Computersimulationen des Klimas und der Bevölkerungsentwicklung einzuschätzen versuchte. Zum Anderen bezieht sich der Uno-Report auf die Prognose eines Umweltpolitikers - vor allem die Qualität dieser Stellungnahme gilt wissenschaftlich als zweifelhaft.
Tatsächlich gab es im IPCC-Bericht ungenaue Formulierungen, wie Wissenschaftler später eingestanden. Lehmkuhl hat Meichsners Aussagen nachrecherchiert: "Sie hat nicht abgeschrieben und faktisch nichts Falsches gesagt, sondern Ergebnisse gedeutet."
Doch um wahr oder falsch geht es in der ganzen Affäre eigentlich wohl kaum: Vielmehr handele es hier ein "Meinungskampf", sagt der Wissenschaftler und Journalist Lehmkuhl. Er habe den Eindruck als würde sich Rahmstorf als wissenschaftlicher Experte tarnen, aber eigentlich politischer Agitator sein. "Rahmstorfs Häme wirkt als persönliche Diffamierung, die in der öffentlich geführten Auseinandersetzung nichts verloren hat", sagt Lehmkuhl.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Rahmstorf auf robuste Art mit seinen Gegnern anlegt. Immer wieder hat er in den vergangenen Jahren nicht nur Journalisten, sondern auch Wissenschaftler angegriffen, wenn sie sich öffentlich in einer Weise geäußert hatten, die Rahmstorf missfiel.
Kniefall vor dem Wissenschaftler
Die "Frankfurter Rundschau" spielte einen seltsamen Part in der Affäre: Die Redaktion der "FR" hatte sich am 30. April 2010, gut zwei Monate nach Erscheinen des Meichsner-Artikels, von dem Text distanziert: "Die 'FR' hat den Artikel in ihrer Online-Ausgabe gelöscht", schrieb die Zeitung. Gleichzeitig veröffentlichte sie offenbar als Wiedergutmachung eine Doppelseite, auf der Vorwürfe gegen den IPCC-Report als missliche Kampagne gedeutet werden.
Darin sieht Lehmkuhl ein falsches Signal: "Es ist beklagenswert, dass eine Autorin, nur weil sie eine Textpassage kritisch unter die Lupe nimmt, gleich ins Fahrwasser von Klimawandelleugnern gedrängt wird." Wenn Zeitungen ihre Autoren so schnell fallen ließen, würde sich bald niemand mehr differenziert über die Klimaforschung äußern, meint der Sozialforscher. Warum die "FR" so handelte, bleibt offen. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE reagierte die Chefredaktion nicht.
Lehmkuhl glaubt an einen Reflex bei der Zeitung: "Die 'FR' achtet stark auf Umweltbewusstsein und vertritt engagiert den Standpunkt des menschengemachten Klimawandels", erläutert der Medienforscher. Die Redaktion habe Meichsners Text aus einem Pool von Artikeln gezogen, aus dem sich mehrere Zeitungen der "DuMont-Redaktionsgemeinschaft" bedienen. "Am Ende war die 'FR' vielleicht sogar erleichtert, dass sie auf den kritischen Zuruf von Rahmstorf eine Art Gegendarstellung schreiben konnte", glaubt Lehmkuhl.
Das Potsdam-Institut applaudiert der Zeitung für ihren Kniefall vor dem Wissenschaftler: Dass die "FR" den Artikel zurückgezogen habe, erklärt das PIK, "war in der Sache richtig". Und dass, obwohl der Bericht gar nicht falsch war, wie sich herausgestellt hat. Die Moral der Geschichte sei nicht ermutigend, sagt Lehmkuhl. Der Fall zeige, wie "missliebige Deutungen mit Hilfe eines autoritären Wahrheitsbegriffes unterdrückt werden können".
Rahmstorf indes scheint aus dem Urteil wenig gelernt zu haben. Erst am 29. November hat er in seinem Blog einen neuen Beitrag veröffentlicht, in dem er nicht nur Medien und Forscherkollegen angeht - sondern auch beklagt, dass man "in den klassischen Medien keine Kontrolle über das Endprodukt" habe.