Sterbender Eisbär in Kanada "So sieht es aus, wenn man verhungert"


Er probiert aufzustehen und ein paar Meter zu gehen - doch jeder Schritt fällt dem völlig abgemagerten Tier schwer, es kann kaum die Hinterläufe bewegen. Dann sucht es in einer Mülltonne am Rande einer Inuit-Siedlung nach etwas Essbarem und kaut auf irgendeinem Stück Müll herum. Am Ende des Clips liegt der Eisbär entkräftet da und schaut mit leerem Blick in die Kamera.
"So sieht es aus, wenn man verhungert. Der Muskelschwund, keine Energie. Es ist ein langsamer und schmerzvoller Tod", schreibt der bekannte Fotograf und Biologe Paul Nicklen zu den Bildern.
Wen dieses Video kaltlässt, der muss ein Herz aus Eis haben. Es sind sehr traurige und bewegende Bilder. Und sie sind Folge von menschlichem Versagen, zumindest überwiegend. Denn letztlich stecke der Klimawandel hinter dieser Leidensgeschichte, schreibt er.
Nicklen, der die Umweltschutzorganisation Sea Legacy gegründet hat, machte die Bilder im Spätsommer im kanadischen Teil der Arktis auf der Baffininsel. "Mein gesamtes Team hat mit den Tränen gekämpft, als wir das Tier aufgenommen haben", schreibt er. Es sei nicht sehr alt gewesen, vermutlich ist es in den nächsten Tagen oder gar Stunden nach den Aufnahmen verendet.
Der abgemagerte Eisbär sei ein Opfer der Erderwärmung gewesen, so der vielfach ausgezeichnete kanadische Fotograf . Durch den Temperaturanstieg und das schmelzende Meereis würden Eisbären den Zugang zu ihrer Hauptnahrungsquelle verlieren: Robben. Deshalb würden sich die hungernden Tiere nahe an Siedlungen heranwagen - in der Hoffnung auf Nahrung.
Auch wenn sich nicht prüfen lässt, ob dieses Tier tatsächlich an den Folgen des Klimawandels starb oder möglicherweise krank war: Die Bedrohung durch das schwindende Meereis für die weltweit etwa 26.000 Eisbären (Ursus maritimus) ist schon länger bekannt. Denn durch die Eisschmelze gelangen die Tiere nicht mehr zu ihren Jagdgründen - auf den Eisschollen lauern sie auf ihre Beute.
Forscher der Weltnaturschutzorganisation IUCN hatten bereits vor Jahren prognostiziert, dass die Eisbärenbestände in den kommenden 35 bis 40 Jahren um mehr als 30 Prozent schrumpfen dürften. Doch auch die Folgen von Öl- und Gasbohrungen machen den Tieren schwer zu schaffen. Zudem haben sie es durch die Verlängerung der eisfreien Zeiten in Teilen der Arktis auf mehr als fünf Monate schwerer, einen Partner zur Fortpflanzung zu finden.
Studien hatten gezeigt, dass die Eisschmelze dort noch rascher verlaufe als bisher von den meisten Klimamodellen vorhergesagt. So sei die Eismasse von 1979 bis 2011 um jeweils 14 Prozent pro Dekade zurückgegangen. Damit seien die natürlichen Jagdreviere der Eisbären entsprechend stark geschrumpft.
Nachdem Nicklen die Bilder verbreitet hatte, wurde er gefragt, warum er dem Tier nicht habe helfen können. Darüber habe er nachgedacht, sagte er. Doch es sei nicht so, dass er immer 400 Pfund Robbenfleisch dabei habe. Außerdem sei es in Kanada verboten, Eisbären zu füttern.
"Es gab keine Rettung für dieses Tier", schreibt er. Die einzige Lösung sei, die CO2-Emissionen zu verringern, sich entsprechend zu ernähren, die Abholzung der Wälder zu verringern und die Rettung der Erde an die erste Stelle zu setzen.
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Von Scholle zu Scholle: Eisbär in der Arktis
Jäger unter Wasser: Bedrohtes Jagdrevier
Eisbär an der Hudson Bay in Kanada: Einen Großteil ihrer Energie beziehen Eisbären aus Robben und ihrem Speck. Dadurch haben sie - in der arktischen Kälte ist das wichtig - einen sehr hohen Körperfettanteil.
14 Wochen alten Eisbären-Zwillinge im Zoo: Rund 25.000 Eisbären leben in der Arktis in natürlicher Umgebung.
Auf der Suche nach Nahrung: Eisbärenmutter marschiert mit ihren beiden Jungen auf Futtersuche über Eisschollen im Gebiet der Nordwestpassage in Kanada.
Inuit-Eisbärenjäger: Eine besondere genetische Ausstattung sorgt dafür, dass Eisbären auch ein sehr hoher Cholesterinspiegel nichts ausmacht. Für die indigene Bevölkerung der Arktis macht sie das zur attraktiven Jagdbeute.
Eisbärenfelle in einem Inuit-Dorf in Alaska: In Kanada ist auch die Jagd und der Handel mit Eisbären-Trophäen zu rein kommerziellen Zwecken erlaubt - das lässt die Zahl der Eisbären schrumpfen.
Eisbär mit Beute an der Hudson Bay: Die Raubtiere gibt es in Kanada, den USA, Russland, Norwegen und Grönland.
In der Hudsonstraße in Kanada springt ein Eisbär über Gletschereis. Die Aufnahme stammt von dem kanadischen Biologen und Fotografen Paul Nicklen. Er fotografiert mit Vorliebe überall dort auf der Welt, wo es besonders kalt ist.
Ein Möwe gleitet über einen Eisberg. Die Aufnahme entstand in Spitzbergen, Norwegen.
Gestochen scharfe Bilder: Diese Aufnahme von der Antarktischen Halbinsel zeigt einen Seeleoparden, der nach den Füßen eines Pinguins schnappt.
Wie tauchende Einhörner: Diese Narwale in Kanada strecken ihre Stoßzähne aus dem Wasser. Die Tiere tauchen auf der Suche nach Nahrung tief unter das Eis. Zum Luftholen kommen sie dann wieder an die Oberfläche. Dabei ragen ihre bis zu drei Meter langen Stoßzähne in die Höhe.
Dieser neugierige Eisbär ist dem Fotografen auf Spitzbergen in Norwegen in die Fotofalle getappt.
Auf dem Weg zum Strand landete dieses Walross direkt vor der Linse. Das Bild wurde auf Prinz-Karl-Vorland, einer Insel an der Westküste des zu Norwegen gehörenden Svalbard-Archipels, gemacht.
Ein Eselspinguin lugt auf der Antarktischen Halbinsel vorsichtig ins Wasser. Möglicherweise könnten Seeleoparden in der Nähe sein - bei denen steht er auf der Speisekarte.
Die Bilder stammen von dem kanadischen Fotografen und Biologen Paul Nicklen. Er arbeitet für "National Geographic" und hat zahlreiche Preise gewonnen. Darunter den ersten Platz beim "World Press Photo". Derzeit ist eine Auswahl seiner Bilder in der Ausstellung "Polar Obsession" in Berkeley, Kalifornien zu sehen. Unter dem Titel ist auch ein Bildband erschienen.
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