Streit um Abweichler Die Angst der Klimaforscher vor dem Gruppenzwang

Forscher Bengtsson: Von Kollegen unter Druck gesetzt
Hamburg - Eine kleine Personalie hat weitreichende Folgen für die Klimaforschung: Der angesehene ehemalige Max-Planck-Direktor Lennart Bengtsson war dem umstrittenen Skeptikerverein "Global Warming Policy Foundation" ("GWPF") beigetreten, der grundlegende Ergebnisse des Uno-Klimarats mit seinen Kampagnen bekämpft. Die Folgen haben Bengtsson schockiert - und die Wissenschaft erschüttert.
Wissenschaftskollegen hätten ihn nach seinem "GWPF"-Beitritt dermaßen unter Druck gesetzt, dass er die "GWPF" wieder verlassen habe, auch aus Sorge um seine Gesundheit, hatte Bengtsson am Mittwoch mitgeteilt. Er fühlte sich an die Kommunistenverfolgung in den Fünfzigerjahren in den USA erinnert. "Eine lächerliche Behauptung, wenn man bedenkt, dass Forscher wegen ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse von klimaskeptischen Politikern bedroht worden sind", widerspricht der Klimatologe Gavin Schmidt von der Nasa.
Auch Kollegen hätten sich abgewandt, sagt jedoch Bengtsson. Besonders verletzt habe ihn, dass ein Kollege sich von einer gemeinsamen Studie zurückgezogen habe, aus Angst um seinen Ruf. Weitere Details wollte Bengtsson nicht preisgeben. "Seine Aussagen sind zu vage, um sie genau bewerten zu können", findet Schmidt.
Vorspiel im Februar: Abgeschmetterte Studie
Doch die Affäre hatte ein Vorspiel, wie nun bekannt wird - Bengtsson hatte bereits im Februar einen Tiefschlag einstecken müssen: Eine Studie von ihm, die mildere Auswirkungen des Treibhauseffektes in Aussicht stellte, wurde vom Fachblatt "Environmental Research Letters" abgelehnt. Die Ergebnisse seien wenig hilfreich und nur nützlich für klimaskeptische Medien, hatten die Gutachter neben inhaltlicher Kritik schriftlich geurteilt, wie das Fachblatt bestätigt.
"Skandalös", findet der Meteorologe Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht die Begründung: Das Fachblatt habe sich offenbar nicht an wissenschaftlichen Normen, sondern an politischer Nützlichkeit orientiert. Die Ablehnung der Studie beruhe auf wissenschaftlichen Gründen, betont hingegen Nicola Gulley, Herausgeberin des Magazins. Bengtssons Studie habe die hohen Standards nicht erfüllt.
Jetzt diskutieren Klimaforscher: Leidet ihre Wissenschaft unter Gruppenzwang? Besteht allzu großer Konsensdruck? Wird Kritik unterdrückt? Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse zum Klimawandel. Kann man der Klimaforschung also noch trauen?
Getarnte Wissenschaft: Der Skeptikerverein "GWPF"
Mit seinem Beitritt zum "GWPF" habe er die Klimadebatte öffnen wollen, hatte Bengtsson im SPIEGEL-ONLINE-Interview gesagt. Der Drang zum Konsens in der Klimaforschung sei angesichts großer Wissenslücken "sinnlos". Aber ist eine politische Lobbygruppe die richtige Organisation für einen Wissenschaftler?
Weniger Bengtssons Fall als die Aktivitäten der "GWPF" erinnerten an die Kommunistenverfolgung, meint der Klimaforscher Eric Steig von der University of Washington. Die Organisation brüste sich damit, Nachforschungen über Klimaforscher anzustellen und unterstelle Schulen "Gehirnwäsche" in Sachen Klimawandel. Die "GWPF" hingegen bezeichnet sich als "Denkfabrik", die Argumente dokumentiere, warum der Klimawandel als Problem überschätzt werde.
Doch auch Reto Knutti von der ETH Zürich übt Kritik: "Organisationen wie die 'GWPF' tragen dazu bei, dass die wissenschaftliche Debatte zu einem Glaubenskrieg wird - sie verbreiten pseudowissenschaftliche Berichte, obwohl sie eigentlich eine politische Mission verfolgen", sagt er. Die "GWPF" arbeite gezielt selektiv, ergänzt Jochem Marotzke, Nachfolger von Bengtsson am Max-Planck-Institut für Meteorologie: "Sie erwähnen nur die Argumente, die ihnen nutzen, Gegenargumente werden ausgeblendet."
Die "Anti-Wissenschaft-Agenda" der "GWPF" offenbare sich dadurch, dass die Organisation bei ihren Berichten keine offene Begutachtung zulasse - im Gegensatz zum Uno-Klimarat, betont Myles Allen von der University of Oxford. Selbst der als skeptisch bekannte Umweltforscher Roger Pielke junior von der University of Colorado unterstellt dem Verein, ihre politische Agenda unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu verstecken. Allerdings nähmen auch aus anderen politischen Lagern "getarnte Advokaten" Einfluss auf die Wissenschaft, etwa Umweltverbände, ergänzt Storch.
Gleichwohl verfolge die "GWPF" legitime Ziele, die eine Demokratie debattieren sollte, betont Pielke. Wissenschaft hingegen müsse sich an strengeren Maßstäben messen lassen als ein Lobbyverband. Doch diese Maßstäbe stehen nun in Frage.
"Schmutzig, böse, destruktiv": Dunkle Seite der Klimaforschung
Hinter vorgehaltender Hand klagen zahlreiche Klimaforscher seit Jahren über Mobbing und Ausgrenzung. Aber ist es in dem Fach wirklich schlimmer als in anderen Wissenschaften? Das Besondere an der Klimaforschung sei ihre hohe Politisierung, sagt Roger Pielke senior von der University of Colorado. "Meine Erfahrung stimmt vollständig mit den Vorwürfen Bengtssons überein", sagt er.
Aber wer politisiert? Tendenziell gelte ein einfaches Prinzip, sagt Knutti: "Wer politisch links ist, glaubt an den Klimawandel, wer rechts steht, eher nicht." Die Trennung von Fakten und Meinung verschwimme oft, auch bei Wissenschaftlern.
"Alle Seiten behaupten, die andere würde politisieren", erläutert Werner Krauß, Umweltethnologe am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Die Klimaforschung werde von "starken Männern" dominiert, die jederzeit die Medien zu instrumentalisieren wüssten. Bengtsson habe seinen Eintritt in den "GWPF" medial inszeniert und der Klimaforschung "religiösen Eifer" unterstellt, sagt Krauß. Da brauche er sich über harte Kritik nicht zu wundern.
"Ich finde es schockierend, wie seine Kollegen reagiert haben", meint hingegen Heinrich Miller vom Alfred-Wegener-Institut. "Offenbar herrscht Enttäuschung darüber, dass ein leuchtendes Vorbild jetzt auch mal wissenschaftliche Zweifel öffentlich macht." Der Bengtsson-Vorfall erinnere ihn an Politik, wo Gegner mit unsachlichen Methoden mundtot gemacht werden, sagt Miller.
In der Klimaforschung werde "mit harten Bandagen um Politik gekämpft - schmutzig, böse, destruktiv", bestätigt Pielke junior. Auch er sei schon persönlich bedroht worden. Der Klimaforscher Michael Mann spricht sogar von "Klimakriegen". Er sah sich jahrelang unter Attacke konservativer Skeptikerverbände, vor allem nachdem im Zuge des "Climategate"-Skandals auf kriminelle Weise sein E-Mail-Verkehr bekannt gemacht worden war. Auch andersrum wird ausgeteilt: Ein österreichischer Professor forderte gar die Todesstrafe für Klimaskeptiker.
Im Konsensdilemma: Wie viel Unsicherheit verträgt Forschung?
Vor allem die Konsenssuche für Ergebnisse beim Uno-Klimabericht habe Wissenschaftler politisiert, meint Miller. "Die Klimaerwärmung wird als Dogma verstanden, und wer es anzweifelt, ist böse", sagt der renommierte Forscher, der nach Kritik an der Aussagekraft von Computersimulationen ebenfalls als Klimaskeptiker gebrandmarkt worden ist.
Knutti hingegen warnt vor einer Überbetonung der Unsicherheiten: Bengtssons harte Kritik an den Klimaprognosen sei irreführend. Die Modelle lieferten brauchbare Ergebnisse, die am Klima der Vergangenheit getestet würden. Der Uno-Klimareport, der von Hunderten Wissenschaftlern in jahrelanger Arbeit erstellt wird, dokumentiere ausführlich die Bandbreite der Resultate. Sich zurückzulehnen, bis alle Unsicherheiten ausgeräumt sind, sei keine Alternative. Ein großer Teil der sogenannten Skepsis sei absichtliche Irreführung, meint Knutti.
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