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Erfolg am Cern: Antimaterie in der Falle

Foto: CERN

Teilchenphysik Forscher fangen erstmals Antimaterie ein

Erstmals ist es Physikern am Kernforschungszentrum Cern gelungen, künstlich hergestellte Antimaterie zu speichern - etwa eine Fünftelsekunde lang. Das mag wenig erscheinen, bringt aber Messungen auf den Weg, die unser physikalisches Weltbild erschüttern könnten.

Urknall

Es war nur eine winzige Unregelmäßigkeit. Doch nur weil es sie gab, existiert unsere Welt so, wie wir sie kennen. Beim vor rund 13,7 Milliarden Jahren entstanden Materie und Antimaterie als kosmische Zwillinge mit unterschiedlicher elektrischer Ladung. Beide sind aus kleineren Teilchen aufgebaut. Doch kommen sich Materie und Antimaterie zu nahe, dann löschen sie sich aus. Annihilation nennen Physiker den zerstörerischen Prozess, bei dem große Mengen an Strahlung entstehen.

Nur weil durch einen Zufall etwa ein Milliardstel mehr Materie als Antimaterie entstanden war, verschwand unser Universum nicht einfach in einem gigantischen Lichtblitz. Seitdem bestimmt Materie das Gesicht unserer Welt - und Antimaterie ist ein seltenes, kaum untersuchtes Gut. Nun ist es Forschern aber erstmals gelungen, Antimaterie einzufangen. Das ist der erste Schritt zu einer näheren Analyse ihrer seltenen Erscheinung.

Das internationale Alpha-Projekt am Genfer Kernforschungszentrum Cern hat insgesamt 38 Antiwasserstoffatome herstellen und kurzzeitig in einer Art Falle speichern können. Im Wissenschaftsjournal "Nature"  berichten die Forscher von dem dazu nötigen System aus Magnetfeldern. "Es ist sehr kompliziert, Antiwasserstoffatome im Zaum zu halten", sagt der Chef des Alpha-Projekts, der dänische Kernforscher Jeffrey Hangst. Seinem Team ist es trotzdem gelungen - und zwar für knapp ein Fünftel einer Sekunde. In Zukunft dürfte sich dieser Zeitraum stark verlängern, sagt der Forscher.

Natürlich vorkommende Antimaterie haben Wissenschaftler bisher noch nicht nachweisen können. Mit dem Flug des riesigen Alpha-Magnet-Spektrometers zur Internationalen Raumstation ISS soll im kommenden Jahr ein neuer Versuch starten. Hingegen ist die absichtliche Herstellung von Antimaterie schon fast ein alter Hut. Sie funktioniert am Cern schon seit 1995. Damals produzierte ein Team um den deutschen Physiker Walter Oelert insgesamt neun Atome Antiwasserstoff. Sie bestehen jeweils aus einem Positron - also dem Antiteilchen des Elektrons - und einem Antiproton. Anschließend wiederholten andere Teilchenforscher auch am Fermilab in den USA die Experimente.

Selbst die Herstellung von mehreren zehntausend Atomen Antimaterie ist heute kein Problem mehr. Und doch weiß die Menschheit kaum etwas über sie. Aus zwei Gründen ließen sich die mühevoll gewonnenen Schätze bisher nicht näher unter die Lupe nehmen:

  • Wegen der stets drohenden Annihilation sind die Antiteilchen sehr kurzlebig. Sobald sie auf Gegenstücke aus normaler Materie treffen, vernichten sich schließlich beide gegenseitig.
  • Außerdem waren die bisher erzeugten Antiwasserstoffatome extrem heiß. Das heißt, die Teilchen bewegten sich zu schnell für eine Analyse.

Die Forscher um Hangst haben es jetzt geschafft, beide Hindernisse zu überwinden. In insgesamt 335 Durchläufen ihres Experiments erzeugten sie zunächst Antiprotonen. Das Verfahren ist seit Mitte der Fünfziger Jahre bekannt. Diese Teilchen kühlten sie in einem Speicherring immer weiter ab - bis sie nur gerade einmal einen halben Grad über dem absoluten Nullpunkt lagen. "Wir müssen sie so kalt machen, um die Antiwasserstoffatome später speichern zu können", erklärt Hangst.

Anschließend brachten die Forscher die Antiprotonen dazu, für etwa eine Sekunde mit Positronen zu reagieren - heraus kam im Schnitt bei jedem zehnten Durchlauf des Experiments ein gesuchtes Antiwasserstoffatom.

Spektrum des Antiwasserstoffs soll untersucht werden

Das besondere daran: Die Ausgangsteilchen fanden innerhalb eines speziell entworfenen Magnetfeldsystems zueinander. Die Magneten funktionierten dabei wie eine Art Spiegel. Entstehende Antiteilchen wurden stets vom Rand in die Mitte des Vakuumbehältnisses reflektiert. Weil dieser Effekt aber nur bei niedriger Bewegungsenergie der Teilchen überhaupt funktioniert, mussten die Antiprotonen so stark gekühlt werden.

Insgesamt gelang es den Forschern, mindestens 38 Antiwasserstoffatome herzustellen und jeweils 172 Millisekunden festzuhalten. Wahrscheinlich seien sogar doppelt so viele entstanden, so die Wissenschaftler. Man habe aber nicht alle nachweisen können. Und auch längere Zeiträume habe man inzwischen erreicht, sagt Jeffrey Hangst. Weil die Resultate aber noch nicht veröffentlicht sind, möchte er die genaue Zahl nicht nennen.

Relativitätstheorie

Die Speicherung der Anti-Atome ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur ihrer Untersuchung mit Hilfe der Laserspektroskopie. Die Forscher wollen herausfinden, ob Wasserstoff und Antiwasserstoff tatsächlich dieselben Spektrallinien haben. Davon geht das sogenannte CPT-Theorem aus, ein Grundpfeiler der modernen Physik. Wird das Theorem, aufgestellt 1955 vom Physiker Wolfgang Pauli, hingegen verletzt, dann hätte auch Einsteins Spezielle ein Problem.

Noch sind die entscheidenden Untersuchungen nicht möglich. Einige Sekunden müsste man die Antiwasserstoffatome dafür wohl festhalten, schätzt Forscher Hangst. Nach seinen Angaben könnte sein Team aber im Jahr 2013 so weit sein. Das Cern werde im Jahr 2012 all seine Beschleuniger abschalten, um sich ganz auf das Großprojekt LHC zu konzentrieren - und das sei sehr praktisch: "Wenn die wieder ans Netz gehen, dürften wir eine Vorrichtung für präzise Messungen gebaut haben."

Vielleicht bekommen die Alpha-Forscher dann allerdings Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Ein weiteres Team am Cern will in einer kommenden Ausgabe des Fachmagazins "Physical Review Letters" über ein neues Verfahren zur Herstellung von Antiwasserstoff berichten. Das Asacusa-Experiment arbeitet daran, einen kontinuierlichen Strahl herzustellen - und ist nun nach eigenen Angaben ebenfalls einen entscheidenden Schritt vorangekommen.

Mit Material von dapd
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