Je 20 bis 30 Exemplare der beiden dort vorkommenden Unterarten (Amur und Amoy) gibt es noch im an menschlicher Bevölkerung reichsten Land der Erde. Der Südchinesische oder Amoy-Tiger wäre damit schon die vierte Tigerunterart, die vom Aussterben akut bedroht ist. Bali-, Java- und kaspische Tiger gelten bereits als ausgerottet. Der letzte Java-Tiger wurde 1981 gesehen.
Vor allem die Tötung für traditionelle ostasiatische Medizin und sein Leumund als Menschenfresser machen dem Tiger sehr zu schaffen. In China, Taiwan und Korea galten aus Tigerknochen gewonnene Mittelchen als wichtige Anti-Rheumamittel und wurden zur Bekämpfung von Arthritis eingesetzt. Dass die Knochen in vielen asiatischen Ländern auch als Mittel zur Potenzsteigerung angeboten würden, sei jedoch ein westlicher Irrglaube, erklärt Roland Melisch vom WWF. Obwohl es Naturschutzorganisationen gelang, den Tiger aus den offiziellen Arzneimittelbüchern Chinas zu streichen, bleibt die illegale Nachfrage nach den Knochen. Nicht nur in China, sondern auch den USA, Australien und den Niederlanden verkaufen sich die Placebo-Produkte sehr gut. Preise von mehreren zehntausend Mark für ein Fläschchen Tigerpillen sind nichts Ungewöhnliches.
In den neunziger Jahren mussten wohl noch Hunderte der Raubkatzen für traditionelle Medizin ihr Leben lassen. Vor allem an Aufklärung mangelt es: Laut einer Umfrage der Artenschutzorganisation Traffic in Hong Kong würden 59 Prozent der Verbraucher traditioneller Medizin keine solche einsetzen, wenn sie wüssten, dass dafür bedrohte Tierarten getötet würden. Auch der Schmuggel mit Fellen und - vor allem in Indonesien - mit Jungtieren ist ein lukratives Geschäft.
Die Vorstellung vom bösen, Menschen fressenden Tiger wie dem Dschungelkönig Sheer Khan des "Dschungelbuchs" hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Obwohl sie die größten unter den Raubkatzen sind, gelten Tiger als scheue Nachttiere, die den Menschen meiden.