Hunga Tonga-Hunga Ha'apai Wie der Unterwasservulkan seine zerstörerische Kraft entwickelt hat

Dieses Satellitenbild, das vom Cooperative Institute for Research in the Atmosphere (Cira) und der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zur Verfügung gestellt wurde, zeigt den Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai am 15. Januar 2022
Foto: CIRA/NOAA HANDOUT / EPADieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Etwa 30 Kilometer südöstlich der Insel Fonuafo'ou, die man auch Falcon Island nennt, im Königreich Tonga ist am Samstag ein unterseeischer Vulkan ausgebrochen: der Hunga Tonga-Hunga Ha'apai. Der Vulkan spie Asche, Dampf und Gas kilometerweit in die Höhe. Das Wasser um den Vulkan herum türmte sich auf. Die Schockwellen der Eruption waren beinahe überall auf dem Globus zu messen.
Den Bewohnerinnen und Bewohnern der umliegenden Inseln und Inselgruppen Tongatapu, Ha'apai und Vava'u wurde geraten, sich möglichst nur in ihren Häusern aufzuhalten, im Freien eine Maske zu tragen und Regenwasserreservoirs abzudecken. Denn: Vulkanasche kann giftig sein. Und wenn sich Vulkanaschepartikel in der Lunge und den Atemwegen absetzen, kann das die Gesundheit gefährden. Außerdem sollten sie sich von der Küste fernhalten. Insgesamt leben rund 105.000 Menschen in dem Pazifikstaat.
Der König des Inselstaats, Tupou VI., war Berichten zufolge von seinem Palast in Nuku'alofa in eine Villa fernab der Küste gebracht worden. Internet- und Mobilfunkverbindungen brachen zusammen, der Flugverkehr wurde massiv eingeschränkt.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern sagte am Sonntag, dass eine Flutwelle in Teilen von Tongas Hauptstadt Nuku'alofa »bedeutende« Schäden angerichtet habe. Die Stadt sei mit einer »dicken Schicht aus Vulkanasche bedeckt, aber ansonsten ist die Lage ruhig und stabil«. Sobald es die Situation zulasse, werde die neuseeländische Luftwaffe einen Aufklärungsflug zu Tongas entlegeneren Inseln starten.
Seit 2009 ist der Vulkan wieder aktiv
Dieser Ausbruch war nicht der erste des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai, aber es war ein Ausbruch ungewöhnlichen Ausmaßes. Belegt ist etwa eine Eruption im Jahr 1912 , auch 1937 spuckte der Vulkan Asche. Ab dem Jahr 2009 brach er mehrmals aus, seit Dezember 2021 ist er wieder aktiv.
Und erst am Freitag hatten Fachleute eine kleinere Eruption des Vulkans beobachtet. Dazu hatte der Chef des geologischen Dienstes von Tonga, Taaniela Kula, gesagt: Dieser Ausbruch sei mindestens siebenmal stärker als der letzte am 20. Dezember. Der Radius der Eruption lasse sich mit etwa 260 Kilometern beziffern. Am Samstag folgte dann der erneute Ausbruch – mit noch größerer Wucht.
Vergleichbar mit einem Erdbeben der Stärke 5,8
Nach Angaben der US-Behörde für geologische Beobachtungen entsprachen die Erschütterungen einem Erdbeben der Stärke 5,8 direkt an der Erdoberfläche. Die Auswirkungen eines solchen Bebens werden auf der Richterskala, die die Stärke von Erdbeben einteilt und beschreibt, grundsätzlich als mittelstark angegeben: Weniger robuste Gebäude können große Schäden erleiden, stabile Bauten werden eher wenig beschädigt, zudem ist das Ausmaß der Zerstörung in der Regel räumlich begrenzt.
Doch wenn ein Vulkan im Meer ausbricht, kann die Zerstörung großflächiger ausfallen: Tsunami-Warnungen wurden nicht nur für Tonga ausgesprochen, sondern für acht weitere Staaten – die USA, die über das Außengebiet Amerikanisch-Samoa verfügen, Fidschi, Vanuatu, Neuseeland, Australien, Ecuador, Chile und Japan. Tsunami-Wellen – wenn auch kleinere – breiteten sich über den Pazifik aus und verursachten Überschwemmungen in Alaska, Oregon, Washington State und British Columbia. Messstationen in Kalifornien, Mexiko und Teilen Südamerikas registrierten ebenfalls kleinere Tsunami-Wellen. Was genau die Tsunamis ausgelöst hat, ist noch nicht klar.
In Japan waren Hunderttausende von den Auswirkungen des Ausbruchs betroffen. Die japanische Meteorologiebehörde hatte vor bis zu drei Meter hohen Wellen gewarnt, am Sonntag wurden mehr als 200.000 Menschen in acht Präfekturen Japans zur Evakuierung aufgerufen, sie sollten sich in höher gelegenen Gegenden in Sicherheit bringen. In einigen Regionen trafen hohe Wellen auf das Land, nach Ortszeit am frühen Nachmittag wurden die Vorsichtsmaßnahmen wieder aufgehoben. Bislang gab es keine Berichte von Toten oder Verletzten.
Auch Dampf kann explodieren
Trotzdem mögen die Wucht und die globalen Auswirkungen des Vulkans überraschen. Schließlich ragt die Spitze des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai – der sich aus den beiden kleinen unbewohnten Inseln Hunga Ha'apai und Hunga Tonga zusammensetzt – wenig mehr als hundert Meter aus dem Wasser. Und man könnte meinen, dass der kühle Ozean die Vulkanaktivität abschwächt.
Doch: Unter Wasser erreicht der Vulkan eine Höhe von rund 1800 Metern – und eine Breite von 20 Kilometern. Und auch unterseeisch kann ein Vulkan explosive Kraft entwickeln. Wie, das erklärte zum Beispiel der Vulkanologe Shane Cronin, der an der University of Auckland in Neuseeland arbeitet, in einem Beitrag für das Nachrichtennetzwerk »The Conversation« .
Er beschreibt das Phänomen so: Meerwasser kühlt Magma normalerweise ab. So bildet sich selbst bei Temperaturen von etwa 1200 Grad Celsius zwischen Magma und Wasser ein dünner Dampffilm. Dieser Film funktioniert wie eine Isolierschicht, durch die sich die äußere Oberfläche des Lavastroms abkühlt. Das geht aber nur, wenn das Magma langsam ins Meerwasser fließt und zu Lava wird. Wird Magma voller vulkanischer Gase aus dem Boden geschleudert, werden die isolierenden Dampfschichten durchbrochen. Die heiße Gesteinsflüssigkeit kommt also direkt mit dem vergleichsweise kalten Wasser in Kontakt. Dabei kommt es zu einer heftigen Explosion, die das Magma auseinanderreißt. Die ebenfalls glühend heißen Magmafragmente kommen ihrerseits mit dem Wasser in Berührung, was weitere Explosionen zur Folge hat.
Der nun beobachtete Ausbruch sei möglicherweise deshalb so stark gewesen, schreibt der Wissenschaftler, weil sich der letzte große Ausbruch um das Jahr 1100 ereignet habe. Das zeigten geologische Daten. Seither habe sich geschmolzenes Gestein in der Tiefe sammeln und ein Magmareservoir bilden können. Wenn der riesige Magmavorrat eine Öffnung finde, komme es zu einem heftigen Druckabfall, bei dem ein Großteil des geschmolzenen Reservoirs in einer gewaltigen Explosion entleert werde – einer Explosion, wie sie sich am Samstag ereignet habe.
Einen Ausbruch wie diesen gebe es etwa alle tausend Jahre. Der Zeitpunkt sei damit nicht überraschend.
Ist die Gefahr vorüber?
Wenn es nur einmal im Jahrtausend zu einem Ausbruch dieses Ausmaßes kommt – ist die Gefahr dann vorerst gebannt? Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen. Es ist gut möglich, dass bei der Eruption vom Samstag der größte Teil des Magmas aus dem Vulkaninneren ausgetreten ist. Es ist aber auch denkbar, dass Reste verbleiben, die zu neuen Ausbrüchen führen können. Die Vulkanaktivität wird von verschiedenen Behörden weltweit überwacht. Erschwert wird das allerdings durch die abgelegene Position des Vulkans.
Hinzu kommt: Der Hunga Tonga-Hunga Ha'apai ist bei Weitem nicht der einzige aktive Vulkan in der Region. Das hat mit der Plattentektonik zu tun. Weil sich die pazifische Platte kontinuierlich unter die australische tektonische Platte schiebt, dringt – vereinfacht gesagt – Wasser ins Gestein der Erdkruste, was den Schmelzpunkt senkt und zur Bildung von Magma beiträgt.
Gänzlich gebannt ist die Gefahr eines Vulkanausbruchs in der Pazifikregion also nie.
Mit Material von dpa, AFP und Reuters