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Arktis: Bedrohte Bären, suspendierter Forscher

Foto: REUTERS / Geoff York / World Wildlife Fund

Tote Eisbären Forschungskrimi um suspendierten Polarexperten

Wegen einer mehrere Jahre alten Studie ist ein renommierter US-Polarforscher suspendiert worden. Die Geschichte hat alles, was es für einen Forschungskrimi braucht: Mächtige Ölfirmen im Hintergrund, tote Eisbären als Maskottchen des Klimawandels - und einen Wissenschaftler unter Verdacht.

Die Sicht war gut, das Wetter ruhig. Wie ein riesiger Strandball schaukelte auf der spiegelnden Oberfläche des Nordmeers ein großes weißes Etwas. Der tote Eisbär war, aufgebläht vom Verwesungsgas, gut aus der Luft zu erkennen - selbst aus einer Höhe von 450 Metern, in der das kleine Propellerflugzeug über das tote Tier hinwegschnurrte. So erinnert sich zumindest der US-Meeresbiologe Charles Monnett an jenen Moment im September 2004, der nun zum Sargnagel seiner Karriere werden könnte.

Eigentlich war Monnett seinerzeit auf der Suche nach Grönlandwalen, unterwegs als Wissenschaftler in Alaska im Auftrag einer untergeordneten Umweltbehörde des US-Innenministeriums, dem Bureau of Ocean Energy Management, Regulation and Enforcement. Dort arbeitet Monnett jetzt nicht mehr. Der Polarforscher wurde vom Dienst suspendiert - offenbar wegen eines Artikels, in dem er über den verendeten Eisbär und drei oder vier ähnliche Fälle im selben Zeitraum berichtet hatte.

Den Fall hat jetzt die NGO Public Employees for Environmental Responsibility öffentlich gemacht. Sie setzt sich für umweltbewusste Regierungsbeamte ein, die mit ihrem Dienstherren im Streit liegen. Monnett, so berichtet die Gruppe, werde von seinen Vorgesetzten wissenschaftliches Fehlverhalten vorgeworfen.

Es ist eine mysteriöse Geschichte, die alles hat, was es für einen Forschungskrimi braucht: Mächtige Ölfirmen im Hintergrund, tote Eisbären als Maskottchen des Klimawandels - und einen Wissenschaftler unter Verdacht.

Fakt ist: Mit einem kurzen Schreiben vom 18. Juli wurde Monnett vom Dienst enthoben. Bisher koordinierte der Forscher Projekte im Umfang von 50 Millionen Dollar. Nun darf er seinen Arbeitsplatz nicht betreten, er musste Schlüssel und Zugangskarten abgeben. Geäußert hat sich der gemaßregelte Wissenschaftler zu dem Fall bisher jedoch nicht. Und sein Vorgesetzter Jeffrey Loman verwies in der "New York Times" nur auf die "laufenden Ermittlungen", während derer man nichts sagen werde.

"Auf den ersten Blick erscheint mir nichts problematisch"

Wer sich allerdings durch ein 96-seitiges Interview-Transkript  aus dem Februar dieses Jahres kämpft, kann trotzdem eine Vorstellung davon bekommen, worum es geht: Zusammen mit seinem damaligen Kollegen Jeffrey Gleason hatte Monnett Anfang 2006 im Fachmagazin "Polar Biology"  einen kurzen Artikel zu den toten Eisbären publiziert. Doch dieser hat jetzt die zuständigen Aufsichtsgremien des US-Innenministeriums auf den Plan gerufen. Grund sind offenbar Beschwerden zu der Veröffentlichung. Von wem sie stammen, ist bisher unklar.

Dabei geht es um die Frage, wie valide die in dem Artikel präsentierten Daten sind - und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Zum Verständnis des Problems braucht es ein wenig Mathematik:

  • Bei ihren Flügen hatten Monnett und Gleason zunächst am 6. und 7. September 2004 aus der Luft vier schwimmende Eisbären gesichtet. Die Forscher waren 11 Prozent des von ihnen ausgewählten Untersuchungsgebiets in regelmäßigen Abständen abgeflogen. Die Zahl der gesichteten Tiere multiplizierten sie deshalb mit neun. Im gesamten Gebiet, so die Rechnung der Forscher, müsste es also zu diesem Zeitpunkt 36 lebende Eisbären gegeben haben.

  • Nach einem schweren Sturm brachen die Wissenschaftler dann zu neuen Flügen auf, wieder überflogen sie 11 Prozent des Gebiets - und entdeckten dabei insgesamt vier tote Bären im Wasser. Nur drei der Tiere befanden sich in dem wenige Tage zuvor überflogenen Areal. Diese Zahl multiplizierten die Forscher also wieder mit neun und kamen auf 27 tote Tiere, die es statistisch gesehen in dem Gesamtgebiet geben müsste.

  • Von 36 Tieren, die vor dem Sturm in dem betreffenden Gebiet der Beaufortsee gepaddelt sein müssten, wären damit drei Viertel ums Leben gekommen. Eine beeindruckende Zahl - wenn sie denn korrekt ist. Schuld daran seien wohl nicht nur die langen Schwimmstrecken, sondern auch der hohe Energieverbrauch der Tiere bei schwerer See. So schreiben es die beiden Wissenschaftler in ihrem Artikel. Man "spekuliere", ähnliche Todesfälle könnten durch hohen Energieverbrauch eine wichtige und bisher unberücksichtigte Bedrohung der Eisbären darstellen.

Zumindest für Forscherkollegen ergibt sich ein durchaus plausibles Gesamtbild. "Auf den ersten Blick erscheint mir nichts an dem Artikel problematisch", sagt Dag Vongraven vom Norwegischen Polarinstitut im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der Forscher ist der Vorsitzende der von der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) eingesetzten "Polar Bear Specialist Group".

Unter den Eisbärenexperten habe Monnetts Beitrag in "Polar Biology" damals auch keine größeren Diskussionen ausgelöst. "Es ist einer von vielen Hinweisen darauf, wie der Klimawandel die Arktis beeinflusst", sagt Vongraven. Gerade erst wieder habe eine Studie des Geologischen Dienstes der USA (USGS)  Indizien dafür geliefert, dass Eisbären wegen der großen Schmelze längst längere Strecken schwimmend zurücklegen müssten als früher.

Warum also die Ermittlungen? Monnett, so wird nach Lektüre der Befragungsprotokolle aus dem Februar klar, sieht sich als Opfer politischer Ränkespiele. Der Artikel, um den es nun geht, diente Al Gore als Argumentationshilfe bei seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritten. Er spielte auch eine Rolle bei der vieldiskutierten Einstufung des Eisbären als bedrohte Tierart im Jahr 2008.

Aus Monnetts Sicht stehen Forscher wie er der Obama-Regierung dabei im Weg, das Meeresgebiet weit vor den Küsten Alaskas für die Ölförderung zu öffnen. So will es die Regierung des Bundesstaats unter dem Republikaner Sean Parnell. So wollen es die Ölkonzerne, allen voran Shell. Und so will es offenbar auch das Weiße Haus.

Der geschasste Forscher sieht sich dagegen als einsamer Streiter. Sein Kollege Gleason habe wegen des politischen Drucks den Job gewechselt. Er arbeitet inzwischen am Golf von Mexiko für die Behörde. Dabei ist er laut Monnett freiwillig in eine schlechter bezahlte Position gewechselt. Nach Angaben der "New York Times" gibt es bisher keine Hinweise auf Ermittlungen gegen Gleason.

Keine Fotos, kaum Aufzeichnungen

Man wäre geneigt, Monnett Glauben zu schenken. Das Feindbild passt zu gut, nach allem, was nach dem Untergang der Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko über das Verhältnis des US-Innenministeriums zur Ölindustrie ans Licht kam: Inspektoren ließen sich von den Konzernen mit Baseballkarten, Essenseinladungen und Jagdausflügen schmieren. Von Unabhängigkeit keine Spur.

Doch der geschasste Forscher musste bei der Befragung im vergangenen Winter eben auch eingestehen, dass fast keine brauchbaren Unterlagen zur Sichtung der toten Polarriesen existieren. Scharfe Fotos gebe es nicht. Und im offiziellen Datensatz der Expedition tauchen die Tiere ebenfalls nicht auf. Das liege daran, dass es für die schwimmenden Bärenleichen damals noch kein offizielles Klassifikationsschema gegeben habe, sagt der Forscher. Schließlich habe vorher nie jemand welche gesehen.

Deswegen stütze sich der Artikel auf die Aufzeichnungen in Gleasons Bordbuch. Monnett selbst will sich nur auf die Beobachtung konzentriert haben, nicht auf die Dokumentation. Bei der Veröffentlichung des "Polar Biology"-Artikels scheint das niemanden gestört zu haben. Sowohl hausinterne Korrekturleser in Monnetts Behörde wie auch drei anonyme Gutachter der Zeitschrift winkten den Artikel mit kleineren Änderungen durch.

Die kommenden Monate werden entscheiden, wie der Streit ausgeht. Monnett will sich offenbar nicht kampflos ergeben. In seinem Namen hat Public Employees for Environmental Responsibility nun seinerseits eine Beschwerde  gegen das Innenministerium angestrengt. Das Vorgehen der Ministerialen verstoße gegen die Regeln des Hauses, sich nicht in die Forschung einzumischen. Ginge es nach ihm, dann würde Monnett sofort weiterarbeiten - nach einer öffentlichen Entschuldigung seiner Chefs.

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