

Wenn die Wasserstände an einer bestimmten Messstation in Venedig über 1,10 Meter über die Nullmarke steigen, ertönen Sirenen in der Stadt. Für die Venezianer gehört der Alarm zur Routine - die Lagunenstadt in Italien wird regelmäßig überflutet. Doch in der Nacht zum Mittwoch näherten sich die Wasserstände einem dramatisch hohen Wert.
Kurz vor Mitternacht erreichte der Pegel die 1,87-Meter-Marke. So hoch wie seit 1966 nicht, damals stieg der Pegel auf bis zu 1,94 Meter.
Der Markusplatz stand in der Nacht zu Mittwoch unter Wasser, Gondeln rissen los und trieben durch die Kanäle. Der Präsident der Region Venezien, Luca Zaia, sprach von "apokalyptischer Zerstörung". Der Notstand wurde ausgerufen. Mindestens ein Mensch kam ums Leben.
Videos der Feuerwehr zeigen Ausmaß der Katastrophe
Warum wird Venedig so oft überflutet?
Besonders im Herbst und Winter kommt es in Venedig häufig zu Überschwemmungen, bekannt als Acqua Alta. Herrscht während einer außergewöhnlich starken Flut gleichzeitig niedriger Luftdruck, schiebt der Sahara-Wind Scirocco das Wasser bis in die Kanäle von Venedig. Bei der aktuellen Überflutung kamen auch noch heftige Regenfälle hinzu.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Zahl der Hochwasser etwa verdoppelt. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Geht die Entwicklung so weiter, wie es der Weltklimarat IPCC vorhersagt, könnte Venedig in 80 Jahren jeden zweiten Tag zumindest teilweise unter Wasser stehen. Laut einer weiteren Untersuchung könnten die Wasserstände auf bis 2,5 Meter steigen.
Video: Für Touristen eine Attraktion, für die Bewohner ein Problem
Bollwerk gegen die Fluten
Die größte Hoffnung der Unesco-Welterbestadt sind 78 Fluttore, die Venedig an den drei Eingängen zur Lagune vor dem Adriatischen Meer abriegeln sollen. Die einzelnen Tore sind bis zu fünf Meter dick, 20 Meter breit und bis zu 30 Meter hoch.
Normalerweise liegen sie verborgen am Meeresgrund. Bei Hochwasser wird Luft in die Stahlkästen gepumpt, die sich dadurch aufrichten. Eigentlich sollte das sogenannte Mose-Projekt längst fertig sein. Die Eröffnung hat sich aber immer weiter verschoben, auch wegen Korruptionsskandalen. Ob das sechs Milliarden Euro teure Bauwerk wie zuletzt geplant 2022 fertig sein wird, ist fraglich.
Kritiker fürchten jedoch, dass durch die Sperrwerke andere Probleme entstehen. Bei anhaltend hohen Wasserständen müsste die Lagune vielleicht über Tage vom Adriatischen Meer abgeriegelt werden. Dadurch könnte der Sauerstoff im Wasser der Lagune knapp werden und das Ökosystem kollabieren.
Einige Forscher schlagen deshalb vor, die ganze Stadt anzuheben, beispielsweise mittels flüssigen Zements. Die Idee stammt bereits aus den Siebzigerjahren. Damals wurde eine kleine Insel in der Lagune von Venedig erfolgreich um zehn Zentimeter angehoben.
"Venedig wird in den kommenden Jahrhunderten unter den Meeresspiegel sinken", sagte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dem SPIEGEL. Die Lagunenstadt werde gleich von zwei Seiten angegriffen: Wegen der sich durch die Treibhausgase erwärmenden Luft komme es immer häufiger zu Starkregen. Gleichzeitig steige der Meeresspiegel. "Um die weitere Erwärmung zu begrenzen", so Levermann, "müssen wir den Ausstoß von CO2 aus Kohle und Öl rasch reduzieren."
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Nach Dauerregen und starkem Wind ist in Venedig das Wasser so hoch gestiegen wie zuletzt vor 53 Jahren. "Wir haben es mit apokalyptischen Zerstörungen zu tun", sagte der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia.
Die Lage ist in großen Teilen der Stadt chaotisch: Gondeln und Boote wurden aus Vertäuungen gerissen und trieben durch Kanäle.
Wasser flutete den Markusdom mitsamt der Krypta, bis zu 1,10 Meter hoch soll es gestiegen sein. Zudem wurden Hotels überschwemmt, geflutet sind Medienberichten zufolge auch Teile des Opernhauses "La Fenice".
Bürgermeister Luigi Brugnaro machte sich auf dem Markusplatz ein Bild von der Lage. Der Politiker sprach von einer Katastrophe und kündigte an, den Notstand auszurufen.
Ein Mensch starb beim Versuch, in seinem überfluteten Haus die Entwässerungspumpe wieder in Gang zu setzen. Ein weiterer Einwohner wurde tot in seinem Haus gefunden worden, die Todesursache ist unklar.
Wie groß die Schäden insgesamt sind, ist bislang noch unklar. Nicht abzusehen ist auch, wann genau das Wasser wieder ein normales Niveau erreicht haben könnte.
Auf dem weltberühmten Markusplatz waren am Dienstag noch schaulustige Besucher durch das hüfthohe Wasser gestiefelt. Doch dann wurde es zu gefährlich, inzwischen patrouillieren dort Polizisten - in Booten
Die Stadt werde den Wassermassen bald nicht mehr gewachsen sein, sagte Bürgermeister Brugnaro. "Venedig wurde in die Knie gezwungen. Der Markusdom hat schwere Schäden abbekommen, genauso wie die ganze Stadt und die Inseln."
Der Wind schleuderte Wasserbusse ans Ufer, mindestens 60 Schiffe wurden beschädigt.
Um kurz vor Mitternacht war das Wasser auf 187 Zentimeter über dem normalen Meeresspiegel gestiegen. Das sei der höchste Wert seit der verheerenden Überschwemmung im Jahr 1966, teilte die Gemeinde mit.
Venedig ist immer wieder von Hochwasser betroffen, die Lage verschärft sich jedoch zunehmend. Der Klimaforscher Anders Levermann sagte vor einem Jahr: "Venedig werden wir verlieren, das ist nicht umstritten."
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